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Interview: Trittin: „Ein Fischkopf als Schutzheiliger der bayerischen Brauereien“

Interview

Trittin: „Ein Fischkopf als Schutzheiliger der bayerischen Brauereien“

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    In Kloster Andechs verkündete der damalige grüne Umweltminister Jürgen Trittin vor 20 Jahren den Durchbruch beim Dosenpfand.
    In Kloster Andechs verkündete der damalige grüne Umweltminister Jürgen Trittin vor 20 Jahren den Durchbruch beim Dosenpfand. Foto: dpa

    Herr Trittin, vor genau 20 Jahren tobte ein erbitterter Streit um die Einführung des Dosenpfands. Sie wurden in Bayern damals als grüner Umweltminister als Retter der kleinen Brauereien gefeiert. Wurden Sie eigentlich oft auf ein Bier eingeladen, nachdem sie das Dosenpfand durchgeboxt hatten?

    Jürgen Trittin: Hinterher nicht, aber zu dieser Zeit durchaus öfters. Damals lief in Bayern ein wichtiger Kommunalwahlkampf, den ich als sehr schön, wenn auch manchmal anstrengend empfand. Ich besichtigte jeden Tag zwei Brauereien. Und das hieß, das ich schon mal morgens ein helles Bier zum Trinken hingestellt bekam. Alkoholfreies Bier war damals noch nicht so in Mode und vielleicht auch gegen die Ehre der Brauer. In manchen Städten stellten Brauereien für uns Bierbänke auf und spendierten bei unseren Wahlkampfveranstaltungen auch mal Freibier. Das war für uns Grüne damals ein ungewohntes Glück.

    Auf dem Höhepunkt des Streits gab es einen Konvoi aus hundert Bierlastern, der fast 50.000 Unterschriften überbracht hat, damit Bayern dem Dosenpfand zustimmt. Sehen Sie sich selbst als Retter der kleinen Brauereien, auch wenn das Pfand den Trend zu Einwegflaschen nicht stoppen konnte?

    Trittin: Naja, ein Fischkopf aus dem Norden als Schutzheiliger der bayerischen Familienbrauereien, das hätten sich damals beide Seiten nie denken können. Aber ich glaube tatsächlich, dass das Pfand vor allem im Bereich der kleinen Brauereien existenzrettend gewesen ist und einige tausend Arbeitsplätze gesichert hat. Aber bei anderen Getränken, insbesondere Mineralwasser, hat das nicht in diesem Umfang geklappt.

    Die damals erwünschte Mehrwegquote von 70 Prozent, gibt es heute nur noch beim Bier. Ist das Einwegpfand gescheitert?

    Trittin: Nein, ich sehe das Einwegpfand als eine Art gemischten Erfolg. Ein Misserfolg war es beim Wasser, hier hat es den Trend zu mehr Einweg nicht wirklich gebremst. Ein Erfolg ist zum einen der Erhalt der kleinen Brauereien in Deutschland und zum anderen, dass die Vermüllung unserer Landschaft signifikant abgenommen hat. Aber zur ganzen Geschichte gehört auch, dass der Erfinder des Dosenpfandes nicht hier sitzt, sondern in Höxter: Klaus Töpfer hatte schon über zehn Jahre vorher eine verbindliche Mehrwegquote als CDU-Umweltminister ins Gesetz geschrieben.

    Ich als Grüner habe dann die bestehende Gesetzeslage einfach nur vollzogen, allerdings gegen den erbitterten Widerstand der Union und der großen Handelskonzerne. Meine Vorgängerin, die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel, hatte zuvor Töpfers Mehrwegquoten lieber nur nach unten geschraubt. Als die Quoten dann dennoch gerissen wurden, haben wir das Gesetz durchgesetzt, auch wenn wir hunderte Prozesse führen mussten. Für mich war es ein Lehrstück: Lobbyismus scheitert, wenn die Politik entschlossen ist, Recht auch durchzusetzen.

    Sie hatten den endgültigen Durchbruch für das Dosenpfand vor genau 20 Jahren ausgerechnet im Kloster Andechs an der Seite des damaligen Klosterbrauerchef Pater Anselm Bilgri auf bayerischem Boden verkündet. War das eine typische Trittin-Boshaftigkeit gegen die CSU?

    Trittin: Ich hatte damals sowieso einen Termin in der Nähe. Da dachten wir, das bietet sich an. Ich war schon immer sehr gespannt auf dieses Kloster, obwohl ich kein gottesfürchtiger Mensch bin. Ich kann mich gut erinnern, Pater Anselm hat mir damals sein „Restl-Kochbuch“ geschenkt. Wenn alle danach kochen würden, dann würden heute viel weniger Lebensmittel weggeschmissen werden. Ist noch immer hochaktuell, dieses Kochbuch.

    Freut es Sie, wenn Sie heute einen Pfand-Automaten für Plastikflaschen sehen?

    Trittin: Ja dieser Teil hat bis heute Bestand. Aber wir haben ja noch immer viele Probleme mit Plastik. Entscheidend wäre, wenn wir Kunststoffe hätten, die komplett stofflich recycelt werden könnten. Dann könnte das im Plastik gebundene CO2 aus dem Erdöl lange bewahrt werden und würde nicht freigesetzt, anstatt als Abfallprodukt verbrannt zu werden.

    Und ein großes Problem ist, dass Plastik, das nicht zurückgeführt oder verbrannt wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mikroplastik über die Nahrungskette in uns Menschen landet. Deshalb finde ich es sehr richtig, dass unsere jetzige Umweltministerin Steffi Lemke an einer globalen Plastik-Konvention arbeitet, die das verhindern soll. Aber die Unterstützer der Konvention gegen die Vermüllung der Weltmeere haben mit gewaltigem Lobbyismus internationaler Konzerne zu kämpfen, die in vielen Ländern sogar Mülltrennung verhindern wollen.

    Österreichische Forscher haben Mikroplastik in Stuhlproben von Menschen nachgewiesen.
    Österreichische Forscher haben Mikroplastik in Stuhlproben von Menschen nachgewiesen. Foto: Ina Fassbender, dpa

    Auf was aus Ihrer rot-grünen Regierungszeit sind Sie bis heute stolz?

    Trittin: Ich glaube, dass das, was wir in der damaligen Regierung mit der Energiewende auf den Weg gebracht haben, die meisten Veränderungen erzeugt hat und bis heute prägend ist. Wir konnten teilweise sogar die Welt verändern. Wir sind jetzt im siebten Jahr, in dem weltweit mehr erneuerbare Energie-Kapazitäten ans Netz gehen, als fossile Kraftwerke. Von Atomkraftwerken ganz zu schweigen. Insgesamt stieg die Erzeugung erneuerbarer Energien allein im vergangenen Jahr um über 250 Gigawatt.

    Diesen Prozess haben wir damals in Deutschland angeschoben. Zum Teil der Wahrheit gehört natürlich, dass wir das alle über die EEG-Umlage mitbezahlt haben. Aber das führte dazu, dass Erneuerbaren heute konkurrenzlos billig geworden sind. Aber die jetzige Bundesregierung steht vor einer noch größeren Aufgabe. Denn es geht nicht nur um die Transformation einer Branche, sondern der gesamten Volkswirtschaft hin zu Klimaneutralität. Das ist eine schwierigere Aufgabe, als es damals für uns war.

    Als eines der ersten Dinge wird die Bundesregierung Ihre alte EEG-Umlage abschaffen, weil die Energiepreise immer teuer werden.

    Trittin: Ich werde der EEG-Umlage keine Träne nachweinen. Wir haben nach all den Jahren der Anschubfinanzierung heute die Möglichkeit, für vier bis fünf Cent Strom aus Wind oder Fotovoltaik auch in Deutschland herzustellen. Das kann kein Gaskraftwerk, kein Kohlekraftwerk und ein Atomkraftwerk schon gar nicht. Deshalb muss man den Markt neugestalten.

    Was eine Anschub- und Innovationsfinanzierung war, muss beendet werden. Wir erleben zugleich eine Preisexplosion der fossilen Energien. Das liegt nicht nur am Gaspreis, wir haben an den Weltmärkten auch eine Verdreifachung der Kohlepreise. Deshalb sollte man den Entlastungseffekt der wegfallenden EEG-Umlage nicht überschätzen. Der schnellste Weg aus den hohen Energiepreisen ist, sich von Kostentreibern wie Kohle und Gas mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien unabhängig zu machen.

    Als Sie vor 20 Jahren Minister waren, hieß der Oppositionsführer Friedrich Merz. Jetzt sind die Grünen wieder in der Regierung und Merz wieder Oppositionsführer. Kommen Sie da in Retro-Stimmung?

    Trittin: Kann sein, dass das Zurück zu Merz der CDU im Innern guttut. Aber manches erinnert an alte Roland-Koch-Zeiten. Plötzlich ist die Union gegen Dinge, die sie selbst 16 Jahre praktiziert hat. Man ist in den Ländern für eine Impfpflicht, will sie dann aber nicht umsetzen. Man fordert vom Bund ein Gesetz für eine allgemeine Impfpflicht, aber droht damit, es im Bundesrat zu Fall zu bringen. Die spannende Frage ist, ob das der Union nützen wird. Ich bezweifle das.

    Die Ausgangslage hat sich verändert und ist komplexer geworden. Die Union regiert in den Ländern mal mit Grünen, mit der FDP oder in großen Koalitionen mit der SPD. Auch uns Grünen sagt man ja nach, wir wären beliebig geworden. Aber es kommt auf die Inhalte an und Demokraten müssen untereinander koalitionsfähig sein. Eine Rückkehr in Zeiten mit klar erklärten Feindbildern funktioniert da nicht mehr. Politik ist unübersichtlicher geworden.

    Bedauern Sie das?

    Trittin: Nein, die Politik ist auch spannender geworden. Aber wir haben auch international aufgrund der globalen Vernetzung eine viel komplexere Lage, gerade was Krisen angeht. Kleine Dinge können viel größere Effekte haben. Auf der einen Seite leidet die Stabilität, aber auf der anderen Seite ergibt sich damit ein Zwang zur Kooperation. Und diese Kooperation brauchen wir dringend, wenn wir eine Antwort auf die bittere Krise im Osten Europas, auf den Kriegstreiber im Kreml geben müssen.

    Zur Person: Jürgen Trittin, 67, stammt aus Bremen. Der Grünen-Politiker ist seit 1988 Mitglied des Bundestages. Von 1998 bis 2005 war er Bundesumweltminister.

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