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Interview: Wie retten wir die Welt, Carl von Siemens?

Interview

Wie retten wir die Welt, Carl von Siemens?

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    Carl von Siemens hat sich auch schon kritisch mit einem Projekt des Unternehmens in Brasilien beschäftigt. Der Schriftsteller und Journalist setzt sich für eine bessere Welt ein.
    Carl von Siemens hat sich auch schon kritisch mit einem Projekt des Unternehmens in Brasilien beschäftigt. Der Schriftsteller und Journalist setzt sich für eine bessere Welt ein. Foto: Andreas Hornoff/Piper

    Carl von Siemens steht in der Schlange vor dem Café Einstein-Stammhaus in Berlin. Er wartet geduldig auf einen Tisch für das Interview. Es ist einer der seligen Tage kurz vor den Ausgangsbeschränkungen im Zuge der Corona-Krise, als Menschen sich noch normal begegnen konnten. Der Ur-Ur-Urenkel des Siemens-Gründers Werner von Siemens ist zurück von einer Indien-Reise. Vielleicht ergibt sich daraus ein neues Buch. Der Journalist und Schriftsteller beschreibt in seinem letzten Werk "Der Tempel der magischen Tiere" seine Reisen zu Ureinwohnern, Geistern und Schamanen, darunter zu Aborigines in Australien, ein Land, das Siemens Ärger eingebracht hat. Schließlich kritisieren Klimaschützer, dass der Konzern an der Lieferung von Signalanlagen für Züge, die dort von einer neuen Mine Kohle abtransportieren sollen, festhält.

    Herr von Siemens, Sie haben schon 2015 massive Kritik an dem Staudamm-Projekt "Belo Monte" in Brasilien geübt, an dem Siemens über Voith Hydro, ein Gemeinschaftsunternehmen mit der Firma Voith, mitgemischt hat. Wie kam es dazu?

    Carl von Siemens: Die Geschichte stellte für mich einen Systemschock dar. 2013, auf einer Reise ins Amazonas-Gebiet, hatte ich beschlossen, mich mehr um meine eigenen Wurzeln zu kümmern, zu der meine Großfamilie und die Firma gehören, die unsere Vorfahren gegründet haben. Aus diesem Grund bin ich im Januar 2014 zum ersten Mal nach langer Zeit wieder zu einer Siemens-Hauptversammlung gegangen.

    Was meinen Sie mit Systemschock?

    Von Siemens: Bei der Hauptversammlung trat eine Frau ausgerechnet aus Amazonien auf und prangerte den Siemens-Vorstand an, die Augen davor zu verschließen, was der Staudamm mit ihrer Heimat anrichtet. Und ich kam gerade aus der Region! Die Botschaft der Frau war für mich ein einschneidendes Erlebnis, das mich über den Haufen geworfen hat. Ich habe sie als Ruf empfunden, genauer auf das Projekt zu schauen.

    Was haben Sie unternommen?

    Von Siemens: Ich habe mich als Mitglied der Gründerfamilie mit Umweltschutzorganisationen in Verbindung gesetzt und Dossiers über Belo Monte an Siemens weitergeleitet. Nachdem mir klar wurde, dass diese Berichte zumindest in der damaligen Zeit in der Schublade verschwinden würden, bin ich im Herbst 2014 als Journalist nach Amazonien gereist. Nach meinen Recherchen habe ich 2015 Position gegen Projekte dieser Art bezogen.

    Wie kam das bei Siemens an?

    Von Siemens: Das weiß ich nicht, weil ich nicht bei Siemens arbeite. Ich fand es aber enttäuschend, dass Siemens-Chef Joe Kaeser bei der Hauptversammlung 2016 auf eine Frage von Greenpeace geantwortet hat, sich auch weiter an Staudamm-Projekten in Amazonien zu beteiligen, wenn Kunden das verlangen.

    Doch wie heute in Australien sind auch an dem Staudamm-Projekt in Brasilien viele Unternehmen beteiligt. Dabei bekommt Siemens immer die Prügel ab – und das stellvertretend für andere Unternehmen. Ist das nicht ungerecht?

    Von Siemens: Irgendwo schon. An Voith Hydro hält Siemens nur 35 Prozent. Der Rest liegt bei Voith. Das baden-württembergische Unternehmen kassiert 65 Prozent der Gewinne, doch da es nicht börsennotiert ist und keine Hauptversammlung hat, wurde der Großteil der Kritik auf Siemens abgeladen. Etwas Ähnliches hat sich bei der berechtigten Kritik von Klimaschützern an der Carmichael-Kohlemine in Australien abgespielt. Hier wird Siemens als Unterlieferant angegangen und der indische Adani-Konzern als Bauherr, scheint es, weitgehend verschont.

    Dennoch sympathisieren Sie mit der Fridays-for-Future-Bewegung und haben auch schon mit den jungen Leuten demonstriert.

    Von Siemens: Das habe ich getan, weil ich das Anliegen der Bewegung richtig finde. Sie begründen ihre Streiks mit der Frage: Warum sollen wir in die Schule gehen, wenn wir keine Zukunft haben? Konzeptionell ist das eine glasklare, zutreffende Argumentation. Allerdings gibt es nur einen Freitag pro Woche, und ich habe mich manchmal gefragt, ob ihn Jugendliche für Demonstrationen gegen die Lieferung einer Signalanlage haben verwenden müssen. So ist in der Öffentlichkeit der falsche Eindruck entstanden, Siemens und nicht Adani würde die Mine bauen.

    Da ist bei Siemens kommunikativ einiges schiefgelaufen.

    Von Siemens: Kritik an Siemens ist immer auch Systemkritik. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Konzern stellvertretend für andere Firmen kritisiert wird. Oder man glaubt, das System anzugreifen, wenn man Siemens angreift. Das ist in etwa so, als ob man dem FC Bayern schaden will, indem man in einem Hinterhof eine Strohpuppe mit Seppelhut verbrennt. Das funktioniert nicht. Als Träger des Namens Siemens wünsche ich mir auf jeden Fall, dass der Konzern die Reputationsrisiken solcher Projekte in Zukunft realistischer einschätzt. Bei einem falschen Projekt ist auch ein Unterlieferant Teil des Problems und nicht Teil seiner Lösung.

    Wo setzt man mit Widerstand an, wenn man wie die Fridays die Welt retten will? Bei den Konzernen oder den Regierungen?

    Von Siemens: Wenn wir die Welt retten wollen, ist es zweitrangig, ob Siemens oder jemand anders die Signalanlage liefert. Der entscheidendere Punkt ist: Wie gehen wir mit demokratisch gewählten Regierungen wie der australischen um, aber auch der amerikanischen oder der brasilianischen, die eine Politik betreiben, die wir für umweltfeindlich halten?

    Wie gehen wir denn mit diesen Regierungen um?

    Von Siemens: Ich glaube an das Primat der Politik. Regierungen könnten etwa nach entsprechenden Diskussionen in den Parlamenten Sanktionen gegen Länder erheben, welche die Umwelt schädigen. Eine Firma wie Siemens sollte keine politischen Entscheidungen treffen, auch, weil sie dafür gar nicht aufgestellt ist. So viel ich weiß, ist ein Vorstandsvorsitzender wie Joe Kaeser formaljuristisch den Kunden, den Mitarbeitern und den Aktionären verpflichtet, aber nicht der Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens. Als Erstes muss sich das System ändern. Dann folgen Firmen wie Siemens, die in unterschiedlichen Systemen prosperiert haben: Königreich, Kaiserreich, Diktatur und Demokratie.

    Derzeit fordern aber viele Firmen härtere Maßnahmen für Klimaschutz als die Bundesregierung. Da stimmt doch was nicht.

    Von Siemens: Angesichts der Dramatik der Situation müssten Regierungen wie die unsere drastische Entscheidungen treffen. Das tun sie nicht – wohl auch aus Angst, Interessengruppen zu verärgern. So stellt sich die Frage: Sind Demokratien in der Lage, den Systemwechsel hin zu einer CO2-freien Wirtschaft zu vollziehen sowie das Artensterben und die Zerstörung natürlicher Lebensräume aufzuhalten?

    Sind sie dazu in der Lage?

    Von Siemens: Die Demokratien haben einen großen Konkurrenten – und der heißt China. Das autoritär regierte Land versucht seine Bürger mit einem System von Sozialpunkten umzuerziehen: Bestimmtes Verhalten wird durch Punkte belohnt, anderes durch Abzug bestraft. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz und Überwachung könnte in der Zukunft auch das Umweltverhalten von Menschen gesteuert werden. So wäre denkbar, dass Menschen, die zu viel CO2 verbrauchen, weniger Rente bekommen, ihnen der Pass abgenommen wird, oder sie nicht mehr reisen dürfen.

    Das wäre eine Umwelt-Diktatur. Bekommen wir das nicht humaner in freiheitlichen Gesellschaften hin?

    Von Siemens: Ich hoffe, die liberalen Demokratien gewinnen den Wettstreit um die Abwendung der Klima-katastrophe. Meine Hoffnung stützt sich auch auf die Überzeugung, dass wir den Systemwechsel nur durch technische Innovationen schaffen. Innovationen sind aber nicht planbar, weder durch Zentralkomitees noch durch Algorithmen. Ein anderes Thema ist die Glaubwürdigkeit der Institutionen. Schauen Sie sich die Schwierigkeiten an, die China beim Ausbruch des Coronavirus gehabt hat. Bei uns kann eine freie Presse unbehelligt recherchieren, Nicht-Regierungsorganisationen und Oppositionsparteien dürfen die Ergebnisse nach eigenem Ermessen thematisieren. In China hat die Partei das letzte Wort, sodass alle Beteiligten ihre Verantwortung erst einmal nach oben abgegeben haben, Greta Thunberg könnte es in China nicht geben. Sie ist die unchinesischste junge Frau der Welt.

    Aber sind autoritäre Regime wie China bei der Bekämpfung des Virus nicht effektiver als freiheitliche?

    Von Siemens: Die Propagandaschlacht zeichnet sich bereits ab, aber es ist zu früh, Bilanz zu ziehen. Woher wissen wir, dass die chinesischen Zahlen stimmen? Dazu kommt, dass die chinesische Regierung bei der Bekämpfung des Virus anscheinend Maßnahmen bis hin zu Zwangsisolationen und Entführungen angewandt hat. Dadurch stellen sich neue Fragen: Welche Formen von Freiheit wollen wir? Was ist Freiheit wert? Ist es moralisch vertretbar, die Gesundheit von wenigen für die Freiheit von vielen zu opfern?

    Wie retten wir die Umwelt?

    Von Siemens: Ich glaube an die Kraft des Beispiels. Deutschland kann mehr exportieren als Verbrennungsmotoren, Schützenpanzer und Signalanlagen. Da ist Luft nach oben. Wir könnten zum Beispiel Lösungen für die Umweltkrise exportieren. Wenn Deutschland die Energiewende erfolgreich stemmt, strahlt das als Beispiel auch auf andere Länder aus. Andererseits: Wenn wir als hoch industrialisiertes, politisch stabiles Land keine Antworten hinbekommen – wer dann?

    Können wir von Naturvölkern wie den Aborigines lernen, wenn wir die Welt besser machen wollen?

    Von Siemens: Ich habe gelernt, dass wir neue Lehrer brauchen, wenn wir die Welt besser machen wollen. Die alten Lehrer bringen uns nicht weiter, weil sie auf die ökologische Krise keine Antwort finden.

    Was macht Naturvölker zu neuen Lehrern?

    Von Siemens: Aus ihrer Spiritualität können wir eine besondere Perspektive für den Umweltschutz ableiten. Denn diese Menschen glauben, dass alles um sie herum beseelt ist, also auch Pflanzen und Tiere. Damit haben auch Pflanzen und Tiere Rechte. Das führt zu einer anderen Bewusstseinshaltung. Durch anthropozentrisches Denken finden wir keine Lösungen für die Umweltkrise. Die Welt ist nicht nur für den Menschen allein bestimmt.

    In Australien haben Sie bei den Aborigines Fleisch von Kängurus, von Emu-Vögeln und sogar von einem etwa zwei Meter langen Waran gegessen. Geschah das aus Höflichkeit Ihren Gastgebern gegenüber?

    Von Siemens: Ja, aber auch aus Neugierde.

    Welche der drei exotischen Fleischsorten hat am besten geschmeckt?

    Von Siemens: Emu hat besser als Känguru geschmeckt. Waran war das beste Fleisch. Es schmeckt nach festem Fisch oder magerem Huhn.

    Zur Person: Carl von Siemens, 52, ist eine Art moderner Alexander von Humboldt. Er reist in entlegene Gebiete und sucht den Kontakt zu Naturvölkern. Von Siemens studierte Philosophie, Politologie, Volks- und Betriebswirtschaftslehre am Trinity College in Oxford, der London School of Economics und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er war auch Unternehmensberater und Geschäftsführer einer Webagentur in Hamburg.

    Lesen Sie dazu auch: Joe Kaeser hat seine moralische Messlatte zu hoch gelegt (Kommentar)

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