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Interview: Verleger: Die Zeitung transportiert Demokratie

Interview

Verleger: Die Zeitung transportiert Demokratie

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    Pressefreiheit, Presseförderung, Papierknappheit: Die bayerischen Zeitungsverleger, die an diesem Montag in Oberstdorf zu ihrer Verbandstagung zusammenkommen, haben einiges zu besprechen.
    Pressefreiheit, Presseförderung, Papierknappheit: Die bayerischen Zeitungsverleger, die an diesem Montag in Oberstdorf zu ihrer Verbandstagung zusammenkommen, haben einiges zu besprechen. Foto: Ulrich Wagner; Sven Hoppe, dpa (Symbolbild)

    Herr Scherer, die vergangenen zweieinhalb Jahre haben die Zeitungsverlage vor große Herausforderungen gestellt. Erst die Pandemie, jetzt der Ukraine-Krieg ... Ist aus Ihrer Sicht die wirtschaftlich schwierige Corona-Phase fürs Erste überwunden?

    Andreas Scherer: Ja, die Pandemie war auch für unsere Branche eine gewaltige Herausforderung. Vor allem während der Lockdowns. Neben dem gesundheitlichen Schutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten wir ja auch unser Geschäft aufrechterhalten. Da kam uns zugute, dass wir als Pressehäuser zur sogenannten kritischen Infrastruktur gehören, also nicht von Betriebsschließungen betroffen waren. Deshalb haben unsere Abonnenten auch während Corona immer ihre Zeitung im Briefkasten gehabt.

    Aber?

    Scherer: Aber einige unserer Werbekunden sind in Schwierigkeiten geraten. Sie mussten ihre Betriebe herunterfahren oder schließen. Und das haben wir natürlich auch zu spüren bekommen, vor allem bei den Anzeigenumsätzen. Dank Kurzarbeit konnten auch in dieser Situation die meisten unserer Arbeitsplätze erhalten bleiben. Insgesamt, meine ich, sind wir bislang mit einem blauen Auge durch die Pandemie gekommen.

    Wie wird es weitergehen?

    Scherer: Jetzt, im Frühjahr, haben wir natürlich wie viele Branchen auf eine Wiederbelebung der Konjunktur gehofft. Welche Spuren der furchtbare Krieg in der Ukraine hier hinterlassen wird, bleibt abzuwarten. Viel wichtiger ist, dass Russland seinen Angriffskrieg schnell beendet und das Blutvergießen aufhört.

    Bevor wir über den Ukraine-Krieg sprechen, noch eine Frage zur Pandemie-Zeit: Sind der Zeitungsbranche aus ihr auch Chancen erwachsen?

    Scherer: In jeder Krise steckt eine Chance. So ist das auch bei uns. Denn Corona hat die digitale Transformation unserer Branche noch einmal deutlich befeuert. Vor allem während des ersten Lockdowns haben wir ein neues Allzeithoch bei unseren digitalen Reichweiten gemessen. Aber wir haben auch intern unsere Hausaufgaben gemacht. Weitere Arbeitsprozesse wurden digitalisiert, Abläufe optimiert, Präsenzsitzungen durch Videokonferenzen ersetzt. Und natürlich hat auch das Homeoffice einen ganz anderen Stellenwert erhalten, der über die Pandemie hinaus bleiben wird. Aber die Heimarbeit hat Grenzen: Am Schreibtisch ist sie möglich, an der Druckmaschine oder in der Zeitungszustellung nicht. Und auch das kreative Arbeiten im Team klappt besser in Präsenz.

    Nun zum Ukraine-Krieg: Zeitungsverlage in Bayern haben bereits großflächig für Spenden geworben ...

    Scherer: Mit der Aktion #ZeitungenHelfen haben die Zeitungsverleger gleich zu Beginn des Krieges ein starkes Zeichen gesetzt. Unser Bundesverband gestaltete eine Anzeige, mit der die Zeitungen in Deutschland um Spenden für die Menschen in der Ukraine und für die Geflüchteten werben. Partner ist das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe.

    Wie viel Geld ist inzwischen zusammengekommen?

    Scherer: Es wurden schon hunderttausende Euro an Spenden gesammelt. Die Verlage sind hier nach dem ZDF mit 1,6 Millionen Euro sogar die zweiterfolgreichsten Sammler.

    Was tun die bayerischen Zeitungshäuser darüber hinaus?

