Manch eine gute Nachricht hat es an sich, dass sie immer weniger gut klingt, je mehr man sie dreht, wendet und seziert. Eine solche Nachricht lief diese Woche über die Ticker: Ab Oktober hebt die Regierung die Verdienstgrenze für alle, die in einem Minijob arbeiten, auf 520 Euro an, analog zum Mindestlohn, der auf zwölf Euro steigen soll. Auf der Lohnabrechnung stehen also am Ende 70 Euro mehr im Monat, für Minijobber bedeute das "die Chance auf etwas mehr Netto", twitterte FDP-Chef Christian Lindner. Klingt doch gut. Oder?
Sicherlich, für die Studentin, die nebenbei kellnert, oder den Rentner, der sich sein Einkommen aufbessert, ist das erst einmal eine gute Nachricht. Wer in einem Minijob arbeitet, zahlt keine Steuern auf den Verdienst. Abgaben für Kranken-, Pflege- oder Arbeitslosenversicherung entfallen, Rentenbeiträge sind freiwillig. Brutto ist also gleich netto. Und 70 Euro mehr sind nicht nur in Zeiten von steigenden Gas- und Spritpreisen willkommen. Doch dieses kleine Plus ist auf lange Sicht teuer erkauft. Denn sobald es unruhig wird auf dem Arbeitsmarkt, offenbart sich die große Schwäche der Minijobs: So flexibel sie sind, so unsicher sind sie auch.
Verdienstgrenze für Minijobs soll auf 520 Euro steigen
Wohin das führen kann, hat die Corona-Krise gezeigt: In der Pandemie sind die Minijobber und Minijobberinnen die größten Verlierer auf dem Arbeitsmarkt. Viele standen im Lockdown von einem auf den anderen Tag auf der Straße. Während das Netz der sozialen Sicherung viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aufgefangen hat, etwa mit Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld, landeten Minijobber direkt auf dem harten Boden der Realität. Ihnen blieb meist nur die Grundsicherung.
Anders als der Name es vielleicht vermuten lässt, sind Minijobs keine Randerscheinung der Arbeitswelt. Rund sieben Millionen Menschen sind Minijobber oder Minijobberinnen, das ist rund ein Fünftel aller Arbeitnehmer. Für mehr als die Hälfte von ihnen – rund vier Millionen Personen – ist der Minijob die einzige Beschäftigung, der Lohn kein Zuverdienst, sondern dringend notwendiges Einkommen. Überproportional viele von ihnen sind Frauen und Mütter, für die sich ein Minijob wegen des Ehegattensplittings finanziell oft mehr lohnt, als eine Teilzeitstelle. Der Nachteil des vermeintlich attraktiven Modells: ein deutlich höheres Risiko, im Alter arm zu sein.
Überproportional viele Minijobber sind Frauen
Hebt die Regierung nun den Verdienst für Minijobs an, dann zementiert sie ein Modell, das auf lange Sicht fast ausschließlich Schaden bringt: den Beschäftigten, der Volkswirtschaft, dem Sozialstaat und letztlich auch den Unternehmen, denen in Krisenzeiten – wie aktuell in der Gastronomie – treue Kräfte verloren gehen. Nahezu alle Arbeitsmarktforschenden sprechen sich dafür aus, die geringfügige Beschäftigung abzuschaffen oder auf Gruppen wie Studierende und Rentner zu beschränken. Ersetzt werden könnte sie durch ein Modell, in dem Arbeit generell steuerpflichtig wird – bei niedrigen Summen aber auch mit einem sehr niedrigen Beitragssatz. Unter dem Strich würde den Beschäftigten ein ähnlich hoher Verdienst wie jetzt bleiben, gleichzeitig würde die harte Einkommensgrenze von 450 beziehungsweise 520 Euro nicht mehr gelten. Die Menschen könnten also mehr verdienen – was viele Minijobber Umfragen zufolge gerne wollen.
Auch SPD und die Grünen wollen die geringfügige Beschäftigung perspektivisch abschaffen. "Minijobs sind langfristig Mist", twitterte die SPD-Bundestagsfraktion noch im Mai 2021, vor der Bundestagswahl. Im Koalitionsvertrag findet sich – als Zugeständnis an die FDP – ein solches Vorhaben nicht mehr. Es ist eine der großen Schwächen des neuen Regierungsprogramms. Stattdessen verspricht der Vertrag, dass Minijobs nicht als Ersatz für reguläre Jobs missbraucht oder zur Armutsfalle vor allem für Frauen werden sollen. Wie das gehen soll, das lässt das Dokument jedoch offen.