Irland hat derzeit Probleme, von denen andere europäische Länder nur träumen können. Während die meisten Staaten sparen müssen, schöpft Republik aus dem Vollen. In diesem Jahr rechnet die Regierung mit einem Haushaltsüberschuss von mehr als acht Milliarden Euro. Jetzt kommen noch einmal 13 Milliarden Euro hinzu. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs muss diese Summe zähneknirschend vom US-Technologiegiganten Apple zurückfordern. Nun stellt sich die Frage: wohin mit dem vielen Geld?
Jüngst diskutierte das EU-Parlament in Straßburg erneut über die Folgen des wegweisenden Urteils. Jahrelang hatte die EU-Kommission mit Apple gestritten. Die Behörde ist überzeugt, dass Irland dem Unternehmen mit Steuervergünstigungen rechtswidrige Beihilfen gewährt hat. Der EuGH bestätigte diese Auffassung. Billy Kelleher, irischer Politiker und Mitglied des Europaparlaments, sagte in der Debatte: „Wir akzeptieren das EuGH-Urteil.“ Er wies aber darauf hin, dass Apple aus Sicht der Iren keine Briefkastenfirma sei, sondern „ein echtes, greifbares Unternehmen“, das in Cork 6000 Menschen beschäftige.
Ausländische Unternehmen sorgen für einen Geldregen
Tatsächlich sind es nicht irische Firmen, die dem Land den Geldsegen bescheren. Vielmehr hat der Unternehmenssteuersatz, der mit 12,5 Prozent zu den niedrigsten der Welt zählt, zahlreiche internationale Konzerne insbesondere aus den USA auf die Insel gelockt. Sie verbuchen einen Teil ihrer Gewinne, etwa aus dem Europageschäft, über Irland. Der Staat „habe sich darauf konzentriert, ausländische Unternehmen in bestimmten Schlüsselbranchen wie Pharma, Medizintechnik und IT anzuziehen”, sagt Seamus Coffey vom University College Cork unserer Redaktion, darunter Pfizer, Apple, Microsoft, Intel und Google. Im vergangenen Jahr spülte die Unternehmenssteuer fast 24 Milliarden Euro in die Staatskasse.
Der aus den Steuereinnahmen und der rigiden Sparpolitik der Iren resultierende Haushaltsüberschuss stellte die Regierung von Premierminister Simon Harris schon vor dem EuGH-Urteil vor Herausforderungen. Nun muss Dublin entscheiden, wofür es die 13 Milliarden ausgibt, die es eigentlich gar nicht haben wollte. Das Problem: „Da die irische Wirtschaft bereits gut dasteht, könnten zusätzliche staatliche Ausgabenprogramme die Inflation anheizen”, sagt Coffey. Deshalb müsse genau überlegt werden, wie das Geld jetzt eingesetzt werde. Nun ist die irische Regierung grundsätzlich übereingekommen, die Steuereinnahmen in den Wohnungsbau, in Straßen und in die Wasserinfrastruktur zu investieren.
Irland ist ein Einwanderungsland geworden
Noch vor zehn Jahren wären solche „Luxusprobleme“, wie die Financial Times die Situation umschrieb, für die Bürger der Republik wohl schlicht unvorstellbar gewesen. Der irische Immobiliencrash von 2008 hatte die Banken des Landes in den Abgrund gerissen und Irland an den Rand des Staatsbankrotts getrieben. Bautätigkeit und Steuereinnahmen brachen ein, die Arbeitslosigkeit auf der Insel stieg drastisch an. Irland benötigte internationale Finanzhilfen von mehr als 80 Milliarden Euro. Die EU, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) eilten Dublin zu Hilfe.
Doch das Land erholte sich schneller als erwartet von der tiefen Rezession und überstand auch die Corona-Pandemie besser als viele andere Länder. Dabei verfolgten die Regierungen eine bewährte Strategie: niedrige Unternehmenssteuern. Das macht Irland zwar stark abhängig von ausländischen Großkonzernen, wie Eoin McLaughlin von der Heriot-Watt University in Edinburgh sagt. Zudem führt es zu Wettbewerbsverzerrungen, wie die EU beklagt. Aber bisher ging die Rechnung für den Staat auf: Die Unternehmen brachten nicht nur Steuern ins Land, sondern auch Know-how und Arbeitsplätze. „Irland ist ein attraktives Ziel für hoch qualifizierte Einwanderer geworden“, sagt Coffey.
Doch die Zuwanderung brachte auch Herausforderungen mit sich, vor allem im Wohnungsbau. „Die Kapazitäten haben mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt gehalten.“ Viele Menschen können sich die Mieten in der Hauptstadt Dublin, aber auch im Rest des Landes kaum noch leisten. Würde das Geld in neue, bezahlbare Wohnungen gesteckt, wären die 13 Milliarden Euro also gut angelegt, sagt McLaughlin. Das Problem: Dafür braucht man Arbeitskräfte, und diese seien in Irland wie in vielen anderen Ländern knapp. Da die Nachfrage das Angebot übersteigen würde, „könnten diese Projekte sehr teuer werden, sodass man wenig für sein Geld bekommt“.
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