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Interview: Schwabens Handwerkspräsident warnt Politiker: "Wir gehen kaputt"

Interview

Schwabens Handwerkspräsident warnt Politiker: "Wir gehen kaputt"

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    "Ich befürchte, dass Betriebe einfach aufhören und zusperren", sagt Schwabens Handwerkspräsident Hans-Peter Rauch zur derzeitigen Energiekrise.
    "Ich befürchte, dass Betriebe einfach aufhören und zusperren", sagt Schwabens Handwerkspräsident Hans-Peter Rauch zur derzeitigen Energiekrise. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Rauch, ein undichtes Dach muss immer abgedichtet werden, wer Hunger hat, kauft sich eine Butterbreze beim Bäcker. Ist die Lage im Handwerk wirklich so schlimm, dass Sie sich in einem Brandbrief an den Bundestag wenden mussten, um vor der größten Krise der deutschen Nachkriegsgeschichte zu warnen?

    Hans-Peter Rauch: Durch die rasant gestiegenen Energiepreise ist "Land unter" im Handwerk. Wir werden derzeit überschwemmt mit Anrufen von Handwerkern, die sagen, dass sie bis März nicht durchhalten. Wir gehen kaputt. In der derzeitigen Situation wackelt ein Pfeiler unserer wirtschaftlichen Infrastruktur. Das Handwerk hat eine Schlüsselfunktion für die gesamte Wirtschaft. Politisch wird das alles aber nicht wahrgenommen. Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, es ist nach zwölf.

    Könnten Sie ein Beispiel nennen? Wie stark ist die Belastung?

    Rauch: Kürzlich hatte ich einen Metzger-Kollegen gesprochen, dessen Stromvertrag am 1. Oktober ausgelaufen war. Bisher hatte er 3000 Euro Abschlag für Strom gezahlt, das neue Angebot sieht 9000 Euro pro Monat vor. Er hat mir gesagt, dass er das nicht durchhalten kann. Egal ob Strom oder Gas, häufig sind die neuen Abschläge für Handwerksbetriebe drei- bis viermal so groß. Die Unternehmen müssen sich auch auf die Energiepreise verlassen können, damit sie ihre Angebote entsprechend kalkulieren können. Diese Planungssicherheit ist entscheidend für die Betriebe, aber auch für die Kunden.

    Welche Betriebe trifft es besonders?

    Rauch: Es gibt zahlreiche Gewerke, die stromintensiv sind. Bäcker an allererster Stelle, aber auch Brauer und Metzger, die viel mit Wärme- und Kälteprozessen arbeiten. Im Lebensmittelbereich kann man die höheren Preise aber nicht immer an die Kunden weitergeben. Dramatisch ist die Lage für die vielen Zulieferer der Industrie in den Metallhandwerken. Letztlich trifft es aber alle Handwerksbereiche, da auch Gas und Diesel teuer geworden sind. Ich habe noch nie eine so dramatische Lage erlebt wie jetzt.

    Wieso sehen Sie die gesamte wirtschaftliche Basis in Gefahr? Da sind starke Aussagen!

    Rauch: Handwerksbetriebe stehen ja nicht nur für sich alleine, stattdessen sind zahlreiche andere Unternehmen und Einrichtungen auf ihre Dienste angewiesen. Kann ein Galvaniseur nicht arbeiten, fehlt einem Roboterbauer ein Teil und die Produktion dort steht still. Schließt ein Textilreiniger wegen hoher Energiekosten die Türen, frage ich mich, wer die OP-Kittel für die Krankenhäuser wäscht? Dass Schließungen von Handwerksbetrieben die gesamte Wirtschaft lahmlegen, ist bisher politisch nicht angekommen.

    Jetzt ist die Regierung nicht untätig. Die Atomkraftwerke sollen bis ins Frühjahr hinein laufen. Erleichtert dies die Situation?

    Rauch: Das hilft sicherlich zu einem kleinen Teil bei den Stromkosten. Aber auch Gas, Sprit und Pellets steigen im Preis. Angesichts der schwankenden Preisen, wissen viele Handwerker nicht, ob sie am Ende des Monats mit ihrer Arbeit nicht draufzahlen.

    Gegen steigende Gaspreise ist ja im Frühjahr eine Gaspreisbremse geplant.

    Rauch: Die Gaspreisbremse kommt viel zu spät, nämlich nach der kalten Jahreszeit. Andere Länder haben längst die Energiekosten gedämpft, während bei uns viel diskutiert aber nichts gemacht worden ist. Selbst wenn die Gaspreisbremse im April greift, sieht sie eine Verdoppelung des Preisniveaus plus 20 Prozent Gasbezug zum Marktpreis vor, ohne Deckel. Das ist keine Entlastung! Von einer Strompreisbremse hört man schon gar nichts mehr. Anders als versprochen, soll das Energiekostendämpfungsgesetz zudem nun doch nicht für kleine und mittelständische Unternehmen gelten. Es ist unglaublich, wie man mit dem Mittelstand umgeht, das ist ein Vertrauensverlust ohne gleichen! Bereits bei Corona war der Vertrauensverlust in die Politik hoch. Wenn wir das nochmals erleben, geht noch mehr Vertrauen in den Staat und die Demokratie verloren!

    Befürchten Sie Insolvenzen?

    Rauch: Ich befürchte eher, dass Betriebe einfach aufhören und zusperren. Wer als Handwerksmeister 40 Jahre in seinen Betrieb investiert hat und nun plötzlich nicht mehr weiß, ob es sich die Arbeit am Ende des Monats rechnet oder ob er draufzahlt, schließt zu. Bevor man die Rücklagen und das Ersparte in eine ungewisse Zukunft steckt, hört man auf und sagt "Ich mag nicht mehr." Handwerksbetriebe, die verschwinden, kommen aber nicht zurück. Handwerksbetriebe melden selten Insolvenz an, sie sterben still.

    Wie sieht es auf dem Bau aus, lange Jahre ja ein boomendes Gewerbe?

    Rauch: Im Hausbau für den einzelnen sehe ich dramatische Entwicklungen. Es liegt an den steigenden Zinsen. Junge Familien, die sich einen Bauplatz gesichert haben, geben ihn zurück, weil sie die Finanzierung nicht mehr leisten können. Noch können Handwerksbetriebe im Bau- und Ausbaugewerbe von früheren Aufträgen leben. Aber es kommen kaum neue hinzu! Teilweise werden auch schon Aufträge storniert.

    Müsste in der Energiekrise die Nachfrage nach Sanierungen und neuen Heizungen geradezu boomen?

    Rauch: Natürlich haben die Betriebe der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie die Elektrotechnik momentan eine Sonderkonjunktur. Doch das Problem ist auch, dass die Menschen angesichts der Unsicherheiten ihr Geld zurückhalten und keinen Kredit aufnehmen, um in die Sanierung oder eine neue Photovoltaikanlage zu investieren. Eine Sanierung lässt sich schließlich zeitlich aufschieben. Bei Wärmepumpen besteht das Problem, dass die Geräte auf dem Markt fehlen. Eine Wärmepumpe, die man heute bestellt, kommt im Frühjahr an. Das Handwerk arbeitet Altaufträge ab, neue kommen kaum herein. Ganze 33 Prozent unserer Betriebe haben negative Erwartungen für das nächste Jahr. Wenn die Energiepreise explodieren, der Konsum zurückgeht und nun auch die Bauwirtschaft bremst, ist klar, wo das endet. In der Rezession.

    Hat das Handwerk nicht goldene Jahre hinter sich, in denen man Rücklagen für schwierige Zeiten hätte bilden können?

    Rauch: Wir haben ja gerade erst die Corona-Krise hinter unter uns. In dieser sind die Rücklagen geschrumpft. Ja, das Handwerk steht für Solidität und bildet Rücklagen, diese sind aber nicht unendlich.

    Ihr Kollege Konrad Ammon, Chef des Metzgerhandwerks in Bayern, hat kürzlich vorgerechnet, eine Leberkässemmel müsste eigentlich 4,50 Euro kosten. Wenn die Preise für Energie derart stark steigen, werden dann auch Handwerksleistungen bald teurer?

    Rauch: Es wird sicher durch die hohen Energie- und Materialpreise Preissteigerungen geben. Doch die Preise lassen sich nicht beliebig anheben. Wir stehen im Wettbewerb und wenn Produkte zu teuer werden, werden sie nicht mehr nachgefragt. Ebenso denken wir auch an unsere Stammkunden. Bei uns kostet deshalb eine Leberkässemmel 1,70 Euro und der Leberkäs wird auch nicht gewogen.

    Wenn Sie sagen, die Politik bliebe untätig, was fordern Sie?

    Rauch: Erstens muss in der Energie die Versorgungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die anderen Wirtschaftszweige gewährleistet sein. Das Handwerk hat da eine Scharnierfunktion. Zweitens müssen die Kosten für Energie planbar sein. Drittens brauchen wir direkte Hilfen für mittelständische Unternehmen. Wir fordern eine Härtefallbrücke, bis die Gaspreisbremse greift. Im Januar und Februar sollten für hart getroffene kleine und mittelständische Betriebe 50 Prozent der Abschläge übernommen werden. Ohne das, gehen bald Betriebe in erheblicher Zahl kaputt.

    Zur Person: Hans-Peter Rauch, 60, stammt aus Waltenhofen im Oberallgäu und betreibt dort eine Metzgerei. Seit Juli 2014 führt er die Handwerkskammer für Schwaben als Präsident.

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