Der Fachkräftemangel wird zur größten Herausforderung für Unternehmen. Denn es fehlen nicht nur Software-Experten, Pflegekräfte, Krankenschwestern, Ärzte, Metzger, Köche oder Bäcker: Die Mangelsituation ist umfassender, zum Teil dramatisch. Ein Termin bei einem Elektriker ist schon mal so schwer zu ergattern wie einer bei einem Hautarzt, wenn man Kassenpatient ist. Das vorhandene Personal ist vielfach gestresst.
Deutschland wirkt im Jahr eins nach der Pandemie in Schlüsselbereichen wie eine überforderte Nation. Das ist erst der Anfang einer sich zuspitzenden Entwicklung: Die Baby-Boomer gehen in Rente und es kommen nicht entsprechend viele junge Menschen nach. Die Gesellschaft wird grauer und grauer. Deutschland tappt in die demografische Falle. Das geschieht mit Ansage. Schon vor 20 Jahren haben sachkundige Menschen genau vor der misslichen Lage, die den Wirtschaftsstandort gefährden könnte, gewarnt. Wie es in reifen und träge gewordenen Volkswirtschaften und Staaten leider üblich ist, handeln politisch Verantwortliche, ob sie dem konservativen oder linken Lager angehören, ungern vorausschauend. Ihr politischer Zeithorizont beträgt höchstens ein, zwei Jahre.
Fachkräftemangel: Die Politik hätte Vereinbarkeit von Familie und Beruf priorisieren sollen
Erst wenn Krisen eintreten, bekommen Politikerinnen und Politiker Beine, wie die Pandemie und die Energiekrise gezeigt haben. Das Regierungs-Prinzip des Handelns auf den letzten Drücker ist angesichts der unabwendbaren demografischen Entwicklung besonders fatal. Denn die Verantwortlichen hätten schon vor 20 Jahren und früher dem Trend entgegenwirken müssen: Ein wirkungsvoller Hebel dazu ist eine gute Politik für Frauen. Der Staat hätte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einem vorrangigen Ziel machen müssen. Dazu gehören ausreichend Kita-Plätze und die Möglichkeit, Kinder auch möglichst früh und möglichst lange von gut bezahlten Fachkräften betreuen zu lassen. Dann fällt es Frauen leichter, voll zu arbeiten und sich nicht nur mit Teilzeit zu begnügen. Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, ist sich sicher, dass Frauen ein großes Arbeitskräfte-Reservoir darstellen.
Dass überall Jobs nicht besetzt werden können und zum Beispiel viele Restaurants wegen fehlender Köche und Servicekräfte nur noch vier, fünf Tage die Woche öffnen, liegt an einem weiteren fundamentalen Versagen der Politik: Schon vor Jahrzehnten hätte das Bekenntnis erfolgen müssen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Entsprechende Regelungen wurden aber gerade aus den Reihen der CDU und CSU blockiert. Das rächt sich nun und gefährdet Wohlstand wie die Existenz vor allem kleinerer Betriebe. Nur wer Migranten herzlich willkommen heißt und sie zu Fachkräften ausbildet, kann in einer alternden Gesellschaft bestehen.
Handwerksbetriebe haben große Probleme, Nachwuchs zu finden
Die Kette der Fehlleistungen ist lang. Eine besonders große Dummheit war es, die akademische Karriere zum Königsweg zu erklären und damit die duale Ausbildung abzuwerten. Das elitäre Gehabe zieht bereits katastrophale Folgen nach sich: Handwerksbetriebe haben große Probleme, ausreichend Nachwuchs und Nachfolger für die Firmen zu finden. Wer aber vor 20 Jahren auf die aufziehende Misere hingewiesen hat, wurde von Bildungspolitikern auch aus Reihen der CSU nicht ernst genommen. Der Arbeitskräftemangel ist also zum Teil hausgemacht. Unternehmen haben dazu beigetragen, indem sie Spezialisten in Krisen zu schnell entlassen oder zu bereitwillig in Altersteilzeit geschickt haben.