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Kommentar: Wieder Bahn-Streiks: Weselsky überzieht maßlos

Kommentar

Wieder Bahn-Streiks: Weselsky überzieht maßlos

Stefan Stahl
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    Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, will unbedingt die 35-Stunden-Woche durchsetzen.
    Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, will unbedingt die 35-Stunden-Woche durchsetzen. Foto: Robert Michael, dpa

    Es ist unglaublich, dass sich der Bahn-Vorstand und die Lokführer-Gewerkschaft GDL immer noch nicht auf einen Kompromiss verständigt haben, ja nun neue Streiks bevorstehen. Ein solches Maß an Einigungsverweigerung wirkt bizarr. Wie lange wollen Konzern-Personal-Boss Martin und Lokführer-Chef Claus Weselsky denn noch miteinander ringen, um sich in der Mitte, wo sie irgendwann ohnehin hinmüssen, zu treffen? Was kaum zu glauben ist: Die Streithähne haben seit 5. Februar nach einer langen Phase immer wieder aufflackernder Streiks ausgiebig verhandelt und hoch und heilig ein Schweigegelübde bis einschließlich 3. März abgelegt. 

    Das Verhältnis zwischen Bahn und GDL ist vergiftet

    Eines muss man Weselsky zugutehalten: Er hat sich strikt an die Schweigeauflage gehalten und erst am Montag nach Ablauf der Friedenspflicht die Presse informiert. Der GDL-Chef ist ein konsequenter Mensch, diesbezüglich eine Rarität in der stets überaus mitteilsamen deutschen Streit-Republik. Der Gewerkschafter äußert sich also erst jetzt zu den Hintergründen des überraschenden Abbruchs der Verhandlungen. Er stellte jedoch schon am Freitag entsetzt fest, dass die Nachricht des Scheiterns entgegen den Vereinbarungen mit der Bahn vor Montag ausgerechnet via Bild-Zeitung an die Öffentlichkeit gelangt ist. Wer Weselsky kennt, weiß jedoch, dass er diesem Medium schon lange keine Informationen mehr gibt. Dass die GDL-Führungsleute nun vermuten, der vorzeitige Abbruch der Gespräche sei an das Blatt seitens der Bahn durchgestochen worden, zeigt, wie vergiftet das Verhältnis zwischen beiden Parteien ist.

    Doch Tarifpartner können sich nicht wie Eheleute nach einem Rosenkrieg scheiden lassen und den Kontakt für immer abbrechen. Sie sind dazu verpflichtet, im Gespräch zu bleiben und auf Augenhöhe in Verhandlungen auszuloten, wie man bei allen Gegensätzen am Ende auf einen Nenner kommt. Das klappt in Deutschland meist gut. Hierzulande gibt es trotz Ausreißern wie bei der überaus konfliktträchtigen Bahn eine gediegene Tarifkultur, die sich über Jahrzehnte positiv entwickelt hat und sich auch international auf einem hohen Niveau befindet. Wie weitgehend geräuschlos Lohnverhandlungen über die Bühne gehen können, zeigte immer wieder die Chemie-Branche. Auch in der Metallindustrie haben die Verhandlungsführer beider Seiten während der Finanzmarkt- oder Coronakrise am Ende ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Realitätssinn bewiesen. 

    Tarifrunden bei der Bahn werden zum Trauerspiel

    Dass dies bei der Bahn nicht klappt und Tarifrunden oftmals einem Trauerspiel gleichen, hängt mit der besonderen Situation des Unternehmens und den männlichen Matadoren auf beiden Seiten zusammen. Einerseits befindet sich der Konzern in einem verheerenden Zustand. Die chronische Unpünktlichkeit der Bahn ist das Ergebnis jahrzehntelanger Unterfinanzierung durch die Politik und das Resultat langen Missmanagements. In einem solchen Unternehmen, für das es immer schwerer wird, ausreichend Personal und damit Lokführer zu finden, können die Verantwortlichen Maximalforderungen der Lokführer-Gewerkschaft GDL nicht einfach durchwinken. 

    Bahn-Personalvorstand Martin Seiler kann sich nicht mit Lokführer-Chef Claus Weselsky einigen.
    Bahn-Personalvorstand Martin Seiler kann sich nicht mit Lokführer-Chef Claus Weselsky einigen. Foto: Annette Riedl, dpa

    Seiler und Weselsky bräuchten eine Nachschulung

    Anderseits prallen mit Seiler und Weselsky zwei schwer erziehbare Männer aufeinander, deren Kompromisskünste dringend nachgeschult werden müssten. Selbst zwei angesehene Politiker wie der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther haben die beiden sturen Zeitgenossen zuletzt nicht als Moderatoren auf Abrüstungskurs schicken können. Der Konflikt eskaliert nun weiter. Das ist letztlich vor allem das Resultat wilder GDL-Träume. Die Lokführer-Gewerkschaft will schließlich partout die Wochenarbeitszeit im Schichtdienst von 38 auf 35 Stunden – und das bei vollem Lohnausgleich – absenken. Dies passt nicht in die Zeit der Arbeitskräfteknappheit. 

    Solche Forderungen nach einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung gehen für Arbeitgeber ans Eingemachte und lösen ihrerseits Abwehrreaktionen aus. Der ruppige Arbeitskampf in der Metallindustrie mit Streiks und Aussperrungen zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche dauerte 1984 fast sieben Wochen. Um ein derartiges, nicht in Zeiten der Rezession passendes Spektakel zu vermeiden, bleibt bei der Bahn im Sinne ohnehin geplagter Fahrgäste nur ein Ausweg: Da die beiden Polit-Moderatoren Seiler und Weselsky nicht bändigen konnten, müssen echte Schlichter ran, die am Ende den Parteien einen Kompromissvorschlag präsentieren und sie im Gegensatz zu Moderatoren unter Druck setzen können. Mit gutem Willen und Freundlichkeit allein lassen sich die verfahrenen Tarifverhandlungen bei der Bahn schon lange nicht mehr lösen.

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