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Interview: Ökonom Felbermayr: China profitiert am meisten von Russland-Sanktionen

Interview

Ökonom Felbermayr: China profitiert am meisten von Russland-Sanktionen

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    Russlands Präsident Wladimir Putin (links) hat sich in große Abhängigkeit von China und dessen Präsidenten Xi Jinping begeben.
    Russlands Präsident Wladimir Putin (links) hat sich in große Abhängigkeit von China und dessen Präsidenten Xi Jinping begeben. Foto: Dmitri Lovetsky, dpa (Archivbild)

    Herr Felbermayr, sind die westlichen Sanktionen gegen Russland gescheitert?
    GABRIEL FELBERMAYR: Nein, das sind sie nicht. Allerdings ist das eingetreten, was wir eigentlich hätten erwarten können: Dass sie politisch wenig ändern und auch ökonomisch keine verheerende Wirkung haben, solange die Koalition der sanktionierenden Länder so klein ist.

    Russlands Wirtschaft wächst sogar. Was bringen Sanktionen, wenn ein so großer Player wie China die Lücken füllt, die der Westen hinterlassen hat?
    FELBERMAYR: Es ist ja nicht nur China, sondern eine ganze Reihe von Ländern, die in die Bresche gesprungen sind. Dennoch sind die Kosten für die russische Volkswirtschaft hoch. Dass Russlands Wirtschaft leicht wächst, dürfte auch mit den hohen Aktivitäten zu tun haben, die notwendig sind, um den Krieg aufrechtzuerhalten. Die Kriegsindustrie boomt. Russlands Wirtschaft mag jetzt um ein halbes Prozent wachsen, ohne Krieg wäre sie aber wahrscheinlich um dreieinhalb Prozent gewachsen. Damit hat sie schon drei Prozentpunkte verloren. Dieser Wachstumsverlust ist in großen Teilen auf die Sanktionen des Westens zurückzuführen. Die Idee, dass der Westen eine dramatische Rezession auslösen kann, die ist aber in der Tat nicht aufgegangen.

    Also eine ganz klare Fehleinschätzung des Westens.
    FELBERMAYR: Ja. Wir haben unterschätzt, wie sehr sich Russland auf diese Sanktionen vorbereitet hat. Seit 2014 haben wir ein Sanktionsregime gegen Russland. Wir haben es dann im März 2022 deutlich verschärft. Russland hat aber schon sehr erfolgreich den ersten Sanktionsschub verarbeitet, indem es andere Lieferanten und Absatzmärkte gefunden und die Binnenwirtschaft neu ausgerichtet hat. Der Kreml wusste: Wenn man die Ukraine überfällt, wird der Westen mit weiteren Sanktionen reagieren. Der kurzfristige Schock für die russische Wirtschaft war kleiner, weil die Vorbereitungen schon liefen, während im Westen nur eine kleine Minderheit geglaubt hat, dass es zu einem Krieg kommen würde.

    China ist offenbar der große Profiteur. 
    FELBERMAYR: Ja, das stimmt. Die USA aber auch. Die Amerikaner profitieren vom Ausstieg Europas aus russischem Gas und vom Einstieg

    Und wer profitiert am meisten? 
    FELBERMAYR: In absoluten Zahlen ist es ganz klar China, die chinesische Wirtschaft ist ja auch riesig. In Prozentzahlen sind es aber die zentralasiatischen Länder, weil sie kleine Volkswirtschaften sind und als Umschlagplätze für die Sanktionsumgehung besonders gute Voraussetzungen haben. China kann günstig Rohstoffe aus Russland kaufen. Das ist natürlich ein Vorteil. Aber China müsste sowieso Rohstoffe kaufen, es handelt sich also um kein Zusatzgeschäft. Für die Länder Zentralasiens sind das hingegen neue Geschäftsaktivitäten. Auf der Exportseite hat China auch deswegen keine Vorteile, weil ein Russland, das aufgrund der Sanktionen ärmer ist, weniger Möbel, Spielsachen und Schuhe aus China bezieht. Auf der Absatzseite profitiert China also nicht.

    Europa und die USA wollen im Zuge der zunehmenden Spannungen auch mit China weniger Handel betreiben. Kann mehr Handel mit Russland das für China ausgleichen? 
    FELBERMAYR: Nein, denn dafür ist die russische Volkswirtschaft zu klein. Russland macht 2,5 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus. Der Westen hingegen fast die Hälfte. Das flächenmäßig große Russland ist für chinesische Firmen auch logistisch mit seinen langen Verkehrswegen schwer zu erschließen. 

    Wie kann der Westen die Umgehung der Sanktionen über Drittstaaten verhindern? 
    FELBERMAYR: Es gäbe schon Möglichkeiten, sogenannte extraterritoriale Sanktionen gegen Länder, die die westlichen Sanktionen nicht mitmachen. Damit könnte man die Sanktionen wirksamer machen. Aber wenn auch Kasachen, Armenier und Türken sanktioniert werden, dann bedeutet das weitere Kosten auch für den Westen. Das ist also immer ein sehr zweischneidiges Vorgehen. 

    Gabriel Felbermayr ist Präsident des Instituts für Weltwirtschaft.
    Gabriel Felbermayr ist Präsident des Instituts für Weltwirtschaft. Foto: Carsten Rehder (Archivbild)

    Droht womöglich eine Spaltung der Weltwirtschaft? Der Westen auf der einen Seite, Russland, China und die ganzen Staaten, die sich an den Russland-Sanktionen nicht beteiligen, auf der anderen?
    FELBERMAYR: Ja, wir sprechen von Fragmentierung. Wir haben nicht mehr eine Weltwirtschaft, sondern mindestens drei. Es sind die vom Westen geächteten Staaten Russland, Iran, Nordkorea, womöglich künftig auch China. Dann gibt es den Block aus wirtschaftlichen Schwergewichten wie Indien, Brasilien und Südafrika, die sich vom Westen vorwerfen lassen müssen, opportunistisch nur an ihren Eigennutzen zu denken. Diese Staaten wollen sich nicht mehr vom Westen vorschreiben lassen, mit wem sie handeln und wem nicht, sondern sehen sich als eigene Machtzentren. Und dann ist da der sogenannte Westen. 

    Lässt sich denn schlussfolgern, ob Sanktionen generell richtig oder falsch sind?
    FELBERMAYR: Dass Sanktionen zu politischen Veränderungen in dem sanktionierten Land führen, halte ich für naiv. Putin dürfte die Kosten eines Angriffs auf die Ukraine und die Folgen einkalkuliert haben. Das heißt aber nicht, dass die Sanktionen deswegen falsch sind. Der Westen musste reagieren und Schlagkraft demonstrieren. Bei den Russland-Sanktionen geht es nicht nur um Russland, sondern auch um ein geschlossenes Auftreten des Westens gegenüber China in der Taiwan-Frage. Die Führung in Peking schaut sehr genau darauf, ob es dem Westen gelingt durchzuhalten, auch wenn das Inflation und Lebensstandardverluste bedeutet. Dass die westliche Koalition zusammenhält, ist daher von hohem strategischen Wert.

    Zur Person

    Gabriel Felbermayr (46) ist Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung und ist unter anderem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. 

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