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Lesetipp: Eine Tour übers Land: Dahin, wo die Energiewende knirscht

Lesetipp

Eine Tour übers Land: Dahin, wo die Energiewende knirscht

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    „I brauch koi Windrad“: Viele Menschen in Ettelried stellen sich gegen die geplanten Anlagen im Wald vor ihrer Haustür.
    „I brauch koi Windrad“: Viele Menschen in Ettelried stellen sich gegen die geplanten Anlagen im Wald vor ihrer Haustür. Foto: Marcus Merk (Archivbild)

    Bauer Christian Hannig aus Pilgerndorf hat sich etwas in den Kopf gesetzt, was es bisher in Bayern praktisch nicht gibt. Er will auf seinen Acker eine große Solaranlage stellen und trotzdem Getreide anbauen. Hannigs Hof liegt in der Fränkischen Schweiz, wo sie viel Braugerste brauchen für das süffige Bier. Seit 1861 ist er in Familienhand. Hannig ist kein Bio-Bauer. 80 Milchkühe stehen im Stall – tagaus, tagein. Hannig ist aber grün angehaucht. Er baut das alte Getreide Dinkel wieder an, der Müller mahlt es und der Bäcker backt Brot daraus. Was der steinige Boden hergibt, soll den Leuten vor Ort zugutekommen. 

    Christian Hannig hält Milchvieh. Und er möchte Solarstrom erzeugen.
    Christian Hannig hält Milchvieh. Und er möchte Solarstrom erzeugen. Foto: Christian Grimm

    Stünde auf seinem Feld nun eine Solaranlage, bekäme der Bäcker weniger Dinkelmehl oder die Kühe in Hannigs Stall weniger Futter, was er beides nicht will. Pilgerndorf liegt in einem schmalen Kerbtal. 120 Einwohner, eine Kapelle, von den zwei Kneipen hat noch eine zweimal die Woche geöffnet. Wegen Corona bleiben die Biertrinker zu Hause. Die Sonne kommt nicht recht nach Pilgerndorf. Die Höhen schirmen es ab. Der Schnee hält sich noch, wenn er woanders längst geschmolzen ist. Doch oben auf dem Hügel hat Christian Hannig einen kleinen Schatz. Eine Fläche, die von morgens bis abends von Sonne beschienen wird. Vom Wald gesäumt und keine Häuser weit und breit, deren Besitzer sich beschweren könnten. 

    Er will Bauer sein und gleichzeitig Stromerzeuger

    Hier will der Bauer die Solaranlage auf zwölf Hektar bauen lassen. Er hatte, so erzählt er es, Angebote von drei Solarunternehmen. „Es gibt ja Karten mit den optimalen Standorten, rein wirtschaftlich hätte ich es sofort machen und verpachten müssen.“ Er lehnte ab. Weil sonst bei den Leuten weniger auf dem Teller und im Glas landen würde – Brot, Milch oder Bier. Doch ganz wollte er die Idee nicht aufgeben, den optimalen Standort auch zur Energieerzeugung zu nutzen.

    Hannig wird dabei auf Hürden stoßen, mit denen er nicht gerechnet hat. Ein Phänomen, das symptomatisch ist für die deutsche Energiewende.

    Die Bundesregierung hat das Ziel, das Land bis 2045 klimaneutral zu machen. Ohne den Ausbau erneuerbarer Energien wird diese Rechnung nicht aufgehen. Grünen-Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck kündigte deshalb an, das Ausbautempo für Sonnen- und Windstrom verdreifachen zu wollen. Ein ambitionierter Plan, wenn man weiß, wie groß mancherorts die Skepsis selbst gegen Solaranlagen auf den Feldern ist. Weil sie das Landschaftsbild ändern. Oder weil dort dann keine Lebensmittel mehr angebaut werden können.

    Bauer Hannig will diese Konkurrenz von Stromerzeugung und Lebensmittelanbau von Beginn an vermeiden. Dafür wird er bald auf ganz neue Probleme stoßen. 

    Wie eine herkömmliche Solaranlage sieht das nicht aus

    Hannig stöbert im Internet und findet die Lösung. Sie heißt Agri Photovoltaik. Die Solarmodule werden in einigen Metern Höhe aufgebockt, sodass darunter weiter das Feld bestellt werden kann. Auf dem Tisch im Esszimmer liegt eine Risszeichnung, über die der 42-Jährige mit dem Finger fährt. Aus der Wandnische blicken Marienfiguren milde herab. Die schwarzen, dünnen Linien zeigen ein Konstrukt, das aussieht wie der Dachstuhl eines flachen Dachs. Neben der Senkrechten steht die Zahl 5. „Es sind fünf Meter. Das reicht aber nicht, ich brauche sieben Meter.“ So hoch müssten die Module über der Erde schweben, damit der Landwirt mit seinen großen Maschinen hindurchfahren könnte. Damit Licht und Regen den Boden erreichen, braucht es andere Module als die glitzernden Rechtecke, die sonst zum Einsatz kommen. 

