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Kommentar: Fehlende Arbeitskräfte werden zur Bedrohung für den Wohlstand

Kommentar

Fehlende Arbeitskräfte werden zur Bedrohung für den Wohlstand

Michael Kerler
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    In vielen Regionen sind Azubis händeringend gesucht. Für die Wirtschaft ist der Bewerbermangel ein Problem.
    In vielen Regionen sind Azubis händeringend gesucht. Für die Wirtschaft ist der Bewerbermangel ein Problem. Foto: Jens Kalaene, dpa

    Im Schatten des Ukraine-Krieges und der Corona-Krise bahnt sich ein massives volkswirtschaftliches Problem an. Der Fachkräftemangel in Deutschland wird seit Jahren beklagt, jetzt, vor allem aber in den kommenden Jahren bekommt er eine neue Dynamik und Schärfe. Das zeigt allein ein Blick auf den Ausbildungsmarkt. In Bayern kommen auf eine Bewerberin oder einen Bewerber rechnerisch fast zwei offene Lehrstellen. Ein großer Teil der Ausbildungsplätze wird im Herbst unbesetzt bleiben.

    Für die Bewerber ist dies eine erfreuliche Situation. Noch Ende der 90er oder Anfang der 00er Jahre lag die Arbeitslosigkeit massiv höher, Lehrstellen waren rar gesät und schwierig zu ergattern. Diese Situation hat sich komplett gedreht. Heute müssen Unternehmen um die jungen Leute werben. Was für Schülerinnen und Schüler paradiesische Zustände sind, ist aus wirtschaftlicher Sicht eine Notlage.

    Für Wohnungsbau und Energiewende sind Fachkräfte nötig

    Der Fachkräftemangel drückt längst an vielen Stellen. In den Altenheimen und Krankenhäusern fehlen Pflegerinnen und Pfleger, in der Logistik Lkw-Fahrer. In Kindergärten sind Erzieherinnen und Erzieher heiß gesucht, die Gastronomie klagt über Personalnot. Auf dem Land fehlen Ärztinnen und Ärzte, in der Autoindustrie IT-Kräfte.

    In Deutschland kommt der Fachkräfte-Engpass gerade äußerst ungelegen. Das Land will sich im Turbogang modernisieren. Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck muss in der Energiewende Tempo zulegen, auch, um uns unabhängiger zu machen von russischem Öl und Gas. Hunderttausende Heizungen müssen modernisiert werden, auf den Dächern soll die Photovoltaik-Anlage Standard werden. SPD-Bauministerin Klara Geywitz hat 400.000 neue Wohnungen jährlich angekündigt. Für diese Aufgaben müssen Handwerkerinnen und Handwerker zupacken. Diese klagen aber bereits heute über Nachwuchsmangel.

    Babyboomer gehen in Rente, der Fachkräftemangel wird verschärft

    Das Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge der 50er und 60er Jahren gehen in Pension und Rente. Um ihre Bezüge zu finanzieren, ist das Land auf eine prosperierende Wirtschaft angewiesen. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer müssen viele Stellen neu besetzt werden. Die Zahl der Schulabgänger aber sinkt, sie ging zwischen 2010 und 2021 um rund 11 Prozent auf rund 770.000 junge Menschen pro Jahr zurück.

    Dass alsbald wieder mehr Kinder im Land zur Welt kommen, dürfte unrealistisch sein. Vielleicht steigt die Zahl der Kinder wieder leicht an, die im Schnitt pro Frau in Deutschland geboren werden. Die Zahl an jungen Frauen ist aber durch den demographischen Wandel geringer als in früheren Jahrzehnten.

    Technologie und Einwanderung als Antworten auf den Fachkräftemangel

    Längst ist deshalb ein unguter Wettbewerb um die Schulabsolventinnen und Schulabsolventen entbrannt. Universitäten und Hochschulen suchen gute Studierende, Teile der Wirtschaft warnen dagegen vor der Akademisierung und werben für die Lehre. Die Strategie kann aber nur bedingt aufgehen. Sich die Fachkräfte von morgen gegenseitig abzujagen, ist ein Nullsummenspiel. Das Land braucht beides, Ingenieure und Praktiker.

    Längst ist die Not so groß, dass immer wieder ein späteres Renteneintrittsalter ins Spiel gebracht wird. Plakativ gesagt: Die Rente mit 70. In manchen Berufen mag es sein, dass ein gleitender, verlängerter Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand Sinn hat. SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil aber hat recht, wenn er sagt, dass man im Stahlwerk, als Polizistin oder Krankenschwester nicht bis 70 arbeiten kann.

    Der Ausweg aus der Fachkräfte-Krise ist nicht trivial. Wahrscheinlich ist ein Bündel an Ideen nötig. Zu einem großen Teil wird Technologie helfen. Beispielsweise Künstliche Intelligenz, die schneller und besser Versicherungsfälle bearbeitet als ein Mitarbeiter. Oder Industrieroboter, die bereits heute im Autowerk viele Aufgaben versehen. Dass aber eines Tages in den Seniorenheimen wie in Japan Kuschel-Roboter den betagten Menschen in die Hand gegeben werden, kann und will man sich nicht vorstellen.

    Letztlich wird sich das Land vor allem einer ehrlichen Debatte über Einwanderung stellen müssen. Die Bertelsmann-Stiftung schätze den Bedarf an Zuwandern einmal auf 260.000 Menschen im Jahr. Ohne Fachkräfte von außen wird es wohl nicht gehen. Dass damit aber ganz neue Fragen der Integration und des Wohnens verbunden sind, darf auch nicht verschwiegen werden.

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