    Scherer: Über die genannte Spendenaktion hinaus informieren nahezu alle Zeitungen in Bayern über Möglichkeiten zur Unterstützung von Geflüchteten in der jeweils eigenen Region. Sie veröffentlichen wichtige Informationen für die Flüchtlinge oder rufen zur Beteiligung an Hilfsaktionen für die Menschen auf, die in ihrer Heimat zurückgeblieben sind. Verlage, die eigene soziale Hilfseinrichtungen haben, unterstützen auch finanziell und mit Sachspenden. Unser Haus etwa hat eine eigene Spendenaktion für die Ukraine durchgeführt. Dabei haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesammelt, und das Unternehmen hat diesen Betrag dann noch einmal verdoppelt. So konnten an das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe über 35.000 Euro überwiesen werden. Und über unsere Verbände beteiligen wir uns auch an dem neuen Jobportal new-start.media, das bereits knapp 50.000 offene Stellen in ganz Deutschland anbietet. Es ist durchgängig mehrsprachig programmiert – ukrainisch, russisch, deutsch und englisch. So können Flüchtlinge auch in der Medienbranche schnell einen neuen Job finden.

    Der Ukraine-Krieg bedroht auch die Pressefreiheit massiv. Können Sie dagegen etwas unternehmen?

    Scherer: Das ist von hier aus nicht einfach, aber es gibt Wege. Die Allgäuer Zeitung zum Beispiel macht ihre Leser darauf aufmerksam, dass über die Plattformen GoFundMe oder Patreon auch die ukrainische Tageszeitung The Kyiv Independent unterstützt werden kann. Und eine Allianz von überregionalen Zeitungen, darunter auch die Süddeutsche Zeitung, hat eine Initiative gestartet, um speziell ukrainische und russische Journalisten, die aufgrund des Kriegs geflüchtet sind, zu unterstützen. Das geschieht etwa durch finanzielle Unterstützung des Vereins „Reporter ohne Grenzen“ oder durch die Vernetzung der nach Deutschland geflüchteten ukrainischen und russischen Journalisten. So sollen sie ihre Arbeit im Exil oder vor Ort fortsetzen können.

    Sie sprachen gerade von „Reporter ohne Grenzen“: Auf dessen „Rangliste der Pressefreiheit“ ist Deutschland von Rang 13 auf Rang 16 abgerutscht. Wie sehr beunruhigt Sie das?

    Scherer: Das ist sehr beunruhigend. Deutschland als große westliche Demokratie sollte hier eigentlich einen Spitzenplatz einnehmen. Hier ist also dringender Handlungsbedarf. Das fängt mit der Mediengesetzgebung an, etwa bei den Auskunfts- und Informationsrechten der Presse. Denn sie setzt die Rahmenbedingungen, unter denen sich die Arbeit unserer Redakteure und Journalistinnen vollzieht. Aber verschlechtert haben wir uns zuletzt vor allem durch zahlreiche Angriffe gegen Medienschaffende. Sie wurden auf Demonstrationen oder sogenannten Spaziergängen von Gegnern der Corona-Maßnahmen bespuckt, angepöbelt oder tätlich angegriffen. Auch im Internet, in den sozialen Medien, sehen sie sich Anfeindungen, Beleidigungen oder gar Todesdrohungen gegenüber. Das ist auch ein Angriff auf die Pressefreiheit an sich, dem mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten ist. Hier sind vor allem Polizei und Ordnungsbehörden gefordert, die den Schutz akkreditierter Pressevertreter vor Ort zu gewährleisten haben. Und auch bei der Strafverfolgung muss der Staat konsequent durchgreifen.

    Auch Mitarbeitende bayerischer Medienhäuser, auch Ihres Hauses, wurden bedroht oder Opfer von Gewalt.

    Scherer: Unser Verband hat dazu eine Umfrage unter den Verlagen in Bayern durchgeführt. Die Betroffenheit, so ergab sich dabei, ist sehr unterschiedlich. Aber auch uns wurden tätliche Angriffe auf ein Reporterteam bei einer Demonstration gemeldet, ebenso ein Angriff auf einen Fotografen, dazu verschiedene Pöbeleien und Beschimpfungen. In den Redaktionen gehen Anrufe und E-Mails mit wüsten Beschimpfungen ein, Hauswände wurden mit „Lügenpresse“ beschmiert. In einem Fall kam es, im Zusammenhang mit der Corona-Berichterstattung, sogar zu Morddrohungen im Netz. Das ist eine schlimme Entwicklung, die tiefe Abgründe in unserer Gesellschaft aufzeigt. Und gegen die wir unsere Pressevertreter schützen müssen.

    Wie ernst meint es aber aus Ihrer Sicht die Politik tatsächlich mit der Unterstützung und Förderung der Presse?

    Scherer: Eine freie und unabhängige Presse ist für unsere Demokratie systemrelevant. Das sagen auch die Politiker immer wieder, zuletzt am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit. Aber bei der politischen Umsetzung ist noch Luft nach oben. Hier wurden in der Vergangenheit einige Entscheidungen getroffen, die der Presse eher geschadet als geholfen haben.

    An welche Entscheidungen denken Sie?

    Scherer: Etwa an die Einführung des Mindestlohns für die Zeitungszustellung – und das nicht, weil wir gegen den Mindestlohn sind. Sondern weil wir in diesem Bereich ein ganz anderes Vergütungssystem hatten, das wir dann mit einem enormen Kosten- und Bürokratieaufwand umstellen mussten. Aber wir haben, vor allem dank der Unterstützung unserer Verbände, in den letzten Jahren auch viel erreicht. Hier denke ich zum Beispiel an die reduzierte Mehrwertsteuer, die nun endlich auch für unsere digitalen Angebote gilt. Oder an das neue Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das große Plattformen wie Google verpflichtet, für die gewerbliche Nutzung unserer Inhalte zu zahlen.

    Andreas Scherer ist Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger.
    Andreas Scherer ist Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger. Foto: Ulrich Wagner

    Was ist aktuell das drängendste Problem für die Zeitungsverlage?

    Scherer: Die Sicherung der flächendeckenden Zustellung unserer Zeitungen – an jeden Abonnenten, an jeden Ort, sechs Mal pro Woche, bei Wind und Wetter, im Morgengrauen. Diese Leistung erbringen wir seit Jahrzehnten. Aber sie stößt bald an ihre Grenzen. Denn die Kosten für dieses Logistiksystem steigen und steigen, und das bei sinkenden Druckauflagen. Eine Studie unseres Bundesverbands ergab, dass eine flächendeckende Zustellung gerade in wirtschaftlich schwächeren Gebieten so künftig nicht mehr gewährleistet ist. Das kann aber nicht die Lösung im Sinne unserer Gesellschaft sein. Die Zeitung transportiert auch Demokratie. Sie sichert Information, Bildung, Teilhabe, den gesellschaftlichen Diskurs. Und das auch an Orten, wo immer noch keine Breitbandversorgung existiert, also vor allem auf dem Land.

    Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien heißt es: „Wir wollen die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen gewährleisten und prüfen, welche Fördermöglichkeiten dazu geeignet sind.“

    Scherer: Dafür sind wir dankbar und unsere Verbände sind dazu bereits im Gespräch mit der Politik. Aber nachdem in der letzten Legislaturperiode bereits zwei Anläufe einer solchen Förderung gescheitert sind, werden wir jetzt sehr genau hinschauen, ob den Worten der Ampel auch Taten folgen. Und es sollte schnell gehen. Denn wenn im Herbst der Mindestlohn auf zwölf Euro steigt, werden die Zustellkosten weiter aus dem Ruder laufen.

    Wie vielfältig wird der Zeitungsmarkt künftig bleiben?

    Scherer: In Bayern existiert eine bundesweit einmalige Vielfalt an Zeitungsangeboten: Täglich erscheinen hier rund 260 Titel, die von über 70 zum Teil kooperierenden Verlagen herausgegeben werden, davon rund 20 mit eigener Vollredaktion. Etwa 2000 festangestellte Redakteure kümmern sich um das Nachrichtengeschäft, dazu ein großer Pool an freien Journalisten. Diese Zahlen sind seit vielen Jahren weitgehend konstant. Das liegt wohl auch daran, dass viele unserer Verlage tief in ihrer Region verwurzelt sind. Aber ein gewisser Trend zur Konsolidierung ist auch in unserer Branche nicht zu verkennen. Vor allem kleine Verlage werden es auf lange Sicht nicht leicht haben, die Herausforderungen der digitalen Transformation zu meistern.

    Wie wichtig sind dabei – in diesem Prozess – die redaktionellen Inhalte?

    Scherer: Zeitungsverlage verkaufen kein Papier, sondern Inhalte. Und wegen unserer Inhalte kaufen und lesen die Menschen unsere Zeitungen. Das gilt nicht nur für überregionale, sondern vor allem auch für regionale und lokale Inhalte. Kein anderes Medium berichtet so umfassend aus dem täglichen Leben vor Ort, ist so nah bei den Menschen wie die Zeitung. Unsere Marken genießen ein hohes Ansehen, weil die Menschen uns vertrauen. Sie wissen, dass sie sich auf das verlassen können, was in ihrer Zeitung steht. Und das ist nur möglich, weil in unseren Redaktionen Profis sitzen, die gut ausgebildet sind und die ihr Geschäft verstehen; die sich dem Pressekodex verschrieben haben, der Standards für eine wahrheitsgemäße und ausgewogene Berichterstattung setzt. Dieser Qualitätsjournalismus ist wichtig für die Menschen, aber auch für unsere Gesellschaft. Und deswegen hat er auch Zukunft.

    Zur Person: Andreas Scherer ist Erster Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger e.V. (VBZV), Präsidiumsmitglied des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) sowie Vorsitzender der Geschäftsführung der Mediengruppe Pressedruck, in der unter anderem die „Augsburger Allgemeine“ erscheint. Der Verband Bayerischer Zeitungsverleger trifft sich an diesem Montag zu seiner Jahrestagung in Oberstdorf.

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