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Interview: Ökonom Bofinger: "Schuldenbremse, das ist wie, wenn ein Herzkranker gegen Fußpilz behandelt wird"

Interview

Ökonom Bofinger: "Schuldenbremse, das ist wie, wenn ein Herzkranker gegen Fußpilz behandelt wird"

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    Peter Bofinger hat als Wirtschaftsweiser die Regierung beraten. Heute übt er Kritik am Sparkurs der Ampel.
    Peter Bofinger hat als Wirtschaftsweiser die Regierung beraten. Heute übt er Kritik am Sparkurs der Ampel. Foto: Peter Bofinger

    Herr Bofinger, die Bundesregierung steckt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in einer handfesten Krise. Hat die Ampelkoalition finanz- und wirtschaftspolitisch einen falschen Weg eingeschlagen?

    Peter Bofinger: Es ging politisch wohl nicht anders. Die Schuldenbremse ist eine Zwangsjacke, die staatliche Investitionen massiv einschränkt. Das ist genau ihre Funktion: Sie verbietet es dem Staat, Investitionen über Kredite zu finanzieren. Damit verhindert sie, dass der Staat Zukunftsinvestitionen, die das Land wettbewerbsfähiger machen, zu günstigen Zinsen finanzieren kann. So haben wir in der Niedrigzinsphase die Chance verpasst, das Land zu modernisieren. Die Ampel-Regierung hat das dann über Sondervermögen versucht, was rechtlich sehr fraglich war, wie man jetzt sieht. 

    Der Staat verschuldet sich ja nicht nur durch Investitionen in die Zukunft, sondern auch durch Hilfs- und Ausgleichszahlungen, etwa mit der Energiepreisbremse.

    Bofinger: Die Energiepreisbremse war eine Sondersituation, die hoffentlich einmalig bleibt. Die Idee sollte schon sein, dass nur Investitionen über Schulden finanziert werden. Alles andere soll der Staat durch seine laufenden Einnahmen finanzieren. 

    Die Schuldenbremse wurde 2009 auf dem Höhepunkt der Finanzkrise eingeführt. Sollte sie reformiert oder gar, abgeschafft werden?

    Bofinger: Das war schon damals absurd, als Reaktion auf die Finanzkrise eine staatliche Schuldenbremse einzuführen. Denn die Finanzkrise wurde durch eine extreme private Verschuldung ausgelöst. Und in der Konsequenz wurde die öffentliche Verschuldung verboten. Um die Schuldenbremse abzuschaffen, bräuchte es eine Verfassungsänderung mit einer Zweidrittel-Mehrheit des Bundestages. Da würde die Union derzeit nicht mitmachen. Früher oder später wird die Schuldenbremse reformiert werden müssen, damit wieder der erforderliche Spielraum für Zukunftsinvestitionen vorhanden ist. Denkbar wäre, dass der Staat spezifische Pakete für Zukunftsinvestitionen definiert, die dann über Schulden finanzieren werden dürfen. Dann wäre sichergestellt, dass der Spielraum nicht genutzt wird, um alles Mögliche zu finanzieren. 

    Welchen Rat würden Sie der Bundesregierung in der jetzigen Situation geben?

    Bofinger: Sie könnte nach dem Vorbild des Sondervermögens für die Bundeswehr, das im Grundgesetz fixiert wurde, ein Paket mit Zukunftsinvestitionen schnüren. Da müssten die Punkte rein, die in dem Klima- und Transformationsfonds enthalten waren: Förderung von Elektromobilität und Wasserstoffwirtschaft, Sanierung der Bahn, Ansiedelung von Zukunftsindustrien. Ein solches Paket müsste dann mit Zweidrittel-Mehrheit verabschiedet werden, damit es über Schulden außerhalb der Schuldenbremse finanziert werden darf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Union dem verweigern könnte. Denn sie würde dann ja deutlich machen, dass sie diese Zukunftsinvestitionen nicht will. 

    Davon würden auch die unionsgeführten Länder profitieren ...

