Drehende Windräder, davor ein großes Solarfeld, auf das die Sonne kräftig scheint. So sieht die Vorstellung eines Ausbaus mit erneuerbaren Energien aus. In manchen Regionen Deutschlands ist dieses Bild bereits immer häufiger Realität, anderswo verläuft die Energiewende eher schleppend. Können die diesjährigen Ausbauziele erreicht werden?
Die gute Nachricht zuerst: Deutschland hat das diesjährige Ausbauziel in der Solarenergie bereits erreicht. Bei der Windenergie hingegen rückt das anvisierte Ziel beim derzeitigen Tempo in weite Ferne. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von 2023 hatte die Bundesregierung konkrete Etappen für den Ausbau der regenerativen Energieerzeuger bis 2030 festgehalten. Bis dahin sollen 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs mit regenerativen Energiequellen gedeckt werden. Für 2024 sieht das EEG eine installierte Leistung von Windenergieanlagen an Land von 69 Gigawatt (GW) vor. Windanlagen auf See sollen bis 2030 mindestens 30 GW Leistung erbringen. Bei Solaranlagen liegt das Ausbauziel für 2024 bei einer Gesamtleistung für 88 GW in der Spitze, Biomasseanlagen sollen bis 2030 eine Leistung von 8400 Megawatt (MW) erbringen.
57 Prozent des Stroms waren im ersten Halbjahr aus erneuerbaren Energien
Wie Zahlen des Umweltbundesamtes und der Bundesnetzagentur aus dem ersten Halbjahr von 2024 zeigen, deckten die erneuerbaren Energien 57 Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland ab. Das ist eine Steigerung um neun Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Der Bruttostromverbrauch beinhaltet auch den Strom, den Kraftwerke selbst verbrauchen sowie die Verluste, die im Netz entstehen.
Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2024 rund 147 Terawattstunden (TWh) Leistung aus erneuerbaren Energien erzeugt, im gleichen Zeitraum im Vorjahr waren es 135 TWh. Dies war unter anderem bedingt durch windreiche Wintermonate sowie den Zubau an Wind- und Fotovoltaik-Anlagen. Das verregnete Frühjahr führte zudem zu einem Anstieg der Stromproduktion bei Wasserkraftwerken um 12 Prozent. „Wir sind mittlerweile bei Fotovoltaik auf einem Entwicklungspfad, der fast schon in Richtung exponentielles Wachstum geht“, fasst Marian Rappl, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), zusammen. In weiteren Bereichen sei man ebenfalls „mit Vollgas unterwegs“.
Deutschland wird PV-Ausbauziele in diesem Jahr voraussichtlich erreichen
Was den Ausbau von PV-Anlagen angeht, zeigt sich auch Professor Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg optimistisch: „Bei PV sieht es so aus, als würden wir die Ziele gut erreichen“. Bis zur Jahreshälfte kamen in Deutschland laut Bundeswirtschaftsministerium etwa 516.000 neue Solaranlagen mit einer Leistung von mehr als 7,5 Gigawatt dazu. Damit fehlen nach Einschätzung des ISE-Experten noch 5 GW, um das Zubauziel von 12,5 GW für 2024 zu erreichen. Gleichwohl gebe es derzeit eine Flaute beim Solar-Zubau, so der Freiburger Experte. Bis 2030 sollen Solaranlagen in Deutschland eine installierte Leistung von 215 GW erreichen, 90 GW sind schon installiert.
Bei der Windenergie an Land hingegen ist noch die Handbremse angezogen. Derzeit sind in diesem Jahr lediglich Anlagen mit 0,9 Gigawatt Leistung ans Netz gegangen, das Ziel für dieses Jahr ist mit 7 GW jedoch ein Vielfaches. „Da treten wir auf der Stelle“, erklärt Burger. Es seien zwar viele neue Windräder genehmigt worden, allerdings müssen diese erst noch gebaut werden. Dort gebe es unter anderem aber Lieferschwierigkeiten und Probleme beim Transport der Windflügel wegen Baustellen auf der A27. Neben den am häufigsten diskutierten Vertretern der erneuerbaren Energien, also Solar und Wind, wird auch Biomasse und Wasser zur Energiegewinnung genutzt. Biomasse ist Burger zufolge bereits „voll ausgebaut“ und befinde sich mittlerweile eher auf dem Rückgang. Auch bei Wasserkraftwerken seien fast alle verfügbaren Kapazitäten ausgeschöpft.
Netzausbau: „Wie eine Operation am offenen Herzen“
In Bayern ist die Tendenz ähnlich wie in der gesamten Bundesrepublik: Während im ersten Halbjahr insgesamt knapp 27.000 Megawatt (MW) an Leistung dazukamen, steuern Windkraftanlagen mit etwa 2700 MW lediglich einen geringen Anteil bei. „Im Bereich der Windenergie würde in Bayern noch mehr gehen, das ist klar“, bestätigt Rappl vom VBEW. Auch wenn es ertragreicher wäre, in der Nordsee Offshore-Windanlagen zu bauen, sei die Windkraft in Bayern auch notwendig. „Wir müssen das System auf mehrere Pfeiler aufbauen“, betont der VBEW-Geschäftsführer.
Der nächste Knackpunkt ist das Netz. „Der Netzausbau ist der Schlüssel zur Energiewende“, fasst Rappl zusammen. Am Netz hängt es, wie viel des regenerativ produzierten Stroms eingespeist und genutzt werden kann. Doch der Ausbau für entsprechende Kapazitäten kann mit dem massiven Zubau an Erzeugung kaum mithalten. „Der zunehmende Stromverbrauch wurde im Szenariorahmen für den Netzentwicklungsplan lange zu gering eingeschätzt“, erklärt Burger vom Fraunhofer-Institut ISE. Darauf basierend berechnete die Bundesnetzagentur den Netzentwicklungsplan mit falschen Annahmen. „Das fällt uns jetzt auf die Füße.“ Besonders auf dem Land sei es oft so, dass die Leitungen überlastet sind und die Netzbetreiber die Einspeisung begrenzen müssen. „Das Problem ist bekannt und die Netzbetreiber arbeiten daran“, sagt Burger. Dem ISE-Experten zufolge werde der Stromverbrauch weiter zunehmen, unter anderem für Wärmepumpen zum Heizen und Elektroautos zum Laden.
Gleichwohl sei das Netz ein äußerst komplexes Gesamtsystem, erklärt Rappl vom VBEW, denn auch das Übertragungsnetz, sowie die Verteilnetze und Ortsnetze müssten beim Netzausbau stets betrachtet werden. Sie alle bleiben während des Ausbaus in Betrieb und müssen dies auch sein. Rappl vergleicht: „Es ist wie eine Operation am offenen Herzen.“
Redispatch und Stromhandel als Maßnahme bei zu viel Strom
Gerade wenn in den Sommermonaten die Sonne täglich auf die Solaranlagen scheint, scheint eine komplette Versorgung mit erneuerbaren Energien trotz des teilweise schleppenden Ausbaus greifbar nahe. Doch was passiert, wenn der produzierte Strom nicht genutzt werden kann? Zum einen werden dann die Pump- und Batteriespeicher geladen, erklärt der Freiburger Energieexperte. Sie werden wieder entladen, wenn Sonne, Wind und Wasser zu wenig Strom produzieren. Jedoch haben diese Speicher heute noch eine zu geringe Speicherkapazität.
Da kommt der Stromhandel ins Spiel. „Wir sind integriert in den europäischen Strommarkt“, sagt Burger, „über die Mittagszeit exportieren wir Strom, abends importieren wir.“ Sollten trotz des Stromexports immer noch so hohe Überschüsse da sein, dass eine Überlastung des Netzes droht, werden die Energieanlagen gedrosselt oder abgeschaltet, „Redispatch“ in der Fachsprache genannt. Gleiches gilt, wenn die Speicherkapazität erschöpft ist. Die Drosselungen oder Abschaltungen kommen im Sommer fast täglich vor, schätzt der ISE-Experte. „Es ist zwar schade um den Strom, aber auf der anderen Seite: Gas- und Kohlekraftwerke laufen auch nicht rund um die Uhr mit voller Leistung“, argumentiert Burger. Wenn kein Abnehmer da sei, müsse die Leistung begrenzt werden.
Danke für diesen Artikel mit aufschlussreichem Inhalt! Der Windkraftausbau schwächelt in Deutschland. Doch in fast allen Bundesländern bemüht man sich. So wurden im 1. Halbjahr 2024 laut Marktstammdatenregister deutschlandweit 897 neue Windkraftanlagen mit einer Leistung von 5.0021 Megawatt (5 GW) genehmigt. In Deutschlands Schlusslicht, unserem Bundesland Bayern, allerdings nur 16 Anlagen. Also keine 2 Prozent. Wir brauchen mehr gut geregelte Marktwirtschaft im Elektrizitätsbereich. Dazu gehört die Auflösung der einheitlichen Strompreiszone und die Bildung lokaler Strompreise. So entstehen starke Anreize Stromproduktion und Stromverbrauch zusammenzubringen und die volkswirtschaftlichen Verluste durch Abregeln und Einsatz teurer Ausgleichskraftwerke zu verringern.
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