Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: So setzt die hohe Inflation die Gewerkschaften unter Druck

Kommentar

So setzt die hohe Inflation die Gewerkschaften unter Druck

Stefan Stahl
    • |
    Die Menschen rund um den Globus sind reicher denn je - zumindest in Summe.
    Die Menschen rund um den Globus sind reicher denn je - zumindest in Summe. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Drei Worte reichten Claus Weselsky, um das Ergebnis der Bahn-Tarifrunde auf einen Nenner zu bringen. In seiner Art kommentierte er den mit Streiks brachial erstrittenen Abschluss kurz und knackig: „Wir haben gewonnen.“ Dabei ist der Kompromiss die Mutter guter Tarifpolitik und nicht ein Denken in Gewinnern und Verlierern. Denn wenn, wie es bei der Bahn geschehen ist, die eine Seite, die Gewerkschaft GDL, die anderen Seite, die Bahn, beim Fingerhakeln rüde über den Tisch zieht, gibt es am Ende nur Verlierer, wird doch die Tarifpartnerschaft dauerhaft beschädigt. So kann kein Vertrauensverhältnis zwischen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite entstehen.

    Weselsky begründete seine deftigen Lohnforderungen nicht zuletzt mit der weiter steigenden Inflation, die in Deutschland im September auf satte 4,1 Prozent geschossen ist und im Winter Richtung fünf Prozent marschieren dürfte. Legt die Teuerung stark zu, geraten Gewerkschaften unter Druck.

    Inflation könnte das Lohnplus auffressen

    Wenn der Liter Benzin – wie zuletzt geschehen – über die Marke von 1,70 Euro klettert und ein teurer Heiz-Winter bevorsteht, steigt die Erwartungshaltung der Arbeitnehmerschaft nach hohen Tarifabschlüssen. Gewerkschaften geraten in Versuchung, kräftig hinzulangen, damit ihnen aus den Reihen der Mitgliedschaft nicht vorgeworfen wird, sie seien für Reallohnverluste verantwortlich. Ein solcher Effekt tritt ein, wenn die Inflation das Lohnplus übersteigt. Wenn also etwa die Sachkundigen der Commerzbank richtig liegen und die Inflation im Schnitt dieses Jahres bei 3,1 und im kommenden bei 2,7 Prozent landet, rückt die Teuerung nach langer Zeit wieder in den Mittelpunkt vieler Tarifrunden.

    Dabei gibt es abgesehen vom Sonderfall der Hardcore-Fraktion „Weselsky & Freunde“ noch keine Anhaltspunkte für allzu hohe inflationsgetriebene Forderungen der Gewerkschaften. Die Betonung liegt auf „noch“. Falls der Winter mit explodierenden Gas- und Ölpreisen vor allem zur Belastung von Menschen niedriger und mittlerer Einkommen wird, müssen Gewerkschaften, die während der Corona-Krise ein hohes Maß an gesellschaftlicher Verantwortung gezeigt haben, springen. Dann werden von ihnen nicht mehr Abschlüsse von etwa drei, sondern rund vier Prozent erwartet, was meist nur über einen längeren Arbeitskampf erstritten werden kann. Der Frieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in vielen Branchen wäre dahin. Es bestünde die Gefahr einer teilweisen Weselskysierung der Tariflandschaft. Dabei würden zu hohe Abschlüsse die Inflation weiter anheizen. Solche Zweitrundeneffekte sind gefährlich und können Wachstum wie Jobs kosten. Das wäre der schlimmste anzunehmende Tarifunfall.

    Tarifverhandlungen dürfen nicht zu einem unwürdigen Schauspiel werden

    Soweit muss es nicht kommen. Zwei derzeit laufende Lohnrunden weisen zwar ein hohes Konfliktpotenzial auf, werden aber anders als bei der Bahn wohl nicht über eine lange Strecke entgleisen. Sowohl am Bau als auch im Öffentlichen Dienst, treten die Gewerkschaften zwar selbstbewusst und streikbereit auf, das Fingerhakeln muss aber nicht wie bei der Bahn zu einem unwürdigen Dauer-Schauspiel geraten. So dürften die Gewerkschaften IG Bau und Verdi nach hartem Ringen dennoch je auf einen fairen Kompromiss abzielen, der die Arbeitgeberseite nicht bloß stellt. In beiden Tarifrunden wird eine Einigung für die Arbeitgeber wegen der höheren Inflation aber zumindest etwas teurer. Auch Streiks scheinen möglich zu sein, sollten sich aber im Rahmen halten. In der Tarifpolitik ist es wie im Leben: Man sieht sich oft mehrfach und sollte sich auch nach einem Konflikt noch in die Augen schauen können. Das scheint bei der Bahn schwer möglich zu sein.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden