Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Klimapolitik: Das Aus des Verbrenners wurde in Straßburg so gut wie besiegelt

Klimapolitik

Das Aus des Verbrenners wurde in Straßburg so gut wie besiegelt

    • |
    Ab 2035 sollen neu gebaute Autos kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. das sieht eine Gesetzesvorlage des EU-Parlaments vor.
    Ab 2035 sollen neu gebaute Autos kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. das sieht eine Gesetzesvorlage des EU-Parlaments vor. Foto: Alexander Rüsche, dpa (Archivbild)

    Die Bedeutung des Polit-Krimis ließ sich schon am vollen Plenarsaal ablesen. Es kommt selten vor, dass fast alle 750 Plätze im EU-Parlament besetzt sind. Doch die Fraktionen hatten ihre Abgeordneten nach Straßburg beordert, jedes Votum zählte bei diesem historischen Abstimmungsmarathon über das so wichtige wie umfangreiche Klimapaket von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, das den sportlich anmutenden Titel „Fit for 55“ trägt.

    Um acht Gesetzesvorhaben ging es am Mittwoch, 1265 Änderungsanträge lagen vor. Dementsprechend lang wurde der Tag, dementsprechend angespannt war die Stimmung. Die Schlüsselabstimmungen versprachen, knapp zu werden, darunter das Votum um die sogenannten Flottengrenzwerte, die festlegen, wie viel Kohlenstoffdioxid die Modelle der Autohersteller ausstoßen dürfen.

    Green Deal soll Europa klimaneutral machen

    Die Kommission hatte empfohlen, den CO2-Grenzwert für Fahrzeuge so schnell zu verschärfen, dass ab 2035 nur noch Autos und kleine Nutzfahrzeuge neu zugelassen werden dürfen, die überhaupt kein CO2 mehr erzeugen. Das De-facto-Verbot des Verbrenners gehört zu den tragenden Säulen des Grünen Deals, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral werden will. Und es setzte sich im Parlament unter Applaus durch. Man habe klargemacht, dass „der Fokus in Zukunft auf der Elektromobilität liegen soll“, lobte der EU-Parlamentarier Michael Bloss von den Grünen. „Noch können wir den Klimakollaps aufhalten und die Autoindustrie kann dabei eine zentrale Rolle spielen.“ Wer jetzt noch auf den Verbrennungsmotor setze, „schade der Industrie, dem Klima und verstößt gegen europäisches Recht“.

    Zu den Kritikern des Vorstoßes, die bis zuletzt für ihren Änderungsantrag kämpften, gehört der CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke. Die Christdemokraten hatten gefordert, die Grenzwerte bis 2035 nur um 90 Prozent statt um 100 Prozent zu senken. „Ein Technologiemix ist besser als ein einseitiges Verbot“, hatte Gieseke die Alternative beworben. Ohne Erfolg. Nach der Abstimmung zeigte er sich enttäuscht: „Damit ist weder dem Weltklima noch der europäischen Wettbewerbsfähigkeit geholfen.“ Stattdessen nehme man „den Verlust von bis zu einer halben Million Arbeitsplätzen billigend in Kauf“. Für die Zulieferindustrie sei die Entscheidung „ein Schlag ins Kontor“.

    Noch müssen Mitgliedsstaaten dem Gesetz zustimmen

    Als „Innovationskiller“ bezeichnete der Europaparlamentarier Jan-Christoph Oetjen (FDP) das faktische Verbot für den Verkauf von Benzin- und Dieselautos. „Statt mit allen möglichen Mitteln unsere Klimaziele technologieoffen zu erreichen, werden unsinnige Pauschalverbote beschlossen.“ Die EU-Abgeordnete Angelika Niebler (CSU) trommelte ebenfalls bis zuletzt für „Technologieoffenheit“. Sie fürchte, „dass man sich mit Blick auf den Riesenbedarf an Strom wieder einseitig abhängig macht“. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, müssen noch die 27 Mitgliedstaaten zustimmen. 

    Die Konservativen und Liberalen verloren zudem mit ihrer Forderung, Fahrzeugherstellern die Möglichkeit zu geben, die in der EU verbrauchten synthetischen Kraftstoffe auf ihre Grenzwerte anrechnen zu können. Synthetische Kraftstoffe aus regenerativen Energien, sogenannte E-Fuels, setzen im Verbrennungsmotor nur so viel Kohlendioxid wieder frei, wie sie zuvor verarbeitet haben. Die EU-Kommission aber, so Niebler, „misst immer nur die CO2-Emissionen am Auspuff“. Das sei „eine Milchmädchenrechnung“.

    "Schwarzer Tag für Klimaanstrengungen"

    Bereits am Mittag wurde das mächtigste Instrument des Klimapakets, die Reform des Emissionshandelssystems (ETS), abgeschmettert. Im Anschluss an das Votum, bei der die Mehrheit eine geplante Ausweitung des Systems auf Gebäude und Verkehr abgelehnt hatte, kochten die Emotionen über. „Es ist eine Schande“, schimpfte der EU-Parlamentarier Peter Liese (CDU), der im Umweltausschuss verantwortlich für den Kompromiss war. Dieser hätte mehr Klimaschutz bedeutet. Weil der vorgelegte Entwurf vom Parlament zunächst mit Hilfe der Konservativen abgeschwächt wurde, entzogen Sozialdemokraten und Grüne ihre Stimmen – und ließen das Gesetz durchfallen. Danach schob man sich gegenseitig die Schuld am Scheitern zu. Nun geht es zurück an das Komitee, wo man um eine mehrheitsfähige Position ringen will.

    Verschoben wurde unter anderem die Abstimmung über die Einführung eines Grenzausgleichmechanismus, im abkürzungsverliebten Brüssel CBAM getauft. Martin Schirdewan von den Linken kritisierte, man verliere nun „wichtige Zeit im Kampf gegen den Klimawandel“. Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken sprach von einem „schwarzen Tag für die Klimaanstrengungen“ des Parlaments und warf den Christdemokraten vor, den europäischen Grünen Deal sabotieren zu wollen mit dem seiner Meinung nach „verwässerten“ Vorschlag der Kommission.

    Autohersteller leisten Widerstand

    Die hatte vergangenes Jahr Pläne zur Verschärfung des ETS präsentiert, um das Ziel zu erreichen, die CO2-Emissionen in diesem Jahrzehnt um mindestens 55 Prozent zu senken. Dafür forderte die Behörde zum einen die Ausweitung des Systems auf weitere Sektoren, zum anderen die Abschaffung der kostenlosen Verschmutzungsrechte für Branchen, die besonders viel Kohlendioxid ausstoßen wie die Stahl- oder Zementindustrie. Sie erhalten derzeit die meisten ihrer CO2-Zertifikate kostenlos. Das soll etwa verhindern, dass Unternehmen von außerhalb der EU einen Wettbewerbsvorteil genießen, weil sie unter laxeren Klimaregeln produzieren.

    Nun soll der Grenzausgleich, eine Art CO2-Zoll für unter weniger strengen Klima-Vorschriften produzierende Firmen aus dem Nicht-EU-Ausland, die kostenlose Zertifikatszuteilung ablösen, sodass bis 2030 die Unternehmen nur noch halb so viele Gratis-Verschmutzungsrechte wie heute bekämen. Die Industrie leistete dagegen massiven Widerstand. Ob Automobilhersteller, Stahlproduzenten oder Chemieunternehmen – sie schickten ihre Armada an Interessenvertreter gen Brüssel zum Klinkenputzen. Bloss beklagte einen „Lobbysturm aufs EU-Parlament“.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden