Herr Lammers, wie fühlt es sich an, ein Chef im Dauer-Krisen-Modus zu sein? Sie haben Ihr Amt als Leiter des Münchner Flughafens Anfang 2020 angetreten. Dann kam Corona. Dann der Krieg.
Jost Lammers: Trotz Krisen fühlt sich mein Job nach wie vor großartig an. Ich liebe Airports und bin seit knapp 25 Jahren im Flughafen-Geschäft tätig, zunächst in Düsseldorf, dann in Athen und zuletzt in Budapest. Doch München ist ein besonders toller Flughafen. So hat uns 2015 das renommierte Londoner Skytrax-Institut als erstem europäischen Airport das Fünf-Sterne-Qualitätssiegel verliehen. Und wir wurden mehrfach als bester Flughafen Europas, ja sogar schon mal als drittbester der Welt ausgezeichnet.
Doch all das war in Corona-Zeiten egal. Der Flughafen kam fast ganz zum Stillstