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Kommentar: Die Deutsche Konsum-Formel geht nicht mehr auf

Kommentar

Die Deutsche Konsum-Formel geht nicht mehr auf

Stefan Stahl
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    Wohnmobile stehen auf einer Autobahn im Stau. Der Wohnmobil-Boom geht weiter.
    Wohnmobile stehen auf einer Autobahn im Stau. Der Wohnmobil-Boom geht weiter. Foto: Mia Bucher, dpa (Symbolbild)

    Die deutsche Konsum-Stimmung wirft Fragen auf: Flugzeuge, Züge, Restaurants und Campingplätze sind bestens gebucht. Auf Autobahnen fuhren im Sommer gefühlt so viele Wohnmobile wie nie zuvor, ja es gab immer wieder regelrechte Caravan-Staus. Derweil wird auf Fahrradträgern vieler Autos eine teure Fracht transportiert, kostet doch ein E-Bike nach Berechnungen der Statistiker im Schnitt 2800 Euro und damit 250 Euro mehr als im Vorjahr. Zwei der Gefährte schlagen mit 5600 Euro zu Buche, oft mit erheblich mehr. 

    Wer sich zuletzt ein neues Auto gegönnt hat, gerne einen schweren SUV, hat dafür im Schnitt 42.790 Euro aufgebracht, viele griffen tiefer in die Tasche. Vor zehn Jahren waren das noch, wie Fachleute errechnet haben, nur rund 27.000 Euro. 

    Und wer sich für 45.000 Euro aufwärts zur Freizeit-Abrundung zusätzlich wie so manche ein Wohnmobil bestellte, kurbelt die Konjunktur allein durch seine Mobilitätsbedürfnisse einschließlich neuem Auto und zwei E-Bikes minimal mit fast 100.000 Euro an, Flug- und Zugreisen nicht mitgerechnet.

    Konsum: Ein Teil lässt es krachen, andere kommen gerade so über die Runden

    Da müsste es um die Konsumlaune der meisten Verbraucher, ja der Zufriedenheit der Menschen mit sich vorzüglich stehen. Wer so viel Dinge sein Eigen nennt, hat schließlich keinen Grund, verzagt zu sein. Ja, Deutschland würde die Schrecknisse der einengenden Corona-Zeit abstreifen, sich frei reisen, radeln und auf Autobahnen auch wieder rasen. Dazu dürfte die Versuchung, extreme Parteien und vorsätzliche Angstmacher wie die AfD zu wählen, nicht zu groß sein. 

    Doch diese Überfülle an Verbraucher-Glück ist – auch das zeigt das Studium diverser Branchen-Statistiken –, anders als es scheint, eben nicht so vielen Menschen wie in der Vor-Corona-Zeit vergönnt. So haben für die Wintersaison etwa 20 Prozent weniger Bürger bei Veranstaltern eine Reise gebucht als vor Corona. Die Branche macht mit ihnen aber spürbar mehr Umsatz, weil die Preise deutlich gegenüber 2019 und durch das massive Anziehen der Energiekosten gestiegen sind. Das erklärt, warum der deutsche Konsum-Papst Rolf Bürkl von einer „gemischten Verbraucher-Stimmung“ spricht. 

    Während es ein Teil der Konsumenten, darunter viele Erben, mit höheren Einkommen und Rücklagen krachen lässt und sich immer größere SUVs und Wohnmobile sowie kostspieligere E-Bikes kauft, ja zum neuen Kreuzfahrt-Boom beiträgt, verzichten andere und nicht wenige auf all das. Sie sind froh, wenn sie angesichts der Preissteigerungen, auch für das Wohnen, über die Runden kommen. 

    Die soziale Schere in Deutschland geht weiter auseinander

    Die alte deutsche Konsum-Formel funktioniert nicht mehr in dem Maße, wie sie es Jahrzehnte getan hat. Sie lautete: Günstige Discounter-Lebensmittelpreise und billige Energie schaffen den finanziellen Spielraum für das Reisen und den Kauf deutscher Premium-Autos.

    Die soziale Schere geht weiter auseinander, was für eine auf Konsum getrimmte Gesellschaft gefährlich ist. Abstiegsängste nehmen zu. Unsicherheit macht sich breit. Der Aufstieg der AfD geht nicht nur auf die Angst von Menschen vor Zuwanderung zurück. Insofern ist es fatal, wenn Bürkl für 2023 „die Hoffnung auf Erholung der Konsumstimmung begräbt“. Deutschland steckt weiter in einer Mini-Rezession. Eine kräftige konjunkturelle Erholung im kommenden Jahr deutet sich nicht an. Deswegen müssen Bundes- wie Landesregierung Bürgern vor allem Sicherheit vermitteln, offenen Streit partout vermeiden und eine klare Richtung vorgeben. 

    Wirtschaft ist oft sogar zu mehr als 50 Prozent Psychologie.

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