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Konjunktur: Es knirscht in der schwäbischen Wirtschaft: "Stimmung besser als die Lage"

Konjunktur

Es knirscht in der schwäbischen Wirtschaft: "Stimmung besser als die Lage"

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    Die schwäbische Industrie leidet unter Materialengpässen.
    Die schwäbische Industrie leidet unter Materialengpässen. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

    Wenn nicht am Ende doch noch die Omikron-Welle den Betrieb einholt. Das ist aktuell das Horrorszenario für Jürgen Weiss, Geschäftsführer des Unternehmens Weiss Kunststoffverarbeitung in Illertissen: Fallen zu viele Beschäftigte durch Krankheit gleichzeitig aus, wäre am Ende eine ganze Schicht nicht aufrechtzuerhalten oder der Versand wäre bedroht.

    Mit der Angst vor einem Corona-Ausbruch im Unternehmen und Einschränkungen der Lieferfähigkeit ist Jürgen Weiss derzeit nicht allein. „Zum Glück ist dies bei uns noch nicht eingetreten“, sagt Weiss, Vorsitzender der Metallarbeitgeberverbände bayme und vbm in Nordwestschwaben. Sein Unternehmen stellt mit rund 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Illertissen und rund 90 in Ungarn Spritzgussteile zum Beispiel für die Autoindustrie her.

    Die Sorgen um die Belegschaften sind in der Corona-Pandemie noch stärker in den Mittelpunkt gerückt. Nachdem die bayerische Wirtschaft als Ganzes recht gut durch die Krise gekommen ist, rückt hier ein weiteres, altbekanntes Problem wieder in den Vordergrund: Neue Arbeitskräfte sind nicht so leicht zu bekommen. „Wir haben sieben Ausbildungsplätze für den Herbst zu vergeben, davon sind bisher gerade einmal zwei besetzt“, sagt Weiss. In der Corona-

    Explodierende Energiepreis und Materialmangel plagen die Industrie

    Nach zwei Jahren Corona-Pandemie tun sich die Unternehmer noch immer schwer, wieder in einen Normalmodus zu finden. Wie bei einer großen Maschine greifen in der Wirtschaft viele Zahnräder ineinander. Die Pandemie erzwang den Notstopp für diese Maschine. Das Hochfahren danach dauert nun viel länger, als viele sich das vorgestellt hatten. Vom Post-Corona-Boom sprachen Volkswirte und Wirtschaftsforscher im vergangenen Jahr. Teilweise hatten sie damit auch recht. Deutschlands Exporte zum Beispiel stiegen im Jahr 2021 bereits wieder auf einen neuen Rekordwert. 1375,5 Milliarden Euro betrug der Wert der Warenausfuhren – 14 Prozent mehr als im Krisenjahr 2020, vor allem aber 3,6 Prozent mehr als vor Corona. Marc Lucassen, Hauptgeschäftsführer der IHK Schwaben, sagte bei der Vorstellung der jüngsten Konjunkturumfrage der Kammer in Augsburg: „Jedes zweite Industrieunternehmen in der Region ist voll ausgelastet.“ 44 Prozent berichten zudem von einem gestiegenen Auftragsvolumen, vor allem aus dem Ausland

    Und doch hakt und knirscht es noch im großen Getriebe der bayerischen Wirtschaft. Die Angst vor weiter steigenden Energie- und Rohstoffpreisen sowie Material- und Lieferengpässe beurteilen die Unternehmen als größtes Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung. Die Auftragsbücher sind voll, aber die Produktion kommt der Nachfrage nicht hinterher.

    Verbesserung erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 zu erwarten

    Mit einer Verbesserung bei der Versorgung rechnet die Mehrzahl der Unternehmen nicht vor der zweiten Hälfte dieses Jahres oder gar erst im kommenden Jahr. Das alles führt zu steigenden Preisen: 72 Prozent der Betriebe quer über alle Branchen gehen davon aus, dass sie ihre Verkaufspreise anheben müssen. Keine gute Nachricht für die Währungshüter, die versuchen müssen, ein anderes sich immer schneller drehendes Zahnrad an der großen Maschine wieder abzubremsen: die kräftig gestiegene Inflation.

    Von den schwäbischen Metall- und Elektro-Unternehmen rechnen heuer laut der jüngsten Konjunkturumfrage der Industrieverbände bayme und vbm nur 26 Prozent mit einer Verbesserung im Inlandsgeschäft, 24 Prozent im Auslandsgeschäft. Noch vor einem halben Jahr waren die Firmen viel optimistischer. "Die Stimmung ist besser als die Lage, die Risiken bleiben hoch", beschreibt bayme vbm-Vertreter Weiss die Situation.