    Landwirt Christian Hannig mit einem der modernen Solarmodule.
    Landwirt Christian Hannig mit einem der modernen Solarmodule. Foto: Christian Grimm

    Hannig hat einen Prototypen auf dem Hof stehen. Er sieht aus wie der Lattenrost eines Bettes, nur dass anstelle flacher Streben runde Röhren eingedreht sind. TubeSolar aus Augsburg baut die Röhren. Das Unternehmen ging aus Osram hervor und es ist wohl kein Zufall, dass sie aussehen wie schwarze Neonleuchten. Bisher arbeiten die Augsburger an einer Pilotanlage in Weihenstephan, Pilgerndorf wäre die Probe, ob Agri Photovoltaik in großem Maßstab funktioniert. Hannig rechnet mit Erträgen von 70 Prozent. Die Anlage bauen will die Solarfirma Südwerk aus Burgkunstadt. Der Chef veranschlagt acht bis zehn Millionen Euro dafür. Hannig bekäme jedes Jahr eine ordentliche Pacht.

    Die Geschichte könnte hier zu Ende sein: Ein Bauer, der weiter mehr Bauer sein will und weniger Stromerzeuger. Solartechnik aus Schwaben, Bier aus Franken. Die Leichtbauweise von der Firma entworfen, die schon das elegante Dach des Münchner Olympiastadions geplant hat. Aber da es um die Energiewende geht, um Landwirtschaft und die Geschichte in Deutschland spielt, wird es kompliziert. 

    Denn unter Hannigs Schatz liegt ein weiterer Schatz – Sandstein. Direkt neben dem Acker wird er gebrochen in einem tiefen Loch. Der Sandstein hat dort Vorrang vor dem Sonnenstrom. So steht es in der regionalen Flächenplanung. Wenn die Besitzer des Steinbruchs es wollen, können sie Hannig stoppen. Die Flächenplanung zu ändern, dauert zwei, drei Jahre – im schnellsten Fall. Also müssen sich Bauer und Steinbrecher einigen. Ein erstes Gespräch lief nicht gut, aber nach einer weiteren Runde ist Hannig optimistisch. „Sie stehen grundsätzlich zu dem Projekt.“ Hannig würde ihnen im Gegenzug drei Hektar seines Landes für 20 Jahre überlassen, aus dem Stein gesprengt werden könnte. Am Ende müsste der Stadtrat des Bergstädtchens Hollfeld zustimmen, zu dem Pilgerndorf gehört. Hannig ist selbst Stadtrat, hat also einen gewissen Einfluss. Seinen Amtskollegen hat er seine Idee schon beim Frühschoppen nähergebracht, wie es in der Fränkischen Schweiz üblich ist.

    Bei Prämien hofft der Bauer auf den Landwirtschaftsminister

    Doch nicht nur der Sandstein steht Hannigs Projekt im Wege, sondern auch die Agrarförderung. Deutschlands Bauern hängen an Zuschüssen der EU. Wenn Hannig auf sein Feld eine Photovoltaik-Anlage stellen lässt, verwirkt er den Anspruch auf das Geld. Er hat es ausgerechnet. 4000 Euro Betriebsprämie, knapp 1000 Euro Ausgleichzulage und 2000 Euro aus dem bayerischen Programm für die Landwirte. Macht in der Summe 7000 Euro pro Jahr für die zwölf Hektar. Er könnte natürlich, wenn die Anlage kommt, trotzdem Getreide säen, nur ohne Förderung. Hannig erhofft sich von Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, dass er den Förderengpass beseitigt: „Die Politik sollte uns die Prämien zahlen.“ Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Badum war auf dem Hannig-Hof. Sie will, dass die Ampel das Problem der Zuschüsse anpackt und Sonnenstrom und Ackerbau unter eine Solaranlage bringt. „Die landwirtschaftliche Förderung darf bei einer Nutzung der Fläche mit Freiflächen-Photovoltaik nicht komplett wegfallen“, sagt sie. „Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Agri-PV-Anlagen stärker zu fördern.“ 

    So kennt man Photovoltaik-Anlagen.
    So kennt man Photovoltaik-Anlagen. Foto: Wolfgang Widemann (Symbolbild)

    Die Probleme des Solarprojekts in Franken sind aber fast gering verglichen mit den Widerständen, denen sich Windradplaner in Bayern gegenübersehen. Das zeigt ein Beispiel im Kreis Augsburg.

