"Wohlstand erneuern" lautet der Titel des gerade erst vorgestellten Jahreswirtschaftsberichtes der Bundesregierung. Das erste Jahr der Ampel-Koalition stand im Zeichen von Krieg und "Zeitenwende". Dabei ist das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP angetreten, um mehr "Fortschritt zu wagen". Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Er muss nach der eingehegten, aber noch nicht ausgestandenen Energiekrise unter erschwerten Bedingungen den Industriestandort Deutschland erhalten und zugleich klimafreundlich transformieren. Das geht nicht ohne Inspiration von außen. Aber wer sind die Köpfe hinter Habeck?
1. Patrick Graichen – der Mann für die Details der Energiewende
Patrick Graichen ist einer der besten Kenner des Energiesystems in Deutschland und mit einem robusten Selbstvertrauen ausgestattet. Seine Mission ist es, dem Industrieland in rasendem Tempo das Kohlendioxid auszutreiben. Graichen hat über zehn Jahre im Umweltministerium gearbeitet und das bekommen die Unternehmen zu spüren.
Die Rettung des Planeten steht im Zweifel über wirtschaftlichen Interessen. Energieversorger sollen sich zum Beispiel nicht darauf verlassen, dass sie auf staatliche Entschädigung hoffen können, wenn alte Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden. Im lange von Union und FDP geführten Ministerium hat der 50-jährige Grüne nicht nur Freunde. "Dem ist es doch wurscht, wenn Industriebetriebe dichtmachen müssen. Hauptsache der CO₂-Ausstoß sinkt", sagt eine hochrangige Beamtin im Schutze der Anonymität. Graichen musste nach dem Energieschock infolge des Ukrainekrieges gegen seine eigenen Überzeugungen handeln.
Bei den Detail-Verhandlungen mit den Atomkonzernen über Brennstäbe, Laufzeiten und Strommengen ruckelte es gewaltig. Habecks Energiestaatssekretär hat sich um die Einzelheiten in den Gesetzespaketen gekümmert, die den Ausbau von Windrädern und Solarfeldern Flügel verleihen sollen. Bisher ist vom Habeck-Effekt aber noch nichts zu spüren, der für dieses Jahr prognostizierte Ausbau bleibt hinter den Zielen zurück. Diese Zahlen sind jetzt Graichens Zahlen. Seine Schwester ist übrigens mit Michael Kellner verheiratet, einem anderen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Im Haus wird deshalb über den Graichen-Kellner-Clan gelästert.
2. RWE-Chef Markus Krebber – vom Feindbild zum Verbündeten der Grünen-Spitze
Weil er das Örtchen Lützerath wegbaggern lässt, ist der Energiekonzern RWE mit seinem Chef Markus Krebber auf der Feindbild-Skala der Klimaaktivisten wieder steil nach oben geschossen. Auch Abgeordnete der Grünen-Bundestagsfraktion stellten sich der Räumung des Weilers durch die Polizei entgegen und warfen RWE Profitgier auf Kosten des Klimas vor.
Doch der Bundeswirtschaftsminister verteidigte trotz des enormen Drucks aus dem eigenen Lager den mit Krebber geschlossenen Deal. Lützerath muss weichen, im Gegenzug schließt RWE acht Jahre früher seine Tagebaue und Kohlekraftwerke im Rheinischen Revier. Schon heute ist der Konzern einer der größten Grünstromproduzenten Europas, Krebber wird in den kommenden Jahren Milliarden in Windparks und Solarfelder stecken.
In Zeiten der Energiekrise ist der Vorstandsvorsitzende einer der wichtigsten Ansprechpartner Habecks aus der Wirtschaft und einer der Bosse, der den engsten Kontakt zu dem Minister pflegt. Krebber fliegt mit zu den Scheichs nach Katar, er kauft Flüssiggas LNG in Amerika und erklärt ihm, an welchen Stellen die Bürokratie den Ausbau der Erneuerbaren bremst. Wie sein Vorgänger Rolf Martin Schmitz bemüht sich der RWE-Chef um gute Beziehungen zur Politik. Nur wenige Unternehmen sind den Launen der Gesetzgeber derart ausgesetzt wie die des Energiesektors.
3. Klaus Müller – der Gasmann Habecks
Als Russland im letzten Jahr schleichend weniger Gas nach Deutschland schickte und die Preise explodierten, verging fast kein Tag, an dem Robert Habeck nicht mit Klaus Müller telefonierte. Der Chef der Bundesnetzagentur wäre bei einem akuten Gasmangel nämlich zuständig für die Verteilung des knappen Brennstoffs an Verbraucher und Industrie – Abschaltungen von Betrieben inklusive.
Diese Notsituation konnte abgewendet werden, weil Müller und seine Beamten arbeiteten wie noch nie. Sie erstellten ein Kataster über die Gas-Großverbraucher aus der Industrie, gaben täglich Updates über den Füllstand der Speicher. Die halbe Nation schaute in den dramatischen Monaten bange auf die Grafik. Die Netzagentur verwaltete auch als Treuhänderin die enteignete Deutschlandtochter des russischen Energieriesen Gazprom. Müller übernahm für Habeck noch die Rolle des Sparfuchses, der die Deutschen daran erinnerte, die Heizung runterzudrehen, um Gas zu sparen. Sollten Februar und März kalt werden, wird sich Müller wieder zu Wort melden. Habeck kann sich auf ihn verlassen, wenn es in der Politik so etwas wie Freundschaften gibt, dann verbindet die beiden Männer eine.
4. Mariana Mazzucato – viel diskutierte Ökonomin und Verfechterin eines starken Staates
Die Italo-Amerikanerin Mariana Mazzucato ist nach Habecks viel zitiertem eigenem Bekunden eine der sieben Frauen, die sein Leben verändert hätten. Hat er mal der myself, einem sogenannten "Magazin für starke Frauen" gesagt. Man darf also unproblematisch schlussfolgern, dass die Professorin für Innovationsökonomie und Public Value am renommierten University College London Einfluss auf den Wirtschaftsminister hat. Ob das gut oder schlecht ist, darüber wird immer kontroverser diskutiert.
Denn an der schon zur "Starökonomin" hochgejazzten 54-Jährigen scheiden sich durchaus die (wirtschaftlichen) Geister. Ihre Kernthese lautet, grosso modo, dass der Staat mehr lenken möge, sprich – verkürzt – mehr staatliche Industriepolitik. In ihrem jüngsten Buch "Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft", fordert die von vielen Regierungen gebuchte Beraterin, dass der Staat sich selbst verwandeln müsse – "in eine innovative Organisation mit der Kompetenz und den Fähigkeiten, die Wirtschaft zu beleben und zu mehr Zweckorientiertheit zu katalysieren". Der Staat möge nicht nur dafür herhalten, Marktversagen zu korrigieren, er soll in Zeiten des drohenden Klimakollaps ambitionierte Ziele definieren, eben eine "Mission". So wie einst John F. Kennedy, der 1962 den amerikanischen Aufbruch zum Mond verkündete.
Noch nicht als Habecksche Mondfahrt, aber vielleicht doch als von Mazzucato inspirierten Schub, könnte man diese BMWK-Idee interpretieren: Um die Dekarbonisierung der Industrie voranzubringen, will das Ministerium in diesem Jahr mit großen CO₂-Emittenten aus der Industrie Klimaschutzverträge schließen. Ziel: Sie sollen die Mehrkosten ausgleichen, die für eine klimafreundlichere Produktion entstehen. Für bis zu 15 Jahre. Durch diese Anstoßförderung sollen so "neue, transformative Technologien" im Kampf gegen die Klimakrise "sehr viel schneller marktfähig" werden.