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Justiz: Steuerskandal: „Mister Cum-Ex“ Hanno Berger wird der Prozess gemacht

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Steuerskandal: „Mister Cum-Ex“ Hanno Berger wird der Prozess gemacht

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    Hanno Berger im Dezember 2020. Damals besuchten wir „Mister Cum-Ex“ in seinem Exil in den Schweizer Bergen. Ab diesem Montag steht er in Bonn vor Gericht.
    Hanno Berger im Dezember 2020. Damals besuchten wir „Mister Cum-Ex“ in seinem Exil in den Schweizer Bergen. Ab diesem Montag steht er in Bonn vor Gericht. Foto: Michael Stifter

    Mehr als neun Jahre lang hat sich Hanno Berger auf diesen Tag vorbereitet. Geradezu besessen davon, seine Unschuld zu beweisen, hat der Mann, den sie „Mister Cum-Ex“ nennen, Paragrafen und Urteile gewälzt, sich Argumente zurechtgelegt. Dabei war längst nicht klar, ob sich die Schlüsselfigur im größten Steuerskandal der deutschen Geschichte jemals in einem Prozess verantworten muss. An diesem Montag nun soll der 71-Jährige im Bonner Landgericht auf der Anklagebank sitzen. Es geht um den Verdacht der millionenschweren Steuerhinterziehung.

    Mehr als neun Jahre lebte "Mister Cum-Ex" Hanno Berger im Schweizer Exil

    Aber der Reihe nach: Als die dubiosen Geschäfte im Jahr 2012 auffliegen und die Ermittler in Frankfurt zur Razzia in Bergers Büros und seinen Privaträumen anrücken, setzt sich der einst hoch angesehene Steueranwalt in sein Schweizer Feriendomizil im Kanton Graubünden ab.

    Obwohl es einen internationalen Haftbefehl gibt, geht er bis zum Schluss davon aus, dass die Schweiz ihn nicht ausliefern wird – fest überzeugt davon, dass die große Steuertrickserei, die er bis ins letzte Detail perfektioniert hatte, allenfalls moralisch fragwürdig, aber niemals illegal gewesen sein kann.

    Und doch verbringt er fortan seine Tage und manchmal auch seine Nächte in den Schweizer Bergen damit, Belege dafür zu suchen, dass man ihn nicht dafür belangen darf, wenn er eine Lücke im Gesetz zu seinen Gunsten und zum Vorteil seiner Mandanten ausgenutzt hat.

    Wie der Steuerprüfer zum "Staatsfeind Nummer 1" wurde

    Um zu verstehen, wie Hanno Berger zum „Staatsfeind Nummer 1“ wurde, muss man wissen, dass der Pastorensohn, der in seiner Jugend Bachsonaten auf der Violine gespielt und Altgriechisch gelernt hatte, einst der ranghöchste Steuer-Bankprüfer Hessens war. Die dicken Fische in der Branche zitterten vor seiner Expertise – bis er eines Tages die Seiten wechselte und zum Steuerhelden der Reichen und der Konzerne wurde.

    Bei Cum-Ex-Geschäften geht es, vereinfacht gesagt, darum, rund um den Tag der Hauptversammlung, an dem Börsenkonzerne einen Teil ihrer Gewinne ausschütten, mit deren Papieren zu handeln. Auf diese sogenannten Dividenden werden Abgaben fällig, die sich der Käufer später via Steuererklärung wieder erstatten lassen kann.

    Da heute ja nur noch digital gehandelt wird, wechseln die Aktien in Sekundenbruchteilen immer wieder den Besitzer. Und so kann nachher niemand mehr genau sagen, wem die Papiere in jenem Augenblick gehört haben, in dem die steuerpflichtige Gewinnausschüttung erfolgte. Das für den Staat verheerende Ergebnis: Mehrere Aktionäre konnten gleichzeitig für einen Unternehmensanteil Eigentumsansprüche erheben – und damit auch die vermeintlich bezahlten Kapitalertragsteuern geltend machen.

