Herr Prof. Rommel, Sie fragen in einem Ihrer Vorträge danach, wann wir unsere Erde aufgefressen haben. Wann ist es so weit?
Wolfgang Rommel: Wenn ich ein Datum nennen könnte, würde ich wahrscheinlich viel Geld damit verdienen. Im Ernst: Es geht nicht um einen Termin, sondern um Aufmerksamkeit dafür, dass wir im Kampf gegen den Klimawandel zwar sehr auf Technologien und Innovation setzen, dass wir etwa ein Kohlekraftwerk durch Windkraftanlagen ersetzen, den Verbrennungsmotor durch eine Batterie – alles richtig, alles wichtig. Aber: Das braucht Ressourcen, das braucht Werkstoffe, und zwar mehr als Stahl und mehr als Kupfer, sondern auch andere Elemente des Periodensystems und davon enorme Mengen. Alle Verbrennerautos gegen Stromer auszutauschen, wird nicht funktionieren. Sicher, Technologien sind wichtig, aber wichtiger ist die Erkenntnis: Es geht nicht weiter so wie bisher.
Müsste die Frage nicht eigentlich umgekehrt lauten: Wann frisst uns der Planet?
Rommel: Mit Blick auf den Klimawandel finde ich das Bild des Tsunamis leider sehr treffend. Wir wissen schon lange davon, nehmen ihn aber nicht hinreichend wahr. Das Meer ist noch ruhig, aber auf einen Schlag kommt die Welle. Wenn wir die bisherige Strategie verfolgen, alles einfach eins zu eins ersetzen zu wollen, dann kommt ein zweiter großer Tsunami auf uns zu. Das ist die Ressourcenkrise. Diese Riesenwelle zu brechen, wird noch schwieriger.
Es ist in Deutschland gerade kaum möglich, über den Klimawandel zu reden und die Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz außen vor zu lassen. Eine gute Sache, schlecht umgesetzt, am Ende steht Technologieoffenheit drüber, aber das Ergebnis ist: Zeitverlust. Wie haben Sie die Debatte wahrgenommen?
Rommel: Ich war erschrocken über die Diskussion, weil sie auf Basis eines durchgestochenen Entwurfs geführt wurde. Es wurden Dinge aus dem Zusammenhang gerissen. Man hat auf einem Niveau diskutiert, das unserer hoch entwickelten Gesellschaft nicht angemessen ist. Angemessen und dringlich wäre über Werte zu reden.
Welche Werte meinen Sie?
Rommel: Wir müssen als Gesellschaft darüber reden, was uns wirklich wichtig ist. Da kann jeder für sich zu einer anderen Meinung kommen, aber es geht darum, dass jeder dann die Konsequenzen daraus zieht. Meinen Studenten gebe ich immer das Beispiel, dass unsere Autos immer größer werden, sie immer mehr Platz brauchen, aber die Straßen Allgemeingut sind. Was folgt daraus?
Es gibt Menschen, die meinen, die Parkplätze müssten größer werden.
Rommel: Das ist der Punkt. Wir machen die Parkplätze größer, anstatt uns zu fragen, ist es wirklich ein Wert, ein immer größeres Auto zu haben? Ein Auto steht rund 23 Stunden herum. Ich ärgere mich über die Reichweitendiskussion bei der E-Mobilität. Die Hälfte aller unserer Fahrten ist unter fünf Kilometern, nur fünf Prozent sind über 100 Kilometern. Mit Rationalität hat das nichts mehr zu tun.
Ist es eine politische Sünde, wenn unter dem Schlagwort der Technologieoffenheit suggeriert wird, wir könnten weitermachen wie bisher?
Rommel: Als Ingenieur finde ich Technologieoffenheit faszinierend, ich bin in Technik verliebt. Nachdem ich mich aber 30 Jahre mit dem Thema Umwelttechnik beschäftigt habe, bin ich für mich zu der Erkenntnis gekommen, dass Technologieoffenheit an manchen Stellen nicht der richtige Weg ist. Ich möchte keinesfalls das gesellschaftliche System von China haben, aber warum setzt die chinesische Automobilindustrie ausschließlich auf die Elektromobilität? Weil sie sonst zwei unterschiedliche Technologiestränge weiterentwickeln müsste. Unsere Automobilindustrie ist jetzt in der Zwangslage, sich nun um Stromer und weiter um Verbrennungsmotoren kümmern zu müssen. Meine Meinung ist, dass der Staat hier klare Leitplanken hätte setzen müssen.
