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Klimaschutz: Hilfe oder Ablasshandel? Münchner Firma berät zur Klimaneutralität und wird kritisiert

Klimaschutz

Hilfe oder Ablasshandel? Münchner Firma berät zur Klimaneutralität und wird kritisiert

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    In acht Jahren soll Deutschland zwei Drittel weniger Treibhausgase ausstoßen. Damit das gelingt, müssen auch Unternehmen mitarbeiten.
    In acht Jahren soll Deutschland zwei Drittel weniger Treibhausgase ausstoßen. Damit das gelingt, müssen auch Unternehmen mitarbeiten. Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild)

    Das Siegel "klimaneutral" klebt auf Shampoo-Flaschen und Milchpackungen. Hotels tragen es genau so wie Filzstifte. Vergeben wird es von einer Beratungsfirma aus München: Climate Partner heißt sie. Die Firma ist eine von mehreren, die es momentan gibt, die andere Unternehmen dabei beraten wollen, klimaneutral zu werden. Und die Nachfrage nach diesem Angebot wächst – aber es gibt auch kritische Stimmen.

    Nach den Klimazielen der Bundesregierung bleiben Deutschland noch knapp acht Jahre, dann sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um etwa zwei Drittel reduziert sein. Bis 2045 will Deutschland gar keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Damit das gelingt, müssen alle mitarbeiten. Privatpersonen und Unternehmen aus allen Branchen. Und dabei kommen die Münchner ins Spiel.

    Erst im Jahr 2018 wurde Climate Partner mit seiner Idee langsam erfolgreich

    2006 gründete Moritz Lehmkuhl Climate Partner. Damals arbeitete er vor allem mit Unternehmen aus der Druck-Branche zusammen. Dann wurde ihm klar, auch Firmen aus anderen Branchen werden ihren CO2-Ausstoß reduzieren müssen. Also stellte er sich breiter auf. Doch wirklich erfolgreich wurde Climate Partner erst im Laufe der vergangenen vier Jahre. So erzählt es Pressesprecher Dieter Niewierra. "Wir müssen zugeben, dass die Idee lange nicht richtig abgehoben ist", sagt er. Erst 2018, als durch die Streiks und Demonstrationen von Fridays for Future der Klimawandel immer mehr ins öffentliche Bewusstsein vordrang, stieg auch die Anzahl der Unternehmen, die sich von den Münchnern beraten lassen wollten. Inzwischen hat die Firma 13 Standorte, beschäftigt mehr als 500 Mitarbeiter und betreut über 5000 Kunden in 60 Ländern.

    Wer sich entscheidet, mit den Münchnern zusammenzuarbeiten, für den erstellen sie zuerst eine CO2-Bilanz, Darin steht entweder, wie viel CO2 das gesamte Unternehmen an welchen Stellen ausstößt. Oder welche Menge des schädlichen Klimagases ein Produkt verursacht – je nachdem, für welche Variante der Beratung sich die Firma entschieden hat. Als Grundlage der Berechnung dienen nach Angabe von Pressesprecher Niewierra verschiedene Unternehmensdaten. Etwa jene dazu, wie viel Kilowatt-Stunden Strom benötigt werden und wie viel Wasser. Aber auch Daten zur Mobilität der Belegschaft, zur Logistik oder zur Erzeugung der Produkte fließen in die Berechnung ein. Am Ende steht eine Summe: So viel Kohlendioxid fällt im Jahr an.

    Vermeiden, reduzieren, kompensieren – so werden Unternehmen klimaneutral

    Im zweiten Schritt, und das ist Niewarra wichtig zu betonen, wird überlegt, an welchen Stellen sich CO2 einsparen oder vermeiden ließe. "Wenn ein Unternehmen etwa auf Ökostrom umsteigt, ist der CO2-Abdruck auf einen Schlag viel geringer", macht er ein Beispiel. Das, was nicht eingespart oder vermieden werden kann, wird kompensiert. Das heißt, die Unternehmen kaufen sich für jedes verbleibende Kilogramm oder jede verbleibende Tonne CO2 ein Zertifikat. Mit diesem Geld werden dann Klimaschutzprojekte finanziert. Das kann mal der Bau von Windrädern sein, mal fließt das Geld in das Pflanzen oder Schützen von Wäldern und mal in sauberes Trinkwasser. Für die CO2-Bilanz bezahlen Unternehmen eine vierstellige Summe, sagt Niewierra. Für die CO2-Zertifikate zwischen 15 und 25 Euro je Tonne verbleibendem CO2 – je nachdem, an welchen Projekten sie sich beteiligen.

    Am Ende bekommen die Unternehmen – oder ihre Produkte – jenes Zertifikat, das sie als "klimaneutral" ausweist. Es gilt für ein Jahr, danach muss erneut bewertet werden. Doch Niewierra ist noch etwas wichtig: "Klimaneutrale Produkte oder Unternehmen gibt es nicht", sagt er. "Bei allem, was wir tun, entstehen Emissionen." Deshalb spricht er davon, dass Firmen oder Produkte klimaneutral gestellt werden. Und nimmt damit seinen Kritikerinnen und Kritikern das Wort aus dem Mund.

    Verbraucherschutzorganisation bemängelt: Klimaneutrale Produkte gibt es nicht

    Zu ihnen zählt zum Beispiel die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Sie verlieh einem Rewe-Produkt, dass von Climate Partner zertifiziert wurde, im vergangenen Jahr den negativen Preis "Goldener Windbeutel", mit dem sie Werbelügen ächtet.

    Der Haken liegt aus Sicht der Verbraucherschützer in der Kompensation. Wie gut die Projekte CO2 aus der Atmosphäre holen, lasse sich nur schwer nachweisen. Manuel Wiemann von Foodwatch zitiert dazu eine Studie des Öko-Instituts: "Diese hat gezeigt, dass nur zwei Prozent der Klimaschutzprojekte, die über solche Zertifikate finanziert werden, halten, was sie versprechen." Wiemann nennt Kompensationszahlungen deshalb auch Ablasshandel. "Die Firmen erkaufen sich ein reines Gewissen, ohne wirklich den eigenen CO2-Ausstoß reduzieren zu müssen", sagt er. Dieter Niewierra betont hingegen, dass die Kompensation immer nur der letzte Schritt sein könne. Davor stünden Reduktion und Vermeidung von CO2. Um das aber für Verbraucherinnen und Verbraucher verlässlich zu machen, fordert Foodwatch klare Regeln von der Politik, an die sich alle Unternehmen halten müssen, unabhängig davon, ob sie ein Siegel tragen oder nicht.

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