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Konjunktur: "Kein modernes Land mehr": Deutsche Industrie fällt zurück

Konjunktur

"Kein modernes Land mehr": Deutsche Industrie fällt zurück

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    Zum Auftakt der Hannover Messe zeigen sich Vertreter der deutschen Industrie skeptisch, was die weitere wirtschaftliche Entwicklung betrifft.
    Zum Auftakt der Hannover Messe zeigen sich Vertreter der deutschen Industrie skeptisch, was die weitere wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Foto: Moritz Frankenberg, dpa

    Politiker sind zum Optimismus verdammt. Es ist ihr Job, sich und ihre Ziele wählerwirksam anzupreisen. Bundeskanzler Olaf Scholz strotzt vor Zuversicht. Er erkennt in der Energie- und Klimawende enorme Chancen für Deutschland. Der SPD-Politiker sieht ein zweites Wirtschaftswunder heraufziehen. Zwischen 1950 und 1960 wuchs die heimische Wirtschaft im Schnitt um 8,2 Prozent. Von solchen Traumwerten ist kurz BIP – im vergangenen Jahr bereinigt um 1,8 Prozent zu. Der von Scholz herbeigesehnte Aufschwung wird 2023 wohl ausbleiben. Das Ifo-Institut rechnet damit, dass die Wirtschaft in diesem Jahr stagniert und erst 2024 um 1,7 Prozent zulegt.

    Scholz müsste die von der Hannover Messe als der weltgrößten Industrieschau ausgehenden Konjunktur-Botschaften als Dämpfer für seinen Super-Optimismus empfinden. Denn Deutschlands Industrie-Präsident Siegfried Russwurm, der bisher nicht zu gesteigertem Ampel-Bashing neigte, stellt fest: "Die Rede vom deutschen Wirtschaftswunder ist – offen gesagt – eher Wunschdenken als Realität." Der BDI-Spitzenmann beobachtet "eine ausgesprochen geringe wirtschaftliche Dynamik". So sollen die Ausfuhren 2023 gerade mal um 2,0 Prozent steigen, während es im Jahr zuvor knapp 3,0 Prozent waren. Nun folgt die bittere Ansage Russwurms, wird doch der Welthandel 2023 mit 2,5 Prozent deutlicher zulegen als die Ausfuhren made in Germany: "Erneut verlieren wir Weltmarktanteile, weil der Welthandel stärker wächst als unsere Ausfuhren."

    Schmerzhafte Botschaft der Industrie für die Regierung

    Die besonders schmerzhafte Botschaft des BDI-Präsidenten für Scholz lautet: "Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwindet." Längst haben Wirtschaftsvertreter eine neue Standortdebatte losgetreten. Die Diskussion erinnert an die Situation der 90er Jahre. Passend zur bleiernen Schwere der Ära wird 1997 "Reformstau" zum Wort des Jahres gekürt. Dem einstigen Bundeskanzler Helmut Kohl, der 16 Jahre bis 1998 amtierte, hielten seine Kritiker das "Aussitzen" wirtschaftspolitischer Fehlentwicklungen vor.

    Der damalige Bundespräsident Roman Herzog setzte 1997 zu seiner mit "Aufbruch ins 21. Jahrhundert" überschriebenen, berühmt gewordenen Ruck-Rede an. In weiten Passagen passt der Text auch auf die heutige Zeit. So sagte Herzog einst: "Die Menschen bei uns spüren, dass die gewohnten Zuwächse ausbleiben, und sie reagieren damit verständlicherweise mit Verunsicherung." Heute knabbert die hohe Inflation an den Einkommen der Bürgerinnen und Bürger. Mancher blickt besorgt in die Zukunft.

