Frau Professor Schnitzer, es gibt die Befürchtung, dass die Mineralölkonzerne einen Teil des Steuerrabatts auf die Spritpreise für sich als Profit einbehalten. Wie hoch sehen Sie das Risiko?
Monika Schnitzer: Nach den Erfahrungen in der Vergangenheit, insbesondere bei der Mehrwertsteuersenkung 2020, halte ich das Risiko für hoch. Für die Mehrwertsteuer-Senkung im Sommer 2020 habe ich mit meinem Team über die ersten beiden Monate Weitergaberaten von 34 Prozent für E5-Benzin, 52 Prozent für E10 und 79 Prozent für Diesel ermittelt. Über die verschiedenen Kategorien gemittelt, unter Berücksichtigung der Verbrauchsmengen, ergibt das eine Weitergaberate von rund 60 Prozent. Das heißt 40 Prozent der Steuersenkung haben damals die Mineralölkonzerne einbehalten.
Ist das ein Vergleichsmaßstab?
Schnitzer: Für die Übertragbarkeit auf heute sollte man beachten, dass die Steuersenkung dieses Mal viel höher ausfällt. Es ist also eine gewisse Vorsicht angezeigt, ob sich die Ergebnisse eins zu eins übertragen lassen. Klar ist auch, dass die Tankstellen dieses Mal unter besonders starker Beobachtung stehen. Der Druck, die Steuersenkung weiterzugeben, dürfte also stärker sein als 2020. Gleichzeitig muss man auch berücksichtigen, wie stark die Preise möglicherweise schon im Vorfeld angehoben wurden. Und selbst wenn prozentual dieses Mal mehr von der Steuersenkung weitergegeben wird als vor zwei Jahren, kann der Mehrgewinn der Unternehmen durch die unvollständige Weitergabe in absoluten Eurobeträgen doch sehr hoch sein.
Was sind die Gründe für die hohen Spritpreise?
Schnitzer: Preistreiber ist natürlich zunächst der gestiegene Rohölpreis. Der wiederum ist bisher stark durch die gestiegene Unsicherheit getrieben, denn bisher kam es ja noch nicht zu Liefereinschränkungen. Ausnahme ist Diesel: Hier gab es schon eine gewisse Verknappung von raffiniertem Diesel, das aus Russland importiert wird. Bei Diesel gibt es auch eine direkte Konkurrenz zu Heizöl. Dass viele Haushalte, die mit Heizöl heizen, angesichts der hohen Unsicherheit ihre Tanks schnell füllen wollten, hat den Dieselpreis zeitweise besonders stark in die Höhe getrieben. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Mineralölkonzerne die hohen Ölpreise eben auch genutzt haben, um ihre Margen zu erhöhen, indem sie die Spritpreise mehr als die Kosten erhöht haben. Das kann man aber erst in einer genaueren Analyse feststellen.
Sowohl die Profite der Mineralölgesellschaften steigen, als auch Russland behauptet, durch die hohen Preise mehr Geld zu verdienen als vor dem Krieg. Wie erfolgreich ist die europäische Politik mit ihren Maßnahmen?
Schnitzer: Bisher sind die Ölpreise vor allem wegen der gestiegenen Unsicherheit hoch, nicht wegen Lieferausfällen. Davon profitiert Russland - und auch die Mineralölgesellschaften. In dem Maße, in dem die Liefermengen reduziert werden, wie im EU-Öl-Embargo vorgesehen, wird Russland deutliche Einbußen erleiden.
Funktioniert der Wettbewerb und die Überwachung des Kartellamts zum Beispiel durch die Markttransparenzstelle?
Schnitzer: Die Markttransparenzstelle hilft den Kundinnen und Kunden, die Preise an den Tankstellen zu vergleichen. Aktuell ist die Sorge aber vor allem, dass die Preise, zu denen die Tankstellen von den Mineralölgesellschaften beliefert werden, überhöht sind. Das genauer zu untersuchen, ist jetzt der Auftrag an das Bundeskartellamt.
Es gibt viel Kritik am Tankrabatt. Wie bewerten Sie das Instrument? Ist der Eingriff in den Markt sinnvoll?
Schnitzer: Ich halte es für das falsche Instrument, denn es reduziert das Preissignal, das die Verbraucherinnen und Verbraucher eigentlich dazu veranlassen soll, Sprit zu sparen, durch weniger fahren, langsamer fahren, Fahrgemeinschaften bilden und auf den öffentlichen Nah- und Fernverkehr umzusteigen. Wenn man die Belastungen von weniger einkommensstarken Haushalten abfedern will, sollte man das zielgenau machen, durch pauschale Zahlungen an eben diese Haushalte.
Zur Person: Monika Schnitzer ist als eine der sogenannten fünf Wirtschaftsweisen seit April 2020 Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die 60-Jährige ist Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Seit 2001 ist Monika Schnitzer außerdem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.