Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Interview: Ökonom Schularick: "Sanktionen sind nicht der kurze Todesstoß für autoritäre Regime"

Interview

Ökonom Schularick: "Sanktionen sind nicht der kurze Todesstoß für autoritäre Regime"

    • |
    "Sanktionen sind nicht der kurze Todesstoß für autoritäre Regime", sagt Moritz Schularick im Interview.
    "Sanktionen sind nicht der kurze Todesstoß für autoritäre Regime", sagt Moritz Schularick im Interview. Foto: Christian Charisius, dpa

    Herr Schularick, Sie waren schon oft in China. Was beeindruckt Sie dort besonders?

    Moritz Schularick: Vieles. Das Land hat eine der ältesten und bedeutsamsten Kulturen der Menschheit hervorgebracht. Beeindruckend ist - bei allen berechtigten Sorgen um die Zukunft des chinesischen Wirtschaftswunders – zum Beispiel die Arbeitsethik der Chinesinnen und Chinesen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor - dieser Geschäftssinn und ihr Einsatz, die Bereitschaft, immer wieder neue Dinge auszuprobieren.

    Die bei uns diskutierte Vier-Tage-Woche ist eher keine Alternative, um global mithalten zu können?

    Schularick: Letztlich dient die Wirtschaft den Menschen. Wenn wir weniger arbeiten wollen, müssen wir uns entsprechend anstrengen, um die Produktivität zu steigern. Es ist aber nicht die Aufgabe der Ökonomen, den Leuten vorzuschreiben, wie sie leben wollen. Es gibt den alten Traum von John Maynard Keynes, der Anfang des 20. Jahrhunderts schrieb, dass wir in 100 Jahren den Lebensunterhalt und alles Notwendige so weit geregelt haben, so produktiv geworden sind, dass wir uns auf die schönen Dinge im Leben konzentrieren, Kunst und Kultur genießen können - statt das ganze Leben mit Arbeit zu verbringen. Gegen diesen Traum habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Man muss das halt so machen, dass unser Wachstum und unsere Innovationsfähigkeit erhalten bleibt. 

    Moritz Schularick wird neuer Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW).
    Moritz Schularick wird neuer Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Foto: Dustin Preick, Econtribute

    Bleiben wir, Sie sind ab Juni Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, auf globaler Bühne, also bei China. Wie soll es die deutsche Wirtschaft mit dieser immer aggressiver auftretenden Weltmacht halten?

    Schularick: Das ist die entscheidende Frage der nächsten Jahre. Wir müssen, denke ich, zwei Dinge unterscheiden: Das eine ist unsere Importabhängigkeit von China bei bestimmten Gütern, etwa Computertechnologie und kritische Rohstoffe. Hier müssen wir überlegen, wie wir diversifizieren. Und dann gibt es eine Debatte über die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom chinesischen Export-Markt. Die beiden Abhängigkeiten muss man trennen. Grundsätzlich können wir die Ressourcen, die in die Produktion von Autos für China fließen, auch anders einsetzen. Ich würde mir insgesamt nicht so viele Sorgen machen, wie es die Industrie vielleicht aus Sorge um ihre Gewinne tut. 

    Sie wollen, dass Ihr Institut in Berlin mit einer eigenen Dependance und stärker beratend tätig ist. Die Bundesregierung bastelt schon relativ lange an ihrer China-Strategie herum. Wozu raten Sie der Ampel?

    Schularick: Ich denke, wir müssen erst verstehen, wie groß die Abhängigkeit Deutschlands und Europas wirklich ist. Vermeiden sollten wir dabei, dass die Debatte so geführt wird wie die um das russische Gas. Die war doch sehr stark von wirtschaftlichen Lobbyinteressen geprägt. Das wird in der China-Debatte nicht anders sein, umso wichtiger ist es deshalb, auf wissenschaftliche Methoden und Modelle zu setzen. Meine Vermutung ist, dass wir wahrscheinlich wieder unterschätzen werden, welche Vorteile und Flexibilität die Globalisierung bietet, wenn Lieferketten diversifiziert werden sollen. Internationale Arbeitsteilung und die Kostenvorteile der Globalisierung machen das erst möglich. Gegen eine sehr lokale Wertschöpfungskette von Volkswagen in China, um dort Autos zu produzieren, spricht meiner Meinung nach gar nichts. Schwierig wird es erst dann, wenn diese Wertschöpfungsketten in einem Maße miteinander verwoben sind, dass daraus geopolitische Abhängigkeiten entstehen. 

    Sollte der Staat Unternehmen überhaupt ein Verhalten mit Blick auf China empfehlen?

    Schularick: Das muss er, wenn Unternehmen so große Risiken eingehen, dass sie im Fall des Scheiterns gesamtwirtschaftliche Konsequenzen haben, weil die Unternehmen für die eingegangenen Risiken nicht geradestehen können. Außerdem sollten wir Staaten, die - sagen wir - nicht zum geopolitischen Freundeskreis gehören, nicht mit Schlüsseltechnologien versorgen. 

    Wie sieht es bei Wärmepumpen aus? Ihre Meinung zum Viessmann-Deal?

    Schularick: Bei Wärmepumpen müssen wir dringend durch große Investitionen die Kosten für die Haushalte senken. Unter diesem Aspekt macht der Zusammenschluss betriebswirtschaftlich Sinn. Eine Gefährdung der europäischen Sicherheitsinteressen sehe ich nicht. 

    Sie haben den Begriff "Chimerica" mitgeprägt. Was war damit gemeint und was ist daraus geworden?

    Schularick: Gemeint war damit die Zeit, als Amerika und China eine sehr enge, fast symbiotische ökonomische Beziehung eingegangen waren - ungefähr bis zur großen Finanzkrise. Als durch Outsourcing und ausländische Direktinvestitionen die Wirtschaftsbeziehung dieser beiden Länder extrem eng verflochten wurden. Es ging um Wandel durch Handel. Die Amerikaner hatten sehr stark darauf gesetzt, dass mit dem wirtschaftlichen Fortschritt Chinas die politischen Ähnlichkeiten größer würden. Aber diese ökonomische Ehe ist längst geschieden. Wir leben nun in einer Welt systemischer Rivalität, in der Amerikaner wie Chinesen explizit sagen, dass sie in bestimmten Technologien den absoluten Vorsprung wollen. 

    Wenn China Taiwan überfällt, wie groß wird dann der Schock für Europas und Deutschlands Wirtschaft sein?

    Schularick: Das schauen wir uns und andere sich gerade genau an - mit dem Ziel, der Politik in Berlin und Brüssel bessere Entscheidungsgrundlagen geben zu können. Dass wir im Fall eines dann folgenden Handels- und Finanzembargos um eine globale Rezession herumkommen, wie wir es nach Ausbruch des Ukraine-Krieges geschafft haben, würde ich bezweifeln. China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das würde ein Schock, über den man wirklich sehr gründlich nachdenken muss, um zu verstehen, was dann alles passiert. Das wird zu Wohlstandsverlusten führen. Aber ich halte es nicht für ausgemacht, dass wir dann die Neuauflage der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre erleben. 

    Funktioniert denn die Drohkulisse einer zwischen Europa und den USA abgestimmten Sanktionspolitik? Lässt China sich von so einem ökonomischen Hochdruck-Szenario von einem Angriff abhalten?

    Schularick: Wenn wir jetzt darüber diskutieren, dass wir die Kosten eines Embargos möglicherweise nicht durchhalten, könnte das auch eine Einladung an China sein. Wir sollten uns nicht die Handlungsmöglichkeiten von vornherein beschneiden. Ganz im Gegenteil: Ich denke, dass wir es in den letzten Jahren versäumt haben, Putin aus einer Position der eigenen Stärke zu beeindrucken. Indem wir signalisiert hätten: Natürlich halten wir Sanktionen und Energiekrise ökonomisch durch. Wenn wir aber heute sagen, die deutsche Volkswirtschaft bricht zusammen, wenn China Taiwan angreift, dann fällt das Sanktions-Szenario gleich weg. China ist aber andererseits - und das muss man betonen - nicht Russland. Da ist vieles in den letzten Jahren in die falsche Richtung gelaufen, aber es ist sicherlich ein Land, mit dem man in dem Maße, in dem man klare Grenzen aufzeigt, dennoch die Tür für Gespräche offenhalten muss. Ich glaube nicht an eine Politik, die als einzigen Ausweg die Eskalation lässt.

    Ungeachtet dessen, dass es nur europäisch funktionieren würde: Welche Möglichkeiten hat Deutschland überhaupt, wirtschaftlich auf ein anderes Land Druck auszuüben?

