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Kommentar: Die Forderung nach 10,5 Prozent mehr Lohn im Öffentlichen Dienst ist nicht von dieser Welt

Kommentar

Die Forderung nach 10,5 Prozent mehr Lohn im Öffentlichen Dienst ist nicht von dieser Welt

Stefan Stahl
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    Beschäftigte im Öffentlichen Dienst demonstrieren mit einem Verdi-Transparent mit der Aufschrift "10,5 %, Mind. 500 € mehr – Ist mehr für uns Alle".
    Beschäftigte im Öffentlichen Dienst demonstrieren mit einem Verdi-Transparent mit der Aufschrift "10,5 %, Mind. 500 € mehr – Ist mehr für uns Alle". Foto: Bodo Marks, dpa

    Optik ist auch in Tarifverhandlungen wichtig. Doch die 8,0 Prozent mehr Lohn zu fordern, was in Rekord-Inflationszeiten viele Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, musste es unbedingt zweistellig sein. Und das, obwohl die Teuerung von 7,9 Prozent im vergangenen Jahr 2023 nach Experten-Meinung Richtung fünf Prozent nach unten marschiert, ja vielleicht sogar bis zum Jahresende unter diese Marke fällt. Das hofft jedenfalls Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck

    Verdi-Chef Frank Werneke und Beamtenbund-Vorsitzender Ulrich Silberbach müssten angesichts der sich erkennbar abschwächenden Preissteigerung die Forderung aus dem vergangenen Jahr, als noch Inflationspanik herrschte, auf Metaller-Niveau runterdimmen. Doch das ist unüblich in Tarifbewegungen. Er herrscht die Devise: Was gesetzt ist, bleibt gesetzt. Somit ziehen die Gewerkschafter mit ihrem 10,5-Prozent-Traum automatisch Kritik auf sich und machen es der Arbeitgeberseite leicht, den Verhandlungspartner anzugreifen und auf die angespannte Haushaltslage zur verweisen.

    Psychologie ist in Tarifverhandlungen wichtig

    Neben der reinen Optik spielt Psychologie in Tarifverhandlungen eine zentrale Rolle. Denn Lohnerhöhungen müssen erkämpft werden. Und Forderungen dieser extremen Höhe führen unausweichlich zu zeitlich befristeten Warnstreiks. Die beiden Gewerkschaftsführer treiben also die Mitglieder, wie es im Tarif-Slang heißt, zwangsläufig auf die Bäume, also zu Arbeitsniederlegungen. Doch irgendwann muss man die Beschäftigten wieder runterholen. Das dürfte aber schwierig werden, wurden doch von den Gewerkschaften hohe Erwartungen bei ihnen geweckt. Wer eine so bombastische Lohnforderung in das Verhandlungs-Schaufenster stellt, könnte am Ende um einen richtigen Arbeitskampf nach einer Urabstimmung nicht umhinkommen. 

    Doch wenn Kitas länger geschlossen bleiben und der Müll tagelang nicht abgeholt wird, sinkt schnell die anfänglich bei vielen sicher vorhandene Sympathie für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes. Weil die Gewerkschaften flankierend mindestes 500 Euro mehr je Mitarbeiter fordern, provozieren sie, dass die Arbeitgeber nachrechnen. Das würde nämlich bedeuten, dass Beschäftigte unterer Lohngruppen auf einen Schlag eine Lohnerhöhung von rund 20 Prozent einstreichen. Das mögen sie für ihre Leistungen in Krisenzeiten verdient haben, angesichts der öffentlichen Kassenlage ist ein derartiger Super-Schluck aus der Lohnpulle illusorisch und nicht vertretbar. 

    Die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst könnte zum Politikum werden

    Am Ende könnte diese Tarifrunde für mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte zum Politikum werden. Denn ein überzogener Abschluss nach einem Arbeitskampf ist nicht im Interesse der Bundesregierung. Schließlich entlastet der Staat die Bürgerinnen und Bürger von den Auswirkungen der hohen Energiepreise und allgemein der Inflation mit fast 300 Milliarden Euro. Davon profitieren auch erheblich die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes. Der Scholz-Mehrfach-Wumms sollte also zwingend gegengerechnet werden. Doch das unterlassen die Gewerkschaften natürlich. 

    Dennoch müssen Werneke und Silberbach bis zur sicher wegweisenden dritten Tarifrunde im März die Kurve kriegen und abrüsten. Sonst laufen sie Gefahr, in den Geschichtsbüchern einmal mit dem Hardcore-Gewerkschafter Heinz Kluncker in einem Atemzug genannt zu werden. Der hatte 1974 zum Missfallen des damaligen Kanzlers Willy Brandt elf Prozent mehr Lohn erkämpft, nachdem Müllwerker und Straßenbahner drei Tage in den Ausstand getreten waren. Damit hat Kluncker seinem Parteifreund Brandt massiv geschadet. 

    Auch dem heutigen sozialdemokratischen Kanzler Olaf Scholz kann nicht an einer Eskalation des Tarifkonflikts im Öffentlichen Dienst und einem maßlosen Abschluss gelegen sein. Dabei ist es unstrittig, dass die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten verbessert werden müssen. Beamtenbund-Chef Silberbach hat recht: Die Ausstattung der Arbeitsplätze ist oft veraltet, die Arbeitsbelastung steigt, vielfach sinkt die Motivation und die Krankenstände sind hoch. Diese Zustände können nicht allein mit Lohnerhöhungen geheilt werden. Dafür bedarf es grundsätzlicher politischer Reformen, wie etwa der überfälligen Digitalisierung der Verwaltung und der Nachbesetzung zehntausender offener Stellen. Das kostet auch viel Geld. Die öffentlichen Arbeitgeber können nicht ihr ganzes Pulver für Lohnerhöhungen verschießen.

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