    Das Cum-Ex-Schlupfloch kostete Staaten Milliarden an Steuereinnahmen

    Bis das Schlupfloch 2012 abgedichtet wurde, hatten Staaten weltweit schon Milliardensummen verloren. Berger ist bis heute davon überzeugt, dass diese offenkundige Schweinerei nicht strafbar war. Während die Öffentlichkeit längst ihr Urteil über den Steuertrick, den Berger lieber „Steuergestaltung“ nennt, gefällt hat, fühlt er selbst sich als Opfer eines Justizskandals. „Für mich gibt es kein Gesetz mehr in Deutschland, ich bin vogelfrei“, sagte er, als wir ihn im Dezember 2020 zwei Tage lang in seinem Schweizer Exil besuchten.

    „Wir haben dieses System zigfach auseinandergenommen und immer feiner durch die Mühlen gemahlen, bis wir hundertprozentig sicher waren, dass es legal ist“, betonte Berger damals. Und wer einmal ein paar Stunden mit ihm zusammengesessen und über rechtliche Grauzonen, Gesetz und Moral diskutiert hat, musste beinahe zu dem Eindruck kommen, dass er sich wahnsinnig auf den Tag freut, an dem er endlich vor Gericht seine Argumente auf den Tisch knallen kann. Doch in der Realität entwickeln sich die Dinge dann eben oft doch ein bisschen anders.

    Seit Wochen sitzt Hanno Berger in der JVA Frankfurt I

    Einem ersten Prozess in Wiesbaden vor einem Jahr blieb er – mit Verweis auf seine angeschlagene Gesundheit – noch fern. Er hätte damit rechnen müssen, an der Grenze festgenommen zu werden. Damals schien eine Auslieferung nach Deutschland noch fern. Doch seit einigen Wochen sitzt der Mann, der einst in den Chefetagen großer Konzerne ein- und ausging und über beste politische Kontakte verfügte, in der JVA Frankfurt I in Untersuchungshaft – in einem der härtesten Gefängnisse Deutschlands, wie Insider berichten.

    Mitte vergangenen Jahres hatte ihn die Schweizer Polizei in seinem Ferienhaus in den Bergen verhaftet. Ende Februar wurde er ausgeliefert und in Konstanz Beamten des Bundeskriminalamtes übergeben. Nun muss er sich zwei Prozessen – in Bonn und ab 12. April auch in Wiesbaden – stellen. Berger drohen viele Jahre Gefängnis. Der Bundesgerichtshof stellte im vergangenen Jahr klar, dass Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung zu bewerten und damit strafbar sind.

    Die Anwälte von "Mister Cum-Ex" warfen vor dem Prozess das Handtuch

    Was also ist von der einstigen Siegessicherheit geblieben? Das wird sich womöglich an diesem Montag im Gerichtssaal zeigen. Fest steht bereits, dass seine drei Wahlverteidiger Richard Beyer, Kai Schaffelhuber und Sebastian Gassmann kürzlich das Handtuch geworfen haben.

    Nun könnte man sagen, dass einer wie Hanno Berger womöglich gar keine Anwälte braucht, weil er sich wie kaum ein Zweiter im Steuerrecht auskennt und sich schließlich jahrelang auf diese Auseinandersetzung vorbereitet hat. Doch in den Gesprächen mit ihm wurde immer wieder deutlich, wie wenig er darauf vorbereitet war, mit welch harten Bandagen im Strafrecht gestritten wird.

    Dass sich nun zwei frisch eingestiegene Pflichtverteidiger der beiden hochkomplexen Verfahren annehmen müssen, macht Bergers Lage zumindest nicht einfacher. Auf dem Papier ist er nur einer von bundesweit mehr als 1300 Beschuldigten in diesem Steuerskandal – aber eben der prominenteste. Für die Öffentlichkeit wird er wohl für immer „Mister Cum-Ex“ bleiben.

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