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Kinderbetreuung: Job oder Kinder?

Kinderbetreuung

Job oder Kinder?

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    Wenn im Kindergarten kein Personal da ist, müssen Eltern mit der Betreuungszeit jonglieren.
    Wenn im Kindergarten kein Personal da ist, müssen Eltern mit der Betreuungszeit jonglieren. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Die Ampel in der Kindergarten-App steht auf Rot. Für die Eltern bedeutet das: Heute wird nur eine Notbetreuung angeboten, und das auch nur bis mittags. Die Nachmittagsbetreuung entfällt komplett. Für zwei der fünf Gruppen ist gar kein Personal da. „Wer kann, wird gebeten, sein Kind zu Hause zu betreuen“, steht in der App. Das kommt in letzter Zeit häufiger vor in dem Kindergarten im Kreis Würzburgdenn wie in praktisch jeder Betreuungseinrichtung ist das Personal knapp.

    Die Kindergartenleitung hat sich deshalb das Ampel-Konzept überlegt, um die Eltern zumindest schnell über die Ausfälle zu informieren. Es handelt sich beileibe nicht um einen Einzelfall. „Wir erleben gerade die Entprofessionalisierung der Pädagogik. Die Arbeitsbedingungen werden immer prekärer und die Bezahlung ist schlecht“, sagt Heike Schmitt, Heilpädagogin aus Randersacker bei Würzburg. „Von einem Erzieher-Gehalt kann man keine Familie ernähren.“

    Eine gemeinsame Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) und des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gibt ihr Recht: Demnach verdienen Beschäftigte im sozialen Sektor in Deutschland durchschnittlich 17 Prozent weniger als Beschäftigte in anderen Sektoren. „Vollzeittätigkeiten im sozialen Sektor werden monetär offensichtlich geringer wertgeschätzt als in anderen Branchen“, sagt DRK-Bereichsleiter Joß Steinke. Er sieht vor allem die Politik in der Pflicht: „Die zentrale Frage ist: Wie viel ist der soziale Sektor der Gesellschaft wert?

    Wer keinen Betreuungsplatz bekommt, kann klagen

    Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen deutschlandweit in den Bereichen Kinderbetreuung und Erziehung sowie Sozialarbeit und Sozialpädagogik jeweils 20.000 Fachkräfte. Viele Kommunen versuchen dem zu begegnen, indem sie die Kindergartengruppen vergrößern – doch das überfordert viele Kinder. Zudem setzen immer mehr Kindergärten auf ungelernte Quereinsteiger – ein Umstand, den Heilpädagogin Schmitt scharf kritisiert: „Man würde ja auch nicht zum Bäcker gehen, um sein Auto reparieren zu lassen.“

    Um überhaupt einen Betreuungsplatz für ihr Kind zu bekommen, müssen Eltern sich frühzeitig in verschiedenen Einrichtungen bewerben und sich persönlich vorstellen. Zum Zuge kommt dabei trotzdem nicht jeder: So haben laut einer Erhebung des Bundesfamilienministeriums 49,1 Prozent der Eltern von unter dreijährigen Kindern Bedarf an einem Betreuungsplatz angemeldet – die Betreuungsquote liegt aber nur bei 35,5 Prozent.

    Grundsätzlich haben Eltern die Möglichkeit, die jeweilige Kommune zu verklagen, wenn kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird. Denn in Deutschland gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz – seit 2013 auch für unter dreijährige Kinder. „Kommt die Stadt beziehungsweise Gemeinde ihrer gesetzlichen Pflicht nicht nach, sollte man dagegen vorgehen“, rät Markus Decker, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Decker & Böse.

    Kinder mit größerem Förderbedarf leiden besonders

    „Wenn einem durch das fehlende Betreuungsangebot finanzielle Schäden entstehen, kann man diese geltend machen“, so Decker. Dazu gehörten einerseits Ersatzansprüche aus Verdienstausfall und auf der anderen Seite Mehrkosten für eine meist teure alternative Betreuung des Kindes in privaten Einrichtungen oder durch Tagesmütter.

    Allerdings gelten für eine Klage auch gewisse Voraussetzungen: So müssten sich die Eltern selbst um einen Platz in einer Kita bemüht haben, die ihnen zumutbar ist. Als Richtwert gelte hier in der Regel, dass die Einrichtung im Umkreis von fünf Kilometern zum Wohnort liegt oder mit dem ÖPNV in 30 Minuten erreichbar ist.

    Man müsse nicht jede Einrichtung kontaktieren, die diese Kriterien erfüllt, rät die Kanzlei. Aber es sollte nicht nur eine sein. Werden die Anfragen abgelehnt, muss erst Widerspruch eingelegt werden, bevor geklagt werden kann. Grundsätzlich gilt: Die Korrespondenz am besten schriftlich führen. Das helfe, wenn später Nachweise erbracht werden sollen.

    Besonders prekär wird die Situation für Eltern, wenn ihre Kinder besonderen Förderbedarf haben, weil sie etwa bei der Sprach- oder Persönlichkeitsentwicklung hinterherhinken. Dafür gibt es eigentlich die sogenannte Frühförderung – doch auf einen entsprechenden Platz müssen Familien mitunter über ein Jahr warten. „Die betroffenen Kinder brauchen innerhalb von Wochen Hilfe“, betont Heilpädagogin Heike Schmitt. „Ein Jahr auf Frühförderung zu warten, ist für die Kinder fatal. Das hat Auswirkungen auf den Rest ihres Lebens.“ Vieles lasse sich irgendwann nicht mehr aufholen, warnt die Expertin. „Dadurch ziehen sich die Probleme in die Grundschulen hinein.“

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