    Hat er den wirtschaftspolitischen Durchblick? Bundeskanzler Olaf Scholz probiert auf der Hannover Messe eine Datenbrille aus.
    Hat er den wirtschaftspolitischen Durchblick? Bundeskanzler Olaf Scholz probiert auf der Hannover Messe eine Datenbrille aus. Foto: Michael Matthey, dpa

    Herzogs Diagnose, das Wachstum Deutschlands sei verglichen mit anderen Ländern ohne Schwung, hat nicht an Aktualität eingebüßt. Auch seine Klage über den hiesigen Bürokratismus liest sich, als hätte sie heute ein Industrie-Vertreter wie Russwurm aufgeschrieben. Der 2017 verstorbene Bundespräsident spottete, ein Garagenbetrieb, wie ihn Bill Gates in den USA gegründet hatte, würde in Deutschland schon an der Gewerbeaufsicht scheitern. Russwurm warnt heute Politikerinnen und Politiker davor, dass sich "der Industrie-Standort Deutschland in einer kritischen Phase befindet".

    Angesichts zu hoher Energiepreise überlegten sich Unternehmen dreimal, wo sie investieren, merkt der BDI-Chef in seinem Hannoveraner Appell an. Russwurm kommt zum Schluss: "Die Ampel muss schleunigst vom Krisen- in den Gestaltungsmodus wechseln." Das Jahr 2023 solle zum Jahr der Entscheidungen werden. Der Industrie-Mann träumt davon, dass sich SPD, Grüne und FDP einen Ruck geben, eben für bezahlbare Industriestrom-Preise und den seit Jahrzehnten eingeforderten Bürokratie-Abbau sorgen. Wie in den 90er Jahren meldet sich die Wirtschaft immer vernehmlicher zu Wort, in der Hoffnung, die Politik doch zur Auflösung des Reformstaus zu bewegen. 

    Gesamtmetall: "Deutschland ist kein modernes Land mehr"

    Oliver Zander nimmt ebenfalls kein Blatt vor den Mund. Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall vertritt die Interessen der Metall- und Elektroindustrie. Sein gegenüber unserer Redaktion geäußerter Befund hat es in sich: "Die Wahrheit ist: Deutschland ist kein modernes Land mehr und Deutschland ist im Standortwettbewerb deutlich zurückgefallen." Zander fügt hinzu: "Wir sind nicht so gut, wie uns manche Illusionskünstler glauben machen wollen." In seiner Kritik zielt der

    Das belaste nun auch massiv den Industrie-Standort. Für Zander ist klar: "Die Ampel-Koalition muss das Land deshalb – wie angekündigt – dringend modernisieren." Dabei dürfe sich die Bundesregierung nicht auf die Stärken des Standortes Deutschland, eben eine gute Forschungslandschaft, langfristig denkende Unternehmer und gut ausgebildete, engagierte Arbeitnehmer verlassen. " Das reicht definitiv nicht allein, um im Wettbewerb zu bestehen."

    Wie Russwurm legt Zander den Finger in die größten Wunden des Standortes Deutschland: "Besonders nachteilig sind die vergleichsweise sehr hohen Energiekosten, Steuern und Abgaben auf einem Allzeithoch, die völlig ausufernde Bürokratie, der Arbeits- und Fachkräftemangel und die schleichende Digitalisierung." In sämtlichen Punkten sei Deutschland hintendran. Die Mängelliste fällt beim Gesamtmetall-Standort-TÜV lang aus. 

    Und was macht Scholz? Beeindruckt ihn die immer heftigere Debatte über die wirtschaftlichen Schwächen Deutschlands? Ein wenig scheint das der Fall zu sein. Denn auf der Hannover Messe feuert der Sozialdemokrat sich wie seine Leute an, vom Reden in das "doing", also Tun zu kommen. In den vergangenen Jahren sei zu viel liegengeblieben: "Das holen wir jetzt auf." Sozusagen als Beweis, dass auch durch ihn ein Ruck gegangen ist, erinnert Scholz an die Schlaf-Verdrängungskünste des Koalitionsausschusses: "Für solche Ergebnisse bleibe ich gern mal drei Tage am Stück wach."

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