Herr Klein, Baugeld wird immer teurer. Und die Immobilienpreise bleiben in guten Lagen sehr hoch. Können viele Menschen ihren Traum vom Häusle-Bauen nicht mehr verwirklichen?
Reinhard Klein: Wir haben in zweifacher Hinsicht ein grundlegendes Problem: Zum einen gibt es zu wenige Wohnungen und Häuser auf dem Markt und es wird weiterhin zu wenig gebaut, um das Angebot zu erhöhen. Zum anderen sind durch die hohe Nachfrage die Preise in den letzten Jahren stark gestiegen. Die hohen Preise wurden in der Vergangenheit durch die extrem niedrigen Kreditzinsen teilweise ausgeglichen. Der starke Zinsanstieg in den letzten Monaten hat aber dazu geführt, dass dieser Effekt wegfällt und sich immer weniger Menschen den Kauf einer Immobilie leisten können.
Doch Bundesbauministerin Klara Geywitz verspricht weiterhin 400.000 neue Wohnungen pro Jahr.
Klein: Das Risiko ist hoch, dass das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr nicht mal ansatzweise erreicht wird. Das wäre aber schlecht für Deutschland. Wir brauchen dringend mehr Wohnraum. Was auch problematisch ist: Selbst Menschen, die sich den Kauf einer Immobilie noch leisten können, halten sich angesichts der drohenden Rezession, der hohen Inflation und des Kriegs in der Ukraine zurück. Sie warten erst einmal ab, was in der Ukraine und Europa weiter passiert, ehe sie sich hoch verschulden.
Wie kommen wir raus aus diesem deutschen Immobilien-Dilemma?
Klein: Zum Glück gibt es auch positive Entwicklungen: Wir beobachten, dass die Immobilienpreise aktuell zumindest nicht weiter steigen. Bei Immobilien in nicht stark nachgefragten Lagen oder in einem energetisch schlechten Zustand sehe ich, wie auch für Top-Luxus-Objekte, sogar leicht rückläufige Preise. Das reicht aber nicht, um das derzeitige Immobilien-Dilemma zu überwinden. Hier ist die zusätzliche Unterstützung der Bundesregierung gefragt.
Was muss die Politik tun, damit wir rauskommen aus dem deutschen Immobilien-Dilemma?
Klein: Die Bundesregierung muss ihr Vorhaben, die Nebenkosten für den Kauf von Immobilien zu senken, umsetzen. Diese Nebenkosten wie Notar, Maklerprovision und Grunderwerbsteuer sind ein großer Brocken beim Immobilien-Erwerb. Sie machen zehn bis zwölf Prozent der gesamten Kosten aus. Hier brauchen wir wie in anderen Ländern Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer, beispielsweise für den erstmaligen Erwerb von selbst genutztem Wohneigentum.
Was ist noch zu tun, um den Wohnungs- und Hausbau in Deutschland anzukurbeln?
Klein: Unsere Bauvorschriften sind viel zu kompliziert. Das Regelwerk muss dringend entschlackt werden. Denn die jetzige Regulierungswut treibt die Baukosten massiv nach oben. Auch mit standardisierten Bauweisen, also dem seriellen Bauen mit gleichen Baugruppen, könnten Kosten deutlich gesenkt werden. Das ist auch ein Vorhaben, das Bauministerin Geywitz anstrebt. Dann gibt es noch einen Punkt, der ist aber für viele unangenehm.
Was ist das für ein sensibler Punkt?
Klein: Wir müssen diskutieren, ob jeder, der ein Haus baut, unbedingt 200 Quadratmeter und mehr Wohnfläche braucht. Heute gibt es schon klug geschnittene Grundrisse, die es jedem ermöglichen, auch auf weniger Quadratmetern gut zu leben. Natürlich sind wir verwöhnt, aber wir müssen lernen, solch dicke Bretter zu bohren, um Wege aus dem deutschen Bau-Dilemma zu finden.
An welche dicken Bretter denken Sie noch?
Klein: Ich denke etwa an das Modell „Jung kauft alt“. Hier ziehen ältere Menschen aus ihrem Haus aus, nachdem die Kinder gegangen sind und verkleinern sich deutlich. So ermöglichen sie es jungen Familien, ihre großen Häuser zu kaufen oder zu mieten. Solche Modelle werden schon von einzelnen Gemeinden gefördert. Hier lassen die Kommunen Wohnungen für ältere Menschen bauen, die ihre Häuser für junge Familien geräumt haben. Kurzum: Wir müssen dringend etwas tun. Denn derzeit werden bestimmte Bevölkerungs-Gruppen vom Immobilien-Kauf ausgeschlossen.
Was sich zu einem sozialen Sprengstoff entwickelt.
Klein: Es ist für ein Land wie Deutschland massiver sozialer Sprengstoff, wenn sich etwa eine Facharbeiter-Familie den Bau eines Hauses nicht mehr leisten kann, sofern sie nicht zuvor geerbt hat. Eine Erbschaft ist heute oft unabdingbar, um das nötige Eigenkapital für den Immobilien-Erwerb aufzubauen. Dabei zählt Deutschland im europäischen Vergleich heute schon zu den Ländern mit der geringsten Quote an Immobilien-Eigentum, nur in der Schweiz leben noch weniger Menschen in Wohneigentum als bei uns. In Staaten wie Italien und Spanien liegen diese Quoten deutlich höher. In diesen Ländern ist es selbstverständlich, dass junge Familien Eigentum erwerben können. In Deutschland ist das leider anders. Nehmen wir an, eine Familie will in Augsburg ein Häuschen für 600.000 Euro kaufen.
Was ein happiger Betrag ist.
Klein: Auch weil man zur Finanzierung 20 Prozent Eigenkapital, also 120.000 Euro braucht. Welche 35-Jährige oder welcher 35-Jährige hat denn 120.000 Euro auf der hohen Kante? Dann kommen noch die hohen Kaufnebenkosten dazu.
Trotz aller Hürden auf dem Weg zum Häuschen schließen immer mehr Menschen Bausparverträge ab.
Klein: Ja, und seit die Zinsen in diesem Jahr steigen, zieht das Bauspargeschäft massiv an, während es in der langen Phase der Null- und Negativzinsen rückläufig war. Nun wollen die Menschen sich über Bausparverträge nach der Ansparphase günstige Darlehenszinsen für die Zukunft sichern, mit einem Effektivzins von 1,4 bis knapp drei Prozent. Bausparen dient außerdem dem rechtzeitigen Aufbau von Eigenkapital, auch mithilfe staatlicher Förderungen. Bausparen boomt wieder. Ich gehe davon aus, dass in Deutschland in diesem Jahr in der Summe Verträge über 100 Milliarden Euro abgeschlossen werden, während es in den letzten Jahren immerhin auch 70 bis 80 Milliarden Euro waren. Bausparen war und ist sexy.
Finden auch Angehörige der Generation Z, die zwischen 1995 und 2012 zur Welt gekommen sind, Bausparen sexy oder doch spießig? Angeblich verspüren diese jungen Menschen nicht mehr so den Drang zum Eigentum, sei es bei Autos oder Immobilien.
Klein: Auch in dieser Altersgruppe verzeichnen wir viele Abschlüsse. Für junge Menschen ist Wohneigentum sehr attraktiv. In Umfragen sagen 60 bis 70 Prozent von ihnen, dass sie gerne eine Immobilie erwerben wollen. Und darüber finden sie dann auch zum Bausparen.
Dafür wollten Bausparkassen wie Schwäbisch Hall in der Nullzinsphase langjährige Kundinnen und Kunden zum Teil nicht mehr haben. Altverträge wurden gekündigt. Das sorgte für böses Blut. War das notwendig?
Klein: Wichtig ist mir an der Stelle: Die Kündigung dieser Verträge erfolgte in einem zulässigen rechtlichen Rahmen, etwa wenn die Regel-Besparung trotz Nachforderung nicht erfüllt wurde oder die Verträge schon lange zuteilungsreif waren. Die Lage hat sich inzwischen aber deutlich beruhigt.
Die Kündigungen kamen aber trotzdem nicht gut an.
Klein: Es ist klar, dass man sich damit auf Kundenseite keinen Gefallen tut. Aber wir sind dazu verpflichtet, die Bauspargemeinschaft zu schützen und zu stärken und die Balance zwischen Sparern und Darlehensnehmern zu bewahren. Die Hochphase dieser Kündigungen ist auf alle Fälle vorbei.
Jetzt muss man damit rechnen, dass Immobilien noch teurer werden, schließlich soll der Gebäudebestand in Deutschland bis 2045 nahezu klimaneutral sein. Dafür müssen Unsummen aufgewandt werden.
Klein: Schon zuletzt sind die Baukosten von Sommer letzten Jahres bis jetzt um 22 Prozent gestiegen, also weit über die Inflationsrate hinaus. Und die ehrgeizigen, aber notwendigen Klimaziele verteuern das Bauen noch einmal. Nach unseren Berechnungen könnte der Bau eines Hauses nach dem neuesten Energieeffizienz-Standard um rund 300 Euro pro Quadratmeter teurer werden.
Dann können sich noch weniger Menschen ein Häuschen leisten.
Klein: Das ist richtig. Statt die Anforderungen an Neubauten noch höher zu schrauben, wäre es mit Blick auf die Klimaziele klug, zunächst den Bestand an Immobilien energetisch zu sanieren. Der Klimaschutz wird in der Sanierung des Immobilien-Bestandes entschieden. Die Gebäude in Deutschland stoßen pro Jahr 120 Millionen Tonnen CO₂ aus. Was unvorstellbar klingt: Bis 2030 soll der Wert nach den Plänen der Bundesregierung auf 67 Millionen Tonnen CO₂ sinken. Ein großer Hebel liegt bei den Gebäuden mit den schlechtesten Energie-Effizienzklassen G und H, die ein Drittel der Gebäude in Deutschland ausmachen. Hier müssen wir ansetzen.
Sind die Pläne der Bundesregierung realistisch?
Klein: Allein um die Klimaziele der Bundesregierung für 2030 zu erfüllen, müsste man jedes zweite Haus in Deutschland so sanieren, dass es CO₂-neutral ist. Um das zu erreichen, brauchen wir einen übergreifenden Plan, sonst wird das nichts. Wenn wir das einfach laufen lassen, erreichen wir die Ziele nie. Zunächst müsste jeder den CO₂-Abdruck seines Hauses kennen. Hilfreich wäre es zudem, auf Bundesebene ein Zentralregister zur Energieeffizienz einzelner Gebäude zu erstellen. Das könnte serielles Sanieren und spezifische Förderprogramme erleichtern.
Was muss jetzt passieren?
Klein: Wir müssen jetzt als Erstes diese Gebäude der schlechtesten Energieeffizienz-Klassen G und H sanieren. Dabei ist es unrealistisch, sie auf das beste Energie-Niveau der Klassen A und B zu trimmen. Das ist zu aufwendig und zu teuer. Dann wäre es finanziell sinnvoller, die Gebäude gleich abzureißen und neu zu bauen. Ich plädiere für einen pragmatischen Weg: Wir müssen diese Gebäude zumindest so gut isolieren, dass sich der Einbau von Niedrig-Energieheizungen, die mit grüner Energie betrieben werden, lohnt. Dann werden diese Häuser CO₂-neutral, auch wenn sie nicht in den höchsten Energieeffizienz-Klassen landen.
Müssen manche Häuser als besondere Klima-Sünder abgerissen werden?
Klein: Da sollte sich jeder selbst prüfen und in die eigene Familie schauen. Wer will schon seinen Eltern, die um die 80 Jahre alt sind, nahebringen, dass sie ihr Haus aus den 70er Jahren abreißen und neu bauen sollen? Bei Nachhaltigkeit gilt es auch, die sozialen Verhältnisse zu berücksichtigen. Besser ist es also, ältere Menschen durch Aufklärung und finanzielle Anreize zu motivieren, beispielsweise eine neue Heizung einzubauen. Wir sehen, dass schon heute 30 Prozent der Bausparmittel in die Sanierung von Gebäuden fließen und in den allermeisten Fällen verbessert sich damit auch die Energieeffizienz.
Zur Person: Reinhard Klein,62, ist seit 2014 Vorstandsvorsitzender der Bausparkasse Schwäbisch Hall. Nach einer Lehre zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank studierte er in München Betriebswirtschaft. Von 1990 bis 1994 war Klein Marketingleiter dezentrale Systeme, Distriktleiter Vertrieb Bankensysteme für Großbanken bei der NCR/AT&T GmbH in Augsburg. Dann führte ihn der Weg zur einstigen Bayerischen Vereinsbank. In führender Funktion gestaltete er die Fusion der Vereinsbank mit der ebenfalls in München sitzenden Hypobank mit, ehe Klein 2002 den Weg zu Schwäbisch Hall fand und dort 2003 in den Vorstand aufrückte. Dann wechselte Klein als Vorstandsmitglied zur Hamburger Sparkasse, um nach einer Vorstandsfunktion bei der Haspa Finanzholding wieder zu Schwäbisch Hall zurückzukehren. Dort stieg er an die Spitze der Bausparkasse auf. Klein kennt also alle drei Säulen des deutschen Bankwesens: Genossenschaftlich organisierte Institute, Sparkassen und Privatbanken.