    Schularick: Diesen außenwirtschaftspolitischen Giftschrank schauen wir uns gerade an. Das ist sehr spannend. Deutschland hat durchaus viele Druckpunkte, die man nutzen könnte. Zum Beispiel über mittelständische Firmen, die in bestimmten Bereichen Weltmarktführer sind. Wir müssen aber auch über Dinge reden, die im deutschen außenwirtschaftlichen Denken noch gar nicht so angekommen sind. Viele Länder im Globalen Süden - sei es durch die Zinswende oder die Folgen der Pandemie - sind stark verschuldet. So etwas kann man strategisch einsetzen, um aus europäischer Perspektive Einfluss zu nehmen. Das klingt jetzt ein bisschen nach Realpolitik aus dem 19. Jahrhundert. Aber wir steuern sicherlich in eine solche Welt, zumindest wenn es um Rohstoffe geht. 

    Und die EU?

    Schularick: Die EU muss die Debatte um ihre fiskalische Organisation führen. Und wir müssen darüber nachdenken, welche Rolle der Euro in der Weltwirtschaft spielen soll. Wir müssen auch über die Kapitalmarkt-Union reden. Wir sind bis heute in zentralen Fragen abhängig von den USA - etwa bei Zahlungssystemen. Wir müssen die finanzielle Architektur Europas nachhaltig stärken. Es ist auch im deutschen Interesse, ein finanziell wirklich stabiles Europa zu haben, das nicht bei jeder kleinen Krise sofort einen dicken Schnupfen oder eine Grippe bekommt. In Deutschland fehlt hier der Blick fürs Große, es fehlt in vielen Bereichen das Verständnis dafür, dass wir in dieser neuen Weltlage geoökonomische und geopolitische Dimensionen mitdenken müssen. Etwa auch bei so einer Frage wie einer europäischen Bankeneinlagensicherung. 

    Zurück zu den Sanktionen: Wie geht es Russland ökonomisch?

    Schularick: Wir müssen realistisch sein, was Sanktionen erreichen können. Das Deutsche Reich war im Ersten Weltkrieg im Prinzip auch von der ganzen Welt abgeschnitten, hat aber dennoch vier Jahre durchgehalten. Sanktionen, selbst wenn wir sie ökonomisch modellieren, sind kurzfristig nicht so effektiv, dass sie zu einem kompletten Zusammenbruch führen. Denken Sie an den Iran. Sanktionen sind nicht der kurze Todesstoß für autoritäre Regime. Wie wir diese Werkzeuge wirklich gezielt und effizient einsetzen können, da stehen wir wissenschaftlich noch ganz am Anfang. Da werden wir uns in Kiel viel drum kümmern. 

    Wie sollen sich die G7 diese Woche auf dem Gipfel in Hiroshima mit Blick auf Russland und China positionieren? Die Außenminister der Staaten hatten zuletzt ziemlich Klartext mit Blick auf die beiden Staaten gesprochen.

    Schularick: Mit Blick auf Russland muss es vor allem darum gehen, die Finanzströme an das russische Regime zu minimieren und die Belieferung mit kriegswichtigen Waren möglichst auch über Drittstaaten zu unterbinden. Je mehr internationale Geschlossenheit hergestellt werden kann, desto schwieriger wird es für Russland, seine Kriegsmaschine am Laufen zu halten. Mit Blick auf China ist die Lage differenzierter zu beurteilen, aber auch hier muss Europa Strategien entwickeln, um zu große Abhängigkeiten vor allem bei den Importen zu vermeiden. 

    Welche weiteren Sanktionen kämen aus Ihrer Sicht gegen Russland in Betracht?

    Schularick: Der Preisdeckel auf russisches Öl funktioniert gut, er sollte weiter gesenkt werden. Der Kreis der sanktionierten Unternehmen, Banken und Personen kann noch erweitert werden. Zudem müssen wir noch mehr politisch investieren, um für die beschlossenen Sanktionen die Koalition der internationalen Staatengemeinschaft zu vergrößern. Die Sanktionen wirken in Russland, aber ließen sich weitere Staaten gewinnen, die Sanktionen mitzutragen und umzusetzen, wäre der Hebel gegen die russische Regierung noch größer. 

    Zur Person: Moritz Schularick, 48, wird im Juni neuer Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Derzeit ist Schularick Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn und an Sciences Po in Paris.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden