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Interview: Steuerzahler-Präsident: "Am Ende erzeugt der Tankrabatt Verdruss über die Politik"

Interview

Steuerzahler-Präsident: "Am Ende erzeugt der Tankrabatt Verdruss über die Politik"

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    Reiner Holznagel ist Präsident des Bundes der Steuerzahller.
    Reiner Holznagel ist Präsident des Bundes der Steuerzahller. Foto: Kay Nitefeld, dpa

    Herr Holznagel, was kann der deutsche Staat tun, um den Anstieg der Inflation zu begrenzen?

    Reiner Holznagel: Die Bundesregierung sollte die Stromsteuer deutlich absenken und die Mehrwertsteuer auf Strom von 19 auf sieben Prozent absenken. Strom ist lebensnotwendig wie Nahrungsmittel. Auch wäre es wesentlich sinnvoller gewesen, die Entfernungspauschale für Autofahrerinnen und -fahrer auf 40 Cent ab dem ersten Entfernungskilometer anzuheben, denn sie gilt für alle Verkehrsmittel. Bisher hat die Ampelkoalition eine Anhebung ab dem 21. Kilometer von 35 auf 38 Cent je Entfernungskilometer beschlossen. Im Gegensatz zum Tankrabatt und dem Neun-Euro-Ticket kommt die Entfernungskosten-Pauschale nur denen zugute, die fahren müssen.

    Der Tankrabatt scheint ein Flop zu sein, weil nach Berechnungen von Wissenschaftlern wie Johannes Schwanitz etwa zwei Drittel der Steuerersparnis bei den Ölkonzernen versickert.

    Holznagel: Beim Tankrabatt gilt: Viele Köche haben den Brei verdorben. Der Tankrabatt-Kompromiss war von Anfang an falsch. Viele Experten – und auch wir – haben früh gewarnt, dass ein solcher Tankrabatt der falsche Weg ist, um Autofahrer zu entlasten.

    Nun wird diskutiert, ob man die Mineralöl-Multis zumindest mit einer Übergewinnsteuer packen kann.

    Holznagel: Das ist ein reines Ablenkungsmanöver. Das hilft den Menschen, die derzeit an der Zapfsäule stehen, überhaupt nicht. Mit der Übergewinnsteuer produziert die Politik nur knallige Headlines. Das alles hört sich in Talkshows wunderbar an, aber bis heute ist völlig unklar, wie sich eine solche Steuer, mit der übermäßige Gewinne etwa bei den Mineralölkonzernen abgeschöpft werden sollen, umsetzen lässt. Zwei einfache Fragen machen das deutlich: Wer definiert, was gute und was schlechte Gewinne sind? Und über welche Prozentsätze reden wir bei einer Übergewinnsteuer? Die Diskussion über die Übergewinnsteuer macht mich wütend.

    Warum macht Sie das so wütend?

    Holznagel: Weil mit der Übergewinnsteuer eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, in der Hoffnung, dass wir den alten Fehler, nämlich den Tankrabatt, vergessen. Doch mit dem Tankrabatt ist weder den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern noch den Menschen, die tanken müssen, geholfen. Am Ende erzeugt der Tankrabatt Verdruss über die Politik und das Gefühl der Machtlosigkeit, was die steigende Inflation betrifft. Das ist fatal.

    Müsste die Regierung beim Tankrabatt nicht selbstkritisch die Notbremse ziehen und ihn nach einem Monat einstellen, statt die Maßnahme zwei weitere Monate laufen zu lassen?

    Holznagel: Bundesfinanzminister Christian Lindner hat darauf verwiesen, dass die Spritpreise ohne Tankrabatt noch höher wären. Ob das so ist, kann ich nicht nachprüfen. Und auch das Bundeskartellamt wird sich schwertun, die Sache kurzfristig zu überprüfen. Doch der Tankrabatt ist und bleibt ein Fehler.

    Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, also Schluss mit dem Tankrabatt nach einem Monat?

    Holznagel: Der Konstruktionsfehler des Tankrabatts lässt sich schwer wettmachen. Deshalb muss die Bundesregierung den Zeitraum des Tankrabatts deutlich verkürzen.

    Also von drei auf einen Monat?

    Holznagel: Ich bin für eine Verkürzung von drei auf einen Monat, zumal sich so viel Geld sparen lässt. Wenn man den Tankrabatt drei Monate durchlaufen ließe, würde das den Staat 3,0 bis 3,2 Milliarden Euro kosten.

    Dann könnte man gleich auch den aus Sicht von Steuerzahlern teuren Spaß des 9-Euro-Tickets beenden?

    Holznagel: Das sollte man diskutieren. Meines Erachtens ist das 9-Euro-Ticket nur ein Schnupperkurs für den öffentlichen Nahverkehr. Doch Aufgabe des Staates ist, die Menschen finanziell zu unterstützen, die pendeln müssen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen und damit ein Einkommen zu erzielen. Dieser Auftrag des Staates deckt sich nicht mit dem 9-Euro-Ticket. Die einzige Maßnahme, um Menschen zu entlasten, die zwangsweise pendeln müssen, ist die Entfernungspauschale, ob mit dem Auto, der Bahn oder dem Fahrrad. Hier muss man nachschärfen.

    Doch die Regierung hält am 9-Euro-Ticket fest.

    Holznagel: Das ist ärgerlich. Auf den Facebook- und Instagram-Kanälen feiern Politikerinnen und Politiker das 9-Euro-Ticket. Dort ist zu lesen: Der ÖPNV werde so für alle attraktiver. So komme man günstiger in den Urlaub. Und auch: So lerne man Deutschland kennen. Ich kann das nicht verstehen. Schließlich liegt die Inflation bei 7,9 Prozent und wir wissen nicht, wie wir im Winter die Wohnungen warm kriegen.

    Doch das 9-Euro-Ticket könnte Menschen dauerhaft zum Umsteigen auf Bus und Bahn bewegen.

    Holznagel: Doch im Winter hilft es uns nichts, dass wir uns daran erinnern können, mit neun Euro durch Deutschland gefahren zu sein. Das ist seitens der Politik nicht nur naiv, sondern fahrlässig gegenüber Haushaltsmitteln, die durch das 9-Euro-Ticket gebunden werden. Hinzu kommt das bei der Bahn entstehende Chaos durch überfüllte Züge. Das ist wahnsinnig, was die Regierung hier anrichtet.

    Da bleibt nur, Tankrabatt und 9-Euro-Ticket nach einem Monat auszubremsen.

    Holznagel: Das sollten wir tun. Wir müssen die während der Pandemie genährte Illusion beenden, dass der Staat alles heilen kann. Wir dürfen mit Aktionen wie dem Tankrabatt und dem 9-Euro-Ticket nicht den Eindruck erwecken, dass dies funktioniert. Die Politik schadet sich selbst, wenn sie die Menschen glauben lässt, sie könne die Folgen der hohen Inflation voll ausgleichen. Nur wo die Not wirklich groß ist, muss die Politik kräftiger unterstützen. Sonst kann die Bundesregierung die Teuerung allenfalls teilweise kompensieren. Deshalb sollte sie auch nicht die falsche Hoffnung wecken, dass alle Rentnerinnen und Rentner nachträglich und ohne Weiteres in den Genuss der Energiepreis-Pauschale kommen werden. Hier sollte endlich die Bedürftigkeit im Vordergrund stehen. Wir müssen grundlegend neu nachdenken.

    Doch der Zug fährt in eine andere Richtung. Das Schuldenmachen geht wohl weiter. SPD-Chefin Saskia Esken diskutiert offen, dass die Schuldenbremse auch 2023 ausgesetzt wird.

    Holznagel: Wir müssen die Schuldenbremse 2023 unbedingt wieder einhalten, sonst gerät mittel- bis langfristig der Haushalt aus allen Fugen. In den Notzeiten der Pandemie war es zulässig, die Schuldenbremse in den Notmodus umzustellen. So konnten Schulden in erheblichem Umfang aufgenommen werden, nämlich 485 Milliarden Euro, einschließlich diesen Jahres. Damit wurde die Wirtschaft unterstützt. Doch jetzt diskutieren wir, mit Schulden Konsum zu finanzieren. Ich dachte, dass wir diese gefährliche Spirale hinter uns gelassen haben.

    Sie sagen, Deutschland habe kein Einnahme-, sondern ein Ausgabeproblem.

    Holznagel: Leider ist es in der Politik, bis auf Finanzminister Lindner, ein Tabu geworden, sich die Ausgabenseite anzuschauen und dort zu kürzen. Dabei hat der Staat kein Einnahmeproblem. Der Arbeitskreis Steuerschätzung geht von steigenden Steuereinnahmen aus. So hat die Ampelkoalition im Vergleich zur Großen Koalition gute 200 Milliarden mehr an Steuereinnahmen zur Verfügung. Doch angesichts der im Schweinsgalopp beschlossenen Ausgabenerhöhungen durch die Bundesregierung wird einem schon schwindlig.

    Schleicht sich in Deutschland eine Art Schulden-sind-geil-Mentalität ein?

    Holznagel: Die Null- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank hat eine solche Mentalität befördert. Geld, also Schuldenmachen, war schlicht zu billig. So werden viele Häuslebauer in den nächsten Jahren in einer Phase steigender Zinsen massive Schwierigkeiten bekommen, wenn Umfinanzierungen bei ihren Hypothekenkrediten anstehen, sie also höhere Zinsen zahlen müssen. Hinzu kommt, dass Politikerinnen und Politiker fahrlässig und zu positiv über das Schuldenmachen gesprochen haben. Das hat sicher eine Schulden-Mentalität begünstigt.

    Zur Person: Reiner Holznagel, 46, ist seit 2012 Präsident des Bundes der Steuerzahler. Nach Abschluss seines Studiums der Politischen Wissenschaften, des Öffentlichen Rechts und der Psychologie arbeitete er bis 2003 als Pressesprecher für die CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Danach wechselte Holznagel zum Bund der Steuerzahler.

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