    Bofinger: Genau, die profitieren sogar am meisten davon. Ich würde in das Paket auch Geld für den sozialen Wohnungsbau mit hineinnehmen. Denn hier haben wir ein riesiges Problem, und die Union kann nicht dagegen sein, dass wir mehr Wohnungen bekommen. 

    Auf der anderen Seite gibt es einen breiten Konsens zwischen Bevölkerung und Politik, dass eine Rückführung der Staatsverschuldung der richtige Weg ist. Ein Haushalt mit einer schwarzen Null wird nicht etwa kritisiert, sondern eher gefeiert. Wie erklären Sie sich das?

    Bofinger: Das ist leider eine gravierende Fehldiagnose. Denn das geringste Problem unseres Landes ist die Staatsverschuldung, die man immer im Vergleich zur Wirtschaftsleistung sehen muss. Und in Bezug auf unsere Wirtschaftskraft ist unsere Staatsverschuldung heute nahezu identisch mit dem Niveau von vor 20 Jahren. Sie steigt also nicht ständig an. Und wir haben mit Abstand den niedrigsten Schuldenstand innerhalb der führenden Volkswirtschaften, den G-7-Ländern. 

    Welche Folgen hat das?

    Bofinger: Diese Fehldiagnose führt zu einer völlig falschen Wirtschaftspolitik. Denn die Schuldenbremse gibt der Konstanz der Staatsverschuldung in Euro die höchste Priorität im wirtschaftspolitischen Handeln. Dieser müssen sich alle anderen Ziele unterwerfen. Und das werden wir jetzt erleben, wenn die Regierung 2024 die Schuldenbremse einhalten muss. Dann werden keine öffentlichen Gebäude mehr saniert, wird nicht in Wasserstofftechnologie investiert oder in moderne Batterie- und Chipfabriken. Diese falsche Prioritätensetzung in der Wirtschaftspolitik ist so ähnlich wie wenn ein Arzt bei einem schwer herzkranken Patienten mit Fußpilz sich erst einmal auf die Behandlung des Fußpilzes konzentriert, bevor er sich um das Herz kümmert. 

    Droht ein Herzinfarkt mit gesunden Füßen?

    Bofinger: Nehmen wir die Batterie- oder Chipfabriken, das sind gewaltige Investitionen, nicht nur des Staates, auch der Unternehmen. Daran hängen viele Arbeitsplätze und die Zukunftsfähigkeit unseres Industriestandortes. Das fällt dann nächstes Jahr alles weg. Unsere Wirtschaft stagniert seit vier Jahren: Die Baubranche ist im Sinkflug. Die Autoindustrie hat gravierende Probleme. Wenn die bisher geplanten großen Investitionen wegfallen, droht uns eine Rezession. 

    Finanzminister Christian Lindner setzt auf private Investitionen statt auf Investitionen des Staates.

    Bofinger: Die hätten wir ja gehabt, wenn die ausländischen Investoren wie geplant bei uns Chip- und Batteriefabriken errichtet hätten. Noch schlimmer aber ist, dass Deutschland als Vertragspartner nicht mehr zuverlässig ist. Fraglich, ob dann überhaupt noch Firmen aus anderen Ländern Lust haben, in Deutschland zu investieren. 

    Zudem muss der Staat morgen die Zinsen für die Schulden von heute zahlen.

    Bofinger: Wenn unsere Wirtschaft den Bach runtergeht, tun wir uns schon schwer, die Zinsen von heute zu bezahlen. Das ist wie in einem Unternehmen, wenn ich nicht investiere, habe ich zwar keine Schulden, aber wenn das Unternehmen dann nicht mehr wettbewerbsfähig ist, habe ich ein viel größeres Problem. 

    Zur Person: Peter Bofinger, 69, Seniorprofessor für Volkswirtschaft, Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Würzburg, hat von 2004 bis 2019 als einer von fünf Wirtschaftsweisen die Bundesregierung beraten.

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