    Dort hat die Firma Juwi Großes vor. Bei Ettelried, einem Ortsteil der 6500-Einwohner-Gemeinde Dinkelscherben, will sie einen Windpark bauen. Anfangs sollten es zehn 250 Meter hohe Windradriesen werden. Weil der Wind in den westlichen Wäldern nicht stärker weht, müsse man in die Höhe bauen, erklärte der Investor. Die Windräder wären wohl die höchsten Bauten im Landkreis.

    Angesichts großer Widerstände in der Bevölkerung gegen Windräder hatte Bayern noch unter dem früheren CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer eine Regel eingeführt, dass der Abstand eines Windrads zum nächsten Dorf mindestens das Zehnfache der Höhe betragen muss. Die 10H-Regel hat den Ausbau im Freistaat zum Erliegen gebracht. Zwar können Windräder auch mit geringerem Abstand zum Dorf errichtet werden. Die Gemeinden müssten aber aktiv Baurecht dafür schaffen. Welche Bürgermeisterin und welcher Bürgermeister will sich diese Debatte antun? 

    In Ettelried müssten die geplanten Windräder 2,5 Kilometer von den Häusern entfernt stehen. Nicht alle der anfangs geplanten Anlagen würden diesen Abstand einhalten. 

    Windkraft "für die Kinder und Enkelkinder"

    Seitdem die Pläne auf dem Tisch liegen, spalten sie die Gemeinde. Der Investor verspricht: Sauberer Strom für über 16.000 Haushalte pro Jahr, Einsparung von mehr als 37.000 Tonnen CO2. Obendrauf satte Gewerbesteuer-Einnahmen für die hoch verschuldete Gemeinde. Für viele Dinkelscherber klingt das gut. Eine parteiübergreifende Gruppe setzt sich für das Projekt ein. Eine der Initiatorinnen ist Friederike Graß, die aus der Nähe des Hambacher Forsts stammt. Dort wurden ganze Ortschaften weggebaggert, um Braunkohle zu fördern. Auch das Haus ihrer Großeltern sei abgerissen worden. Deshalb wird die Dinkelscherberin grundsätzlich: „Es geht um die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.“

    Ein Satz, den fast genauso die Windkraftgegner gerne bemühen. Die Zukunft, das ist für sie aber der Wald. „Er ist die grüne Lunge und unser Wasserspeicher“, sagt Nikolaus Kugelmann, einer der zahlreichen Gegner des Projekts. Inzwischen gibt es einen Verein mit mehr als 100 Mitgliedern, die meisten kommen aus dem kleinen Ettelried. Beinahe vor jedem Haus in der Hauptstraße finden sich Plakate. „Wir wollen Dorf bleiben“, steht da. Oder: „I bin a Dorfkind, darauf bin i stolz, und i brauch koi Windrad in unserm schönen Holz.“ Der Ort mit knapp 400 Einwohnern ist zum Protest-Dorf geworden, auch wenn sie diesen Begriff in

    Seit 2014 gilt in Bayern die 10H-Regel für Windräder.
    Seit 2014 gilt in Bayern die 10H-Regel für Windräder. Foto: Alexander Kaya

    Auf dem Dorfplatz stellten die Ettelrieder kleine Holzkreuze auf. Sie sollten für die vielen Bäume stehen, die weichen müssen, sollten die 250 Meter hohen Windräder im Wald gebaut werden. Dauerhaft gerodet werden müsste eine Fläche von 0,5 Hektar je Anlage. Aktuell gibt es im Pfarrheim eine Ausstellung: „Windenergie im Lebensraum Wald“. Sie handelt von Tierarten, denen durch einen Windpark Lebensraum genommen würde. Greifvögel, Insekten, Fledermäuse.

    Bayern will die 10H-Regel und trotzdem mehr Windräder

    Windenergie sei „aktiver Klima- und Artenschutz“, sagen dagegen die Planer. Mitte des Jahres will Juwi einen Antrag zur Genehmigung des Windparks stellen. Doch der sieht anders aus als ursprünglich angenommen. Augenscheinlich zeigte der Gegenwind aus der Bevölkerung Wirkung. „

    Ob Photovoltaik, ob Windkraft: Überall gibt es legitime Einwände. Ob das Land aber in diesem Tempo bei dem Großprojekt Energiewende weiterkommt? Nach einer Verdreifachung des Ausbautempos sieht es bisher nicht aus. Kürzlich ist Habeck zu Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder gefahren, um über die Probleme zu reden. Söder ist 10H heilig, Habeck muss dagegen Tempo machen. Jetzt will Bayern der Bundesregierung bis März einen Plan vorlegen, wie trotz der 10H-Regel Windräder im Freistaat entstehen können.

    In Ettelried werden sie dies genau beobachten. 

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