Ist der Börsenboom in Deutschland schon wieder vorbei? Nach dem Rekordstand 2022 sank die Zahl der Aktionärinnen und Aktionäre im vergangenen Jahr wieder auf etwas weniger als 12,32 Millionen. Ein Jahr zuvor hatten gut 12,89 Millionen Menschen Aktien, Aktienfonds oder börsengehandelte Indexfonds (ETFs) im Depot - das waren so viele wie nie seit 1997, als das Deutsche Aktieninstitut (DAI) mit der Erhebung begann. War das nur ein Strohfeuer?
Der Rückgang um etwa 570.000 ändere "nichts am langfristigen Trend nach oben", betonte das Aktieninstitut. Im vierten Jahr in Folge liege die Zahl der Aktiensparer stabil über der Marke von zwölf Millionen.
"Angesichts von Zinswende, anhaltend hoher Inflation und eingetrübten wirtschaftlichen Aussichten ist die Zahl der Aktiensparer ein gutes Ergebnis", bilanzierte die Chefin des Aktieninstituts, Christine Bortenlänger. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren war den Berechnungen zufolge 2023 gut jeder Sechste (17,6 Prozent) am Aktienmarkt engagiert. Die höchste Quote in Deutschland gab es 2001 mit 20 Prozent.
Inflation und gestiegene Sparzinsen als Bremse
Dass die Zahl der Aktionäre von 2022 auf 2023 sank, führt das Institut unter anderem darauf zurück, dass viele Menschen wegen der Teuerung weniger Geld zum Anlegen hatten. Die Verbraucherpreise lagen nach vorläufigen Berechnungen im Jahresschnitt 2023 um 5,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahres.
Zudem dürften die gestiegenen Sparzinsen Anleger von der Börse weggelockt haben. "Tages- und Festgeld feierten ein Comeback. Vor diesem Hintergrund ist die stabile Zahl der Aktiensparer ein gutes Ergebnis", konstatierte das Aktieninstitut. Mancher Anleger nutzte wohl auch den Rekordstand des Deutschen Aktienindex zum Jahresende dafür, Gewinne mitzunehmen. Der Dax war Mitte Dezember bis auf 17.003 Zähler gestiegen.
Viele Jüngere verkauften Aktien
Vor allem bei Jüngeren sank die Zahl der Aktionäre im vergangenen Jahr: Von den unter 40-Jährigen verkauften 514.000 ihre Aktieninvestments. Insgesamt zeigen die aktuellen Zahlen nach Interpretation des Aktieninstituts jedoch: "Die Anlegerinnen und Anleger haben verstanden. Aktien, Aktienfonds und ETFs sind unverzichtbar für Vermögensaufbau und Altersvorsorge, denn ein breit gestreutes Aktienportfolio bringt langfristig sechs bis neun Prozent Ertrag im Jahr."
Einer Analyse der DZ Bank zufolge sorgten Kurssteigerungen maßgeblich dafür, dass die privaten Haushalte in Deutschland im vergangenen Jahr in Summe reicher wurden: "Im Geldvermögen der deutschen Bevölkerung machte sich das in Wertzuwächsen von rund 200 Milliarden Euro bei Aktien, Fonds und Zertifikaten bemerkbar." Allerdings stecken demnach nur gut 1,8 Billionen der insgesamt mehr als 7,9 Billionen Euro Geldvermögen in Aktien und Fonds. Spareinlagen und Bargeld machen nach DZ-Bank-Berechnungen 3,2 Billionen Euro aus.
Institut: Politik muss Aktienkultur fördern
Seit Jahren wird in Deutschland darüber diskutiert, wie man die Aktienkultur stärken kann. Doch der Start eines sogenannten Generationenkapitals, das die gesetzliche Rente mit Aktienrenditen stärken soll, wurde verschoben. "Auf Berliner Fluren spukt weiterhin das falsche Narrativ der Zockerei am Aktienmarkt", kritisierte das DAI. "Der entsprechende Gesetzentwurf wandert weiter zwischen den Ressorts hin und her. Ein fatales Signal." Im Gegensatz zu anderen Industrienationen verpasse Deutschland somit die Chance, "den Schalter für eine bessere Altersvorsorge für alle Bürgerinnen und Bürger umzulegen". In den USA zum Beispiel fördert schon lange der Staat die Altersvorsorge über den Kapitalmarkt stärker.
Kein Wunder also, dass die Anteilseigner der 40 Unternehmen in der ersten deutschen Börsenliga überwiegend aus dem Ausland stammen: Bei 24 Dax-Konzernen sind Investoren aus dem Ausland in der Mehrheit, wie das Beratungsunternehmen EY für 2022 analysiert hat. Im Schnitt wird demnach jede fünfte Aktie eines Dax-Konzerns von Aktionären aus Nordamerika gehalten. Das heißt auch: Ein Großteil der für das Geschäftsjahr 2023 zu erwartenden Rekordausschüttung der Unternehmen im Index - nach Berechnung der Dekabank fast 55 Milliarden Euro - werden ins Ausland fließen.
DAI-Chefin Bortenlänger mahnte: "Die Regierung darf jetzt nicht länger zögern und muss das Generationenkapital in diesem Jahr endlich einführen."
(Von Jörn Bender, dpa)