Die FDP zum Beispiel war anderer Meinung.
Rommel: So überzeugend und charmant Technologieoffenheit erst mal klingt, an manchen Stellen halte ich es für nicht richtig darauf zu setzen. Der Ansatz bei den Autos sollte sein, wirklich konsequent – und nicht nur die Durchschnittswerte zu überwachen, was hinten rauskommt. Dazu muss man wissen, dass bei Verbrennern auf den ersten fünf Kilometern, die meisten Abgase ausgestoßen werden. Also genau bei den Fahrten, die wir so häufig machen. Umgekehrt: Ein positives Beispiel: Vor 25 Jahren hat eine Windkraftanlage im Schnitt eine Leistung von ungefähr 400 Kilowatt geschafft. Heute sind es 3,5 Megawatt. Solarstrom hat vor 25 Jahren 60 Cent gekostet, heute sind es rund sechs Cent. Was ich sagen will: Wir sind technologisch wirklich in der Lage, etwas zu tun. Das darf uns aber nicht dazu verleiten zu sagen: weiter so wie bisher, nur anders.
Wie haben Sie im Alltag Ihre Werte gewichtet?
Rommel: Ich verzichte seit drei Jahren auf den Dienstwagen und radele ins Büro. Wir haben privat nur ein Auto. Ich versuche dienstlichen Flüge zu vermeiden. Weil das nicht immer geht, fahren wir mit Zug und Bus in den Urlaub. Und auch nicht weit weg, sondern in die Berge zum Wandern. Mir ist aber wichtig: Das soll jeder für sich entscheiden, ich will das nicht bewerten. Aber wir als Gesellschaft, die Politik, die Industrie sollte sich überlegen, welche Werte denn wirklich wichtig sind und dann entsprechend handeln.
Welche Werte sollte unserer Gesellschaft Ihrer Meinung nach anstreben?
Rommel: Noch mal, es geht nicht darum, zu sagen: Du darfst nicht mehr fliegen, Du nicht mehr Auto fahren. Aber ich bin ein großer Freund des Steuerungsmechanismus der CO2-Bepreisung. Umgekehrt sind Subventionen für fossile Energien für mich inzwischen eine Todsünde. Würde man diese abschaffen und den CO2-Preis konsequent nutzen, wäre viel gewonnen. Außerdem müssten wir anerkennen, dass wir umweltschädliche Explorationsprozesse für bestimmte Ressourcen einfach auslagern. Ich nenne nur als ein Beispiel die Kobaltminen im Kongo.
Wie würden Sie den Diskurs führen? Die Debatte zum Heizungsgesetz hat ja gerade gezeigt, wie es sensationell schiefgehen kann.
Rommel: Für mich geht es um Glaubwürdigkeit. Für mich wäre es ein echter gesellschaftlicher Fortschritt, wenn wir ein einmal erkanntes Ziel aus Wahlkämpfen heraushielten. Zugleich geht es um glaubwürdiges Regierungshandeln. Vielleicht bin ich naiv, aber warum es nicht gelingt, ein Tempolimit einzuführen, das einfach umzusetzen wäre und dessen Nutzen erwiesen ist, das verstehe ich nicht. Das würde uns nicht kosten und die Lebensqualität nicht verschlechtern. Für mich ist nicht der Lebensstandard der maßgebliche Wert, sondern die Lebensqualität.
Zur Person: Wolfgang Rommel lehrt an der Hochschule Augsburg mechanische und thermische Verfahrenstechnik, Apparatebau, Anlagenplanung. Er ist Geschäftsführer des bifa Umweltinstituts, ein in Augsburg ansässiges anwendungsorientiertes Forschungs-, Entwicklungs- und Beratungsunternehmen.