Manchmal wirft die Realität alle politischen Pläne über Bord. Als sich nach dem 11. März 2011 die japanischen Reaktorblöcke in Fukushima nach einem Tsunami in dampfende Ruinen verwandelten, machte die Bundesregierung unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel die gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke rückgängig. Ende 2022 sollte zurecht Schluss sein mit der Kernenergie in Deutschland. Inzwischen aber tobt ein Krieg Russlands gegen die Ukraine und die rot-grün-gelbe Bundesregierung muss überlegen, ob sie die Laufzeiten noch einmal verlängert. Soll sie das?
Die Antwort ist einfach. Falls der neue, zweite Stresstest der großen deutschen Netzbetreiber ergibt, dass die Atomkraftwerke für die Stabilität des Netzes im Winter wichtig sein werden, führt an längeren Laufzeiten kein Weg vorbei. Ist das Netz dagegen auch ohne die Meiler sicher, sollte man die Verlängerung bleiben lassen. Bayern steht dabei auch aufgrund eigener Versäumnisse unter besonderem Druck: Der Freistaat hat große Gaskraftwerke, die bei einem russischen Gas-Importstopp besonders betroffen wären, Kohlekraftwerke sind dagegen rar, das letzte Kernkraftwerk Isar 2 soll zum Jahresende abgeschaltet werden, trägt aber noch erheblich zur bayerischen Stromversorgung bei. Die Windkraft im Freistaat ist dagegen kaum ausgebaut, die großen Stromtrassen von Nord nach Süd kommen wohl erst zum Ende des Jahrzehnts.
Sind die AKW für eine sichere Stromversorgung zentral, müssen Grüne und SPD über ihren Schatten springen
Falls die Atomkraftwerke für eine stabile Stromversorgung zentral sind, muss die Ampel-Koalition über ihren Schatten springen. Selbst Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck hat angedeutet, dass er dazu bereit wäre. Der Schaden eines denkbaren Black-Outs wäre zu groß. Haushalte, Krankenhäuser, Schulen kann und will keiner ins Dunkle fallen lassen, auch wenn das Risiko bisher nicht so groß erscheint: Ein erster Stresstest ergab im Frühling, dass das Netz im Winter stabil ist, die Betreiber können zudem im Notfall einzelne Großverbraucher anweisen, den Verbrauch zu senken.
Die einfachste Lösung im Fall einer Laufzeitverlängerung wäre ein sogenannter Streckbetrieb über den Jahreswechsel hinweg bis hinein ins nächste Frühjahr. Dabei würde mit den bisherigen Brennstäben weitergearbeitet werden. In der Summe würde wohl nicht mehr Strom produziert werden. Im Sommer weniger, dafür mehr im Winter - also in der Zeit, in der er knapp ist.
Eine Laufzeitverlängerung muss so kurz wie möglich ausfallen
Schwieriger, aber effektiver wäre es, die Meiler noch einige Jahre in Betrieb zu halten. Neben den gesetzlichen Änderungen müssten die Betreiber neue Brennstäbe ordern, die inzwischen 13 Jahre alten Sicherheitsüberprüfungen müssen erneuert werden, Personal muss neu organisiert und gefunden werden. Derzeit stehen die Meiler allerdings nur für sechs Prozent der Stromversorgung ist Deutschland. Dieser Anteil könnte sich im Laufe des nächsten Jahres auch durch andere Quellen ersetzen lassen, beispielsweise, wenn die Versorgung Deutschlands mit Flüssiggas über neue Terminals an Fahrt gewinnt. Das Potential, mit dem AKW Gas zu sparen, halten Fachleute zudem für begrenzt.
Bei allen Überlegungen, über die jetzt Fachleute entscheiden müssen, muss politisch vor allem ein Grundsatz gelten: Die Laufzeitverlängerungen müssen so kurz wie möglich gehalten werden. Denn die gesammelten Probleme der Kernkraft gibt es nach wie vor. Sie existieren heute genauso wie vor über zehn Jahren zum Zeitpunkt des Unglücks in Fukushima.
Nichtsdestotrotz fordern die Unionsspitzen Friedrich Merz und Markus Söder eine Laufzeit-Verlängerung bis 2024.
Die Probleme gibt es nach wie vor – vom Unglücksrisiko bis zur Entsorgung
Ein Restrisiko der atomaren Technik bleibt, so sicher die deutschen Kraftwerke auch betrieben werden mögen. Die Welt ist zu komplex, als dass sich die letzte Eventualität vorhersehen ließe. Unfälle in der zivilen Nutzung der Kernkraft sind selten, ihre Folgen aber desaströs, wie sich in Japan und in Tschernobyl gezeigt hat. Zudem sind die Abfallstoffe der Nutzung hochgiftig, ihre Strahlung tödlich. Deutschland ist noch immer auf der Suche nach einen Endlager für abgebrannte Brennelemente. In Bayern hält sich die Begeisterung für solch ein Endlager in Grenzen.
Erst recht nicht in in Betracht kommen darf der Wiedereinstieg in die Kernenergie, wie sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eben in ihrer "Stuttgarter Erklärung" gefordert haben. Der Neubau vom Kernkraftwerken ist mit horrenden Kosten verbunden. Die Kraftwerke sind ebenfalls keine verlässlichen Energielieferanten, das zeigt sich gerade in Frankreich.
Deutschland hat mit seinen erneuerbaren Energien einen guten Kurs beschritten. Der Strom von Sonne und Wind trägt gerade in der jetzigen Situation zu einer günstigen Energieversorgung bei.