    Jürgen Weiss, bayme vbm: Materialmangel trifft 95 Prozent der schwäbischen Betriebe

    Wie sich der Materialmangel auswirkt, stellt Weiss ganz plastisch am Beispiel des wichtigsten Vorprodukts für ihn dar: Kunststoffgranulat ist rar auf dem Markt, nachdem die Chemie-Branche in der Corona-Krise zum Beispiel die Produktion heruntergefahren hat. „Teilweise steigen die Preise um 50 bis 100 Prozent“, sagt er. Monatliche Preiserhöhungen waren jüngst keine Seltenheit. Betroffen von Lieferengpässen aller Art ist die ganze Metall- und Elektrobranche in Schwaben: „Bei fast 95 Prozent der schwäbischen Betriebe ist die Produktion durch den Materialmangel beeinträchtigt“, sagt Weiss. Rund 90 Prozent der betroffenen Firmen klagen über verspätete Lieferungen, fast 54 über zu geringe Mengen und fast 42 Prozent bekommen bei bestimmten Produkten gar keine Lieferung. Die Maschine ächzt dann nicht nur, sie steht.

    Wie das ist, wenn gar nichts mehr geht, haben viele Unternehmen im Einzelhandel in den vergangenen Monaten erfahren müssen. Mittlerweile bewerten laut den IHK-Daten 45 Prozent der Einzelhändler in Schwaben ihre Geschäftslage als gut. Doch gut 20 Prozent von ihnen erwarten eine Verschlechterung in den kommenden Monaten, nur 15 Prozent gehen von besseren Geschäften aus. Noch finsterer sind die Prognosen im Reise- und Gastgewerbe. Zwar ist dort, wie der vergangene Sommer gezeigt hat, eine schnelle Besserung möglich. Aber aktuell bewerten nur sechs Prozent der Betriebe ihre Lage als gut. Nun sind einige Lockerungen der Corona-Regeln in Kraft getreten. Doch gilt in Bayern weiterhin die 2G-Regel und Clubs und Diskotheken sind nach wie vor geschlossen. Hinzu kommt eine Sorge, die alle Unternehmen in der Region eint: die Explosion der Energiepreise.

    Andreas Kopton, IHK Schwaben: Zweifel an Fertigstellung der Stromtrassen bis 2029

    Längst nicht immer lassen sich die gestiegenen Kosten an die Endkunden weitergeben. „In Einzelfällen ist das existenzbedrohend“, betont IHK-Hauptgeschäftsführer Lucassen. Die Ursachen der aktuellen Zuspitzung sind vielfältig. Zum Anstieg der Rohölpreise etwa haben die russischen Machtspiele um die Ukraine beigetragen. Dazu kommen Faktoren wie die Ausweitung der CO2-Bepreisung sowie die schwankende Einspeisung durch die erneuerbaren Energien. Doch in der Wirtschaft herrscht auch deutliche Verärgerung über die Energiepolitik der vergangenen Jahre.

    Schwabens IHK-Präsident Andreas Kopton sagt dazu: „Deutschland schafft es zwar, seine Kernkraftwerke pünktlich abzuschalten. Alle anderen Versprechungen ist der Staat aber schuldig geblieben.“ Ein Kardinalfehler für ihn war es, die Abschaltung des heimischen Reaktors in Gundremmingen nicht an die Fertigstellung der Stromtrassen vom Norden der Republik in den Süden zu knüpfen. Nun drohe sich der Fehler mit dem Kohleausstieg zu wiederholen. Er glaube nicht an eine Fertigstellung der unterirdisch verlegten Trasse, die den Windstrom aus dem Norden in die Region bringen soll, bis zum Jahr 2029.

    IHK-Präsident Andreas Kopton (links) und Marc Lucassen, IHK-Hauptgeschäftsführer.
    IHK-Präsident Andreas Kopton (links) und Marc Lucassen, IHK-Hauptgeschäftsführer. Foto: Peter Fastl

    Es knirscht also in der Wirtschaft. „Die schwäbische Metall- und Elektroindustrie ist noch lange nicht auf einem Normalniveau“, sagt bayme vbm-Vertreter Weiss. Umso mehr fürchten die Betriebe neue Belastungen: „Es ist nicht die Zeit für überzogene Verteilungsdiskussionen“, warnt er. „Vielmehr geht es jetzt darum, unseren Standort, Unternehmen und deren Arbeitsplätze fit für die Zukunft zu machen.“

    Bei all den Problemen, die Maschine flottzukriegen, hat die Krise für IHK-Hauptgeschäftsführer Lucassen zumindest eines gezeigt: Die Maschine ist erstaunlich robust. „Die regionale Wirtschaft kann Krise“, sagt er. Die Lage ist deutlich besser als im vergangenen Winter.

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