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EZB-Chefin Lagarde muss jetzt behutsam Zinserhöhungen vorbereiten
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Lange hat Christine Lagarde versucht, die Inflation kleinzureden. Das funktioniert nicht mehr. Die Notenbankerin darf nun bei der Zinswende nicht länger zaudern.
Statt klare Worte zur Inflation und zu notwendigen Zinserhöhungen zu finden, beschäftigt sich Christine Lagarde lieber mit anderen Themen. So treibt die Präsidentin der Europäischen Zentralbank die Frage um, welche Persönlichkeiten einmal auf neuen Euro-Geldscheinen abgedruckt werden sollen. Sie nennt schon mal Ludwig van Beethoven, Leonardo da Vinci oder James Joyce.
Dabei wäre aus deutscher Sicht auch Johann Wolfgang von Goethe ein Top-Kandidat für den lustigen Wettbewerb, der sich „Europa sucht die Geldschein-Superstars“ nennen ließe. Der Dichter-Fürst soll einmal eine junge Frau beobachtet haben, die mit Eiern auf dem Teppich ein Muster gelegt hat und kunstvoll um die zerbrechlichen Gebilde herumtanzte. Daraus habe sich der Begriff „Eiertanz“ abgeleitet.
Die Bezeichnung passt leider perfekt zum Umgang von Lagarde mit der im Euro-Raum auf das Rekordhoch von 5,1 Prozent gestiegenen Inflation. Denn die Französin hat die Inflationsgefahren lange kleingeredet, indem sie die Teuer-ung als nur vorübergehendes Phänomen verharmloste. Längst ist Lagarde von der Realität eingeholt worden, verdrängt aber weiter das Problem, zumindest was ihren öffentlichen Äußerungen zu entnehmen ist. Ob sie bei der nächsten Ratssitzung der Europäischen Zentralbank im März für mehr Klarheit sorgt, ist so ungewiss wie generell die Politik der Notenbank.
Christine Lagarde darf nicht zu spät auf die Inflation reagieren
Der Inflationseiertanz geht weiter, während die Geldentwertung munter voranschreitet. Da platzt einigen Finanzkundigen aus Deutschland erwartungsgemäß der Kragen. CDU-Chef Friedrich Merz scheint das Thema Euro nicht mehr AfD und FDP überlassen zu wollen und kritisiert, die Notenbank habe den Einstieg aus dem Ausstieg der Niedrigzinspolitik verpasst, wobei ihm nur schwer zu widersprechen ist. Der Chefvolkswirt der DekaBank, Ulrich Kater, beobachtet einen „Realitätsverweigerung“ bei Lagarde. Doch die EZB-Chefin, eine erfahrene Beobachterin politischer und ökonomischer Vorgänge, hat sich nicht nur lange der Inflationsrealität entzogen, sie begeht überdies einen anderen, zutiefst menschlichen, aber unverzeihlichen Fehler: Lagarde sieht sich wie einst an der Spitze des Internationalen Währungsfonds in der EZB-Rolle mehr als Moderatorin und weniger als Klartext sprechende Präsidentin.
Doch was für den IWF passte, funktioniert als Notenbankerin nicht mehr. Denn Lagarde sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, deswegen nicht deutlicher die Risiken der Inflation zu benennen und die Zinswende einzuleiten, weil sie politische Rücksicht nimmt. Schließlich würden unausweichliche Zinserhöhungen chronische Schuldenländer wie Italien in Bedrängnis bringen. Das süße Leben der Euro-Finanzsünder stünde auf der Kippe. Doch die einer locker-lässigen Geldpolitik anhängenden Länder haben die Mehrheit im EZB-Rat. Deswegen drängt sich der Eindruck auf, Lagardes Eiertanz sei allein den Machtverhältnissen im Euro-Raum geschuldet.
Die EZB-Chefin muss die Zinswende einleiten
Eine Zentralbank-Präsidentin sollte aber unabhängig sein und darf keine politischen Rücksichten nehmen. Sie ist allein der Geldwertstabilität und nicht der Staatsfinanzierung verpflichtet. Mit ihrer zaudernden Haltung beschwört Lagarde eine große Gefahr herauf: Zu spät und zu heftig mit Zinserhöhungen auf die Teuerung zu reagieren, ist einer der schwersten Fehler, den eine Notenbank begehen kann. Gibt die EZB-Chefin nach langer Schleichtour plötzlich Vollgas, kann das zu Turbulenzen führen. Eine kluge Notenbank arbeitet wie eine gute Hebamme, die Eltern behutsam Schritt für Schritt auf eine Geburt vorbereitet. Und die nicht zu verhindernde Zinswende wird eine schwere Geburt.
Die Diskussion ist geschlossen.
Stefan Stahl wäre sicher ein guter Präsident der EZB. Ist er aber nicht. Und so bleibt ihm nur, exzellente Leitartikel zu schreiben, die geldpolitisch voll ins Schwarze treffen. Und das verdient allergrößte Anerkennung!
Herr Thürmer, ich habe Ihre vier Sätze jetzt zum wiederholten Male gelesen. Ich kann die Stelle einfach nicht finden, an der zu erkennen ist, dass Sie das nicht so meinen.