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Interview: Verdi-Chef Werneke: 150 Euro reichen deutlich nicht aus

Interview

Verdi-Chef Werneke: 150 Euro reichen deutlich nicht aus

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    Verdi-Chef Frank Werneke kämpft weiter für deutlich höhere Löhne im Öffentlichen Dienst.
    Verdi-Chef Frank Werneke kämpft weiter für deutlich höhere Löhne im Öffentlichen Dienst. Foto: Henning Kaiser, dpa

    Herr Werneke, bald beginnt die Schlichtung in den Tarifverhandlungen des Öffentlichen Dienstes des Bundes und der Kommunen. Wie hoch sind Ihre Erwartungen?

    Frank Werneke (lacht): Das ist mein letztes Interview vor der mir dann auferlegten Schweigephase während der Schlichtungszeit. Doch ich bin zuversichtlich, dass in der Tarifrunde ein gutes Ergebnis für die Beschäftigten gefunden wird. 

    Sie wirken trotz der Anspannung gelassen. 

    Werneke: Und das mit gutem Grund, schließlich haben sich so viele Mitglieder an unseren Warnstreiks im Öffentlichen Dienst beteiligt wie noch nie in der Geschichte von Verdi. Ich freue mich über das Engagement unserer Mitglieder. Das ist ermutigend. Und wir gewinnen immer mehr neue Mitglieder. 

    Zuletzt waren es 70.000 neue Mitglieder.

    Werneke: Inzwischen sind es schon über 80.000. Deshalb blicken wir mit einem gehörigen Maß an Selbstbewusstsein auf diese Tarifrunde, bei der die Arbeitgeber sich entschlossen haben, die Schlichtung anzurufen. Ich setze darauf, dass ein Ergebnis in der Schlichtung erzielt wird. Ein Ergebnis wollten wir jedoch auch schon mit den Arbeitgebern bei der dritten Verhandlungsrunde in Potsdam erreichen. Für einen Kompromiss hat es dort nicht gereicht, weil sich insbesondere die kommunalen Arbeitgeber extrem schwer mit dem Thema Mindestbetrag getan haben. 

    Verdi fordert mindestens monatlich 500 Euro pro Beschäftigten auf zwölf Monate. Die Arbeitgeber wollen nur 300 Euro zugestehen und die für 24 Monate abschließen. 

    Werneke: Das wären also bezogen auf ein Jahr nur monatlich 150 Euro mehr für jeden Beschäftigten. 

    Wäre das nicht ein Achtungserfolg für Verdi? 

    Werneke: Nein, denn wir fordern einen ausreichend hohen Mindestbetrag. 

    Wie viel reicht Ihnen aus? 

    Werneke (lacht): Das werde ich jetzt nicht konkretisieren. Wenn die Schlichtung zum Erfolg werden soll, müssen sich die Arbeitgeber noch einmal bewegen. 150 Euro Mindestbetrag pro Jahr reichen jedenfalls deutlich nicht aus. Übrigens kommt hinzu, dass die Arbeitgeber uns in der dritten Verhandlungsrunde diesen Mindestbetrag von 300 Euro, verteilt auf zwei Jahre, nicht offiziell angeboten haben. 

    Das klingt sonderbar. Wie kam die Zahl dennoch in die Welt? 

    Werneke: Die Zahl war in den Verhandlungen von den Arbeitgebern genannt worden, allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis, dies sei informell und nicht öffentlich verwendbar. Bundesinnenministerin Nancy Faeser trat dann interessanterweise mit den Zahlen, nach dem Scheitern der dritten Tarifrunde, vor die Kameras. Dadurch hat die Zahl einen offiziellen Charakter erhalten. Frau Faeser hat zudem eine Lohnerhöhung von acht Prozent in Aussicht gestellt, obwohl im Verhandlungsraum immer nur von sieben Prozent die Rede war, jeweils verteilt auf 24 Monate. Aber, wie gesagt, den Arbeitgebern war wichtig, dass es sich bei den Zahlen um kein offizielles Angebot des Bundes und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber handelt. 

    Das klingt absurd. 

    Werneke: Für uns ist klar: Nachdem die Bundesinnenministerin die Zahlen genannt hat, sind sie der Ausgangspunkt für die Schlichtung. Es wäre lebensfremd, wenn die Arbeitgeber glaubten, sie könnten hinter diese Zahlen zurückgehen.

    Sie wollen jetzt noch eine ordentliche Sahnehaube obendrauf. 

    Werneke: Wir brauchen für einen Abschluss über eine Laufzeit von 24 Monaten, auf der die Arbeitgeber bestehen, deutliche Verbesserungen, sowohl bei der prozentualen Lohnerhöhung als auch besonders beim Mindestbetrag je Beschäftigten. Und das Angebot der Arbeitgeber über acht Prozent muss man sich genauer anschauen: Das wären ja nur vier Prozent pro Jahr, je nachdem, wie man das Lohnplus aufteilt. 

