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Interview: Vizepräsident der EU-Kommission: "Nachbarländer Russlands machen sich Sorgen"

Interview

Vizepräsident der EU-Kommission: "Nachbarländer Russlands machen sich Sorgen"

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    "Putins Kurs ist sehr klar", warnt EU-Vizepräsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis.
    "Putins Kurs ist sehr klar", warnt EU-Vizepräsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Foto: EC credits

    Herr Dombrovskis, China legt einen Plan für die Lösung des Ukraine-Kriegs vor. Was halten Sie von der Ankündigung?

    Valdis Dombrovskis: Für die EU ist zum einen klar, dass nichts in der Ukraine ohne die Ukraine passieren darf. Die Ukraine muss die Führung darüber haben, unter welchen Bedingungen der Krieg beendet wird. Mit Interesse habe ich gehört, dass der chinesische Vertreter in München auf die Unverletzlichkeit der Grenzen zu sprechen gekommen ist. Denn die territoriale Unversehrtheit der Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen ist für die EU die zweite Grundbedingung. 

    Wie kann der Westen den Weg zum Frieden fördern?

    Dombrovskis: Die EU, die westliche Welt muss Kurs halten und der Ukraine die notwendige Unterstützung geben und den Druck auf den Aggressor Russland aufrechterhalten. Die Ukraine braucht unsere politische, wirtschaftliche, finanzielle und militärische Hilfe. Wir müssen Bedingungen schaffen, damit die Ukraine den Krieg gewinnen und Frieden zu guten Konditionen für die Ukraine geschaffen werden kann. Russland spielt mit offenen Karten, was seine imperialistischen Pläne und die Invasion anderer Staaten betrifft. Putins Regime spricht häufig darüber, wieder ein russisches Reich zu errichten, sein Kurs ist sehr klar. Es wäre ein Fehler, mit einem aufgezwungenen Frieden in der Ukraine Russland die Gelegenheit zu geben, sein Militär erneut hochzurüsten. 

    Um welche Länder machen Sie sich Sorgen?

    Dombrovskis: Die Nachbarländer Russlands machen sich Sorgen. Das gilt zum Beispiel für das Baltikum. Aber auch der Druck auf Moldawien ist sehr groß. 

    Die Ukraine will EU-Mitglied werden. Wie lange wird dies dauern?

    Dombrovskis: Die EU hat der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten verliehen. Dies war ein starkes politisches Signal. Ein EU-Beitritt ist ein langer und komplizierter Prozess. Ein Datum will ich deshalb nicht nennen. Die EU hat Bedingungen definiert, welche die Ukraine zu erfüllen hat, bevor weitere Schritte unternommen werden können. Wenn die Ukraine diese Bedingungen erfüllt hat, muss auch die EU ihrerseits bereit sein voranzugehen. Der nächste Schritt wäre dann die Aufnahme von Verhandlungen über den EU-Beitritt.. 

    Im Westen wird häufig die noch immer starke Korruption in der Ukraine erwähnt. Was muss in dem Land passieren, bevor ein EU-Beitritt möglich ist?

    Dombrovskis: Der Kampf gegen Korruption hat eine hohe Priorität für uns. Die Ukraine hat eine Einheit zur Korruptionsbekämpfung geschaffen, die Bedingung für Hilfen der EU oder auch des Internationalen Währungsfonds war. Die Ukraine muss am Ende beweisen, dass sie reif für einen Beitritt ist. Zum Beispiel muss sie das gesamte Regelwerk der EU aus Richtlinien und Verordnungen übernehmen, den Acquis communautaire. Der EU-Beitrittsprozess umfasst lange Verhandlungen in mehreren Kapiteln, Politikfeld für Politikfeld. 

    Sie sagten, auch die EU muss sich bewegen. Was kann und muss die EU für die Ukraine tun?

    Dombrovskis: Es gibt einige praktische Dinge, die bis zu einem EU-Beitritt für die Ukraine getan werden können. Die EU gewährt der Ukraine Zugang zum Binnenmarkt. Zudem kooperiert die EU mit der Ukraine bei zahlreichen Förderprogrammen wie Horizon. Die Ukraine wird auch dem europäischen Roaming-Gebiet beitreten. Dies macht den Mobilfunk günstiger, gerade auch für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Was die finanzielle Unterstützung betrifft, gewährt die EU der Ukraine im Jahr 2023 18 Milliarden Euro an Finanzhilfe, mit denen der Staatshaushalt stabilisiert werden kann, um zum Beispiel Gehälter zu zahlen. Die ersten drei Milliarden sind jetzt ausgeschüttet worden. Wir planen monatlich jeweils 1,5 weitere Milliarden Euro auszuzahlen. Weitere etwa 18 Milliarden Dollar sollen die USA, andere Industrieländer und Internationale Finanzinstitutionen bereitstellen.

    Gibt es noch Handel zwischen der EU und der Ukraine – die Zerstörung dort ist ja groß – und wie kann er gefördert werden?

    Dombrovskis: Ja, der Handel zwischen der EU und der Ukraine ist sogar intensiver geworden, insbesondere für landwirtschaftliche Produkte. Die EU hat, wie gesagt, von ihrer Seite Zugang zum Binnenmarkt geschaffen und den Handel liberalisiert. Wichtig ist auch, sichere Handelsrouten – sogenannte "Solidarity Lanes" - zu schaffen, über die der Handel stattfinden kann, solange der Transport über das Schwarze Meer schwierig ist. Diese alternativen Exportwege gibt es bereits etwa über Polen und Rumänien. 

    "Wir müssen Bedingungen schaffen, damit die Ukraine den Krieg gewinnen kann", ist EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis überzeugt.
    "Wir müssen Bedingungen schaffen, damit die Ukraine den Krieg gewinnen kann", ist EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis überzeugt. Foto: EC credits

    Ein anderes Thema: Die US-Regierung von Joe Biden stützt ihre heimische Industrie im Klimaschutz-Bereich mit über 300 Milliarden Dollar aus dem Inflation Reduction Act. Wird das Programm in den USA zum Nachteil für Europa?

    Dombrovskis: Wir begrüßen die Klimaschutzbemühungen der USA. Auf der anderen Seite diskriminieren viele der Maßnahmen europäische Firmen. Eine Taskforce beider Seiten bespricht diese Probleme, auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz habe ich mit meiner US-Kollegin darüber gesprochen. Einige Probleme werden wir lösen können, alle sicher nicht. Der März ist ein entscheidender Monat: Dann wird das US-Finanzministerium seine Leitlinien zum Inflation Reduction Act herausgeben und wir werden sehen, was erreicht wurde. 

    Gab es bereits Fortschritte?

    Dombrovskis: Ja, eine gute Einigung gab es zu Steuerrabatten für US-Elektrofahrzeuge. Das Leasing von Elektrofahrzeugen soll von den diskriminierenden Bedingungen des Inflation Reduction Act ausgenommen werden. Das hilft auch europäischen Unternehmen, die in die USA liefern. Eine Einigung ist auch für die Batterieindustrie in greifbarer Nähe. Bei den Rohstoffen für Batterien sollen europäische Unternehmen genauso behandelt werden wie Freihandelspartner der USA. Im Bereich erneuerbarer Energien und Wasserstoff haben wir noch große Differenzen. Da liegt noch Arbeit vor uns. 

    Wie kann die EU mithalten?

    Dombrovskis: Wir haben kürzlich ein Programm für Industrieförderung und Klimaschutz in der EU vorgelegt, den Green Deal Industrial Plan. Der Plan beruht auf vier Pfeilern. Erstens einfachere Genehmigungsverfahren, zweitens Finanzhilfen für Unternehmen sowohl durch die Mitgliedstaaten wie durch EU-Fördermittel, drittens Aus- und Fortbildung der Beschäftigten in grünen Technologien und viertens Abbau von Handelsbarrieren. Wir wollen dazu verstärkt mit anderen Ländern Rohstoff-Partnerschaften schließen. 

    Was, wenn sich ärmere EU-Staaten neue Subventionen gar nicht leisten können, ohne neue Schulden zu machen? Das kann ja auch nicht das Ziel sein?

    Dombrovskis: Es gibt, wie gesagt, Unterstützungsinstrumente der EU. Zum Beispiel stehen aus dem Programm zur Bewältigung der Corona-Krise noch 225 Milliarden Euro an ungenutzten Krediten bereit. Der Green Deal Industrial Plan gewährt Erleichterungen, setzt aber das Beihilferecht der EU nicht außer Kraft. Es müssen gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Staaten gewahrt bleiben. Es wird deshalb im Beihilferecht nur einige Anpassungen geben, die bis 2025 befristet sein werden. 

    Wäre es nicht Zeit, nochmals den Anlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA zu wagen. TTIP ist ja leider vor rund 10 Jahren gescheitert….

    Dombrovskis: Ich denke, es gibt keine Chance, TTIP wiederaufzunehmen. Die Verhandlungen waren aufgrund von Problemen auf beiden Seiten gescheitert, zum Beispiel zum Thema Landwirtschaft. Wir suchen andere Formen der Zusammenarbeit und haben einen gemeinsamen Rat für Handel und Technologie mit unseren US-Kollegen eingerichtet. Statt ein umfassendes Freihandelsabkommen anzupeilen, müssen wir sektorale Formen der Zusammenarbeit finden. 

    Was versprechen Sie sich vom neuen Sanktionspaket gegen Russland?

    Dombrovskis: Unser inzwischen zehntes Sanktionspaket sieht weitere Exportbeschränkungen vor, zum Beispiel für Hochtechnologie und zivil und militärisch nutzbare Güter. Es gibt Sanktionen gegen weitere Banken und Personen, vor allem russische Propagandisten. Das Paket verpflichtet aber auch die EU-Mitgliedstaaten, russische Vermögenswerte zu melden, die sich auf Konten der Zentralbanken befinden. Das ist wichtig, um zu wissen, ob russisches Geld eines Tages als Reparation für den Wiederaufbau der Ukraine herangezogen werden kann. 

    Machen Staaten wie Luxemburg oder Irland da mit?

    Dombrovskis: Es ist die Erwartung, dass sich alle EU-Staaten beteiligen. 

    Immer wieder liest man, dass elektronische Bauteile für die Rüstung über Drittstaaten wie die Türkei oder China ihren Weg nach Russland finden. Wie kann die EU reagieren?

    Dombrovskis: Ein Problem ist, dass die westlichen Sanktionen von vielen Ländern wie China, Indien oder der Türkei nicht unterstützt werden. Das birgt das Risiko, dass unsere Sanktionen umgangen werden. Deshalb müssen wir mit den Drittstaaten sprechen. Dafür haben wir einen eigenen Gesandten ernannt: David O'Sullivan, der frühere Vertreter der EU in den USA. 

    Viele EU-Staaten sind entschlossen, ihre Militärausgaben zu steigern. Ist es jetzt nicht Zeit, gemeinsam Verteidigungsgüter zu beschaffen, um Kosten und Zeit zu sparen?

    Dombrovskis: Das Problem ist, dass der Militärbereich in der EU sehr fragmentiert ist. Während die US-Armee meist ein System nutzt, gibt es in Europa viele verschiedene Waffensysteme. Das ist nicht effizient. Wir müssen unsere Waffensysteme stärker vereinheitlichen und abstimmen. Der Einkauf muss koordinierter erfolgen, darum kümmern wir uns derzeit. Deutschland will seine Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen, auch in anderen Ländern werden die Militärausgaben auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte wachsen. Die Rüstungsindustrie hat eine beschäftigungsreiche Zeit vor sich. 

    In welchen Bereichen ist Abstimmung besonders dringend?

    Dombrovskis: Ein wichtiger Bereich ist Munition. Durch den Ukraine-Krieg ist der Bedarf hoch, die Bestände aber sind zu gering. 

    Zur Person: Valdis Dombrovskis, 51, ist Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Handelskommissar. Der studierte Physiker aus Lettland war bereits Ministerpräsident seines Landes.

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