Deutschland als Kraftpaket und Zugpferd der Wirtschaft in Europa? Diese Zeiten sind passé. Das erhoffte Durchstarten nach der Corona-Pandemie wurde von Putins Angriff auf die Ukraine abgewürgt. Der Energieschock konnte zwar abgeschüttelt werden, aber die Aussichten sind trübe, wie die große Konjunkturumfrage unter 20.000 Unternehmen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zeigt. Die Konkurrenz macht es besser.
Wo steht die deutsche Wirtschaft nach über einem Jahr Krieg in der Ukraine?
Sie tritt auf der Stelle. Das sagt Ilja Nothnagel aus der Geschäftsführung des DIHK. "Anzeichen für einen breiten Aufschwung fehlen weiter." Trotz der Entspannung bei den Energiepreisen schauen unter dem Strich mehr Firmen negativ auf die kommenden Monate als positiv. Im langjährigen Durchschnitt war die Zahl der Zuversichtlichen immer größer als die der Verzagten. Für das laufende Jahr erwartet die Konjunkturabteilung des DIHK deshalb, dass die Wirtschaft stagnieren wird. Die Wachstumsprognose lautet auf 0 Prozent. Damit ist der Industrie- und Handelskammertag pessimistischer als die Bundesregierung. Sie rechnet mit einem Mini-Wachstum von 0,4 Prozent, die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute mit 0,3 Prozent.
Wie schlagen sich andere Länder?
In der Konkurrenz der Industrieländer fällt die Bundesrepublik zurück. Betrachtet man das Wachstum seit 2015, dann liegen die USA klar vor Deutschland, die Nachbarn Frankreich und Österreich knapp vor der Bundesrepublik. Schweden, Portugal und die Niederlande haben in diesem Zeitraum doppelt so stark zugelegt. Nur die italienische Wirtschaft hat sich noch langsamer entwickelt als die deutsche. Der DIHK verlangte wegen der durchwachsenen Bilanz, dass die Bundesregierung etwas für mehr Tempo tun müsse. Dazu zählt der Verband zum Beispiel, dass die im Koalitionsvertrag geplanten Super-Abschreibungen für Investitionen kommen und die Behörden schneller Genehmigungen für Fabriken und Infrastruktur erteilen. Auch die Präsidentin des Verbandes der Familienunternehmen macht Druck. "Für die Industrie ist es derzeit das Wichtigste, wie die Regierung die extremen Kosten am heimischen Standort – von Energie bis Steuern – so senken will, dass unsere Exporte wieder wettbewerbsfähig werden", sagte Marie-Christine Ostermann unserer Redaktion.
Was sind die größten Probleme der Unternehmen?
Unter den Problemen, mit denen die Unternehmen zu kämpfen haben, ragen vier heraus. Egal, ob Industrie, Handel, Bau oder Dienstleistungssektor, prominent beklagt werden die hohen Energie- und Rohstoffpreise, der Fachkräftemangel, die gestiegenen Arbeitskosten und eine fehlerhafte Wirtschaftspolitik.
Wie steht es um Finanzierung und Investitionen?
Die zur Bekämpfung der Inflation steil nach oben gesetzten Leitzinsen verteuern auch die Aufnahme von Fremdkapital. Dieser Effekt ist von den Zentralbankern gewünscht, um die Wirtschaftsaktivität zu bremsen und dadurch die Teuerung zu zähmen. Höhere Kreditkosten belasten aber die Investitionen und schwächen damit das Wirtschaftswachstum von morgen. Der DIHK rechnet für dieses Jahr damit, dass die Ausrüstungsinvestitionen in neue Maschinen, Fahrzeuge und Technik um nur 1 Prozent steigen. Im vergangenen Jahr waren es noch 3,3 Prozent. "Wir erleben eine Investitionszurückhaltung", erklärt Ilja Nothnagel. Eigentlich müsse nach den Corona-Jahren viel mehr investiert werden. Der Blick in die DIHK-Umfrage zeigt auch, dass Firmen investieren, um alte Maschinen zu ersetzen, weil sie rationalisieren wollen und um dem Umweltschutz Genüge zu tun. Investitionen in Produktinnovation und Kapazitätsaufbau "gehen kontinuierlich runter", so Nothnagel. "Das macht uns Sorge."
Welche Branchen haben besonders zu kämpfen?
Im Baugewerbe sind die Aussichten deprimierend, die Branche fürchtet einen Einbruch. Ein Drittel der Unternehmen geht davon aus, dass es schlechter wird. Im Vergleich zum Vorjahr werden heuer die Bauinvestitionen laut DIHK-Schätzung um 4,5 Prozent fallen. Reihenweise werden Neubauprojekte abgesagt, weil die Finanzierung nicht mehr zu stemmen ist. Pessimistisch ist auch die Grundstimmung im Handel. Deutliche Lohnsteigerungen können den Fachkräftemangel dennoch nicht beseitigen. Wegen der wuchtigen Inflation fürchten die Händler außerdem, dass sich die Verbraucher zurückhalten. Zwei Drittel der Unternehmen erwarten eine Verschlechterung ihrer Geschäfte. Um die Stimmung bei den Konsumenten zu verbessern, müsse die Bundesregierung "die unselige Verbotspolitik zum Beispiel bei den Heizungen sofort beenden und den Bürgern die Entscheidung überlassen, wann für sie der beste Zeitpunkt ist, um eine moderne Heizung einzubauen", forderte Familienunternehmer-Präsidentin Ostermann.