    Doch die Verhandlungsführerin der kommunalen Arbeitgeber, die SPD-Politikerin Karin Welge, warnt vor zu hohen Abschlüssen. Bei einem zu üppigen Lohnplus fehle das Geld, um die staatliche Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten und neue Beschäftigte einzustellen. 

    Werneke: Die Beschäftigten brauchen aber deutlich höhere Löhne. Müllwerkerinnen und Müllwerker etwa gehen mit unter 2000 Euro netto pro Monat nach Hause. Diese Kolleginnen und Kollegen wissen nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Wir können doch nicht zulassen, dass Bedienstete des Öffentlichen Dienstes ergänzende staatliche Unterstützungsmaßnahmen brauchen. Im Öffentlichen Dienst gibt es viele Beschäftigte, die nur etwas mehr als den Mindestlohn bekommen. Dort herrscht schiere Not. 

    Doch viele Kommunen sind finanziell schwachbrüstig aufgestellt. Überfordern Sie diese Arbeitgeber nicht mit Ihren hohen Forderungen?  

    Werneke: Fakt ist, dass die Einnahmen der Kommunen wie auch des Bundes insgesamt steigen. 

    Doch auch die Ausgaben steigen. 

    Werneke: Das mag sein. Aber unter dem Strich haben die Kommunen das vergangene Jahr mit einem Netto-Überschuss von 8,5 Milliarden Euro abgeschlossen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Die von uns geforderten Tariferhöhungen sind also auch für die Kommunen umsetzbar. 

    Es gibt jedoch auch viele klamme Kommunen, die sicher Druck auf Frau Welge als Verhandlungsführerin ausüben, ja nicht vor Verdi einzuknicken. 

    Werneke: Natürlich erreichen mich aus Kommunen, die finanziell nicht so gut aufgestellt sind, warnende Worte. Andererseits fordern mich Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister aus Ballungsräumen auf, an unseren Forderungen festzuhalten, weil sie wegen der unzureichenden Bezahlung viele Stellen nicht besetzen können. Ich spüre also innerhalb der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände eine gewisse Zerrissenheit. Diesen Konflikt müssen die Arbeitgeber jedoch unter sich lösen. 

    Frau Welge stichelt gegen Sie und meint, allmählich den Eindruck zu gewinnen, dass Sie eher ein Interesse an weiteren Arbeitskämpfen hätten. Sitzen Sie die Schlichtung einfach aus, um dann nach Urabstimmungen einen unbefristeten Arbeitskampf vom Zaun zu brechen? 

    Werneke (lacht): Ich hätte mich über ein gutes Verhandlungsergebnis in der dritten Tarifrunde gefreut. Frau Welge weiß, wie das hätte aussehen müssen. Ich gehe jedenfalls sehr nüchtern an die Sache ran. Wenn es notwendig ist, etwas Bewegung in das Verhandlungsgeschehen zu bringen, setzen wir darauf, dass die Beschäftigten sich zeigen.

    Also wieder streiken. 

    Werneke: Wir setzen auf eine Mobilisierung der Beschäftigten. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes hätten auch kein Verständnis dafür, dass wir zu Beruhigungspillen nach dem Motto „Es wird schon alles gut“ greifen. Wir machen keinen Bückling vor den Arbeitgebern und werden nicht einknicken. Und genau das erwarten auch unsere Mitglieder. Die Menschen wollen selbstbewusst auftretende Gewerkschaften. Wir sind als Gewerkschaft nicht dafür da, als Erstes immer schon an den Kompromiss zu denken. Der Kompromiss steht am Ende. 

    Sie schließen also einen Arbeitskampf nach einer womöglich gescheiterten Schlichtung nicht aus? 

    Werneke: Ich hoffe, dass wir in der Schlichtung zu einem guten Ergebnis kommen. Wir gehen konstruktiv in die Gespräche hinein. 

    Und wenn es auf Arbeitgeberseite doch für Verdi destruktiver zugehen sollte? 

    Werneke: Wenn die Schlichtung und die danach stattfindende erneute Verhandlung keine Einigung erbringt, wäre es völlig normal, dass wir unsere Mitglieder im Rahmen einer Urabstimmung befragen, ob sie für einen Arbeitskampf bereit sind. Das möchte ich nicht als Drohung an die Arbeitgeber verstanden wissen. Aber jetzt gehen wir mit der notwendigen Zuversicht in die Schlichtung rein. Aber selbstverständlich sind wir auf alles vorbereitet. 

    Frank Wernekehat am 5. April Geburtstag. Er ist dann 56 Jahre alt. Der Gewerkschafter wurde 2019 zum Verdi-Vorsitzenden gewählt. Von 2002 bis 2019 war Werneke stellvertretender Vorsitzender der Arbeitnehmer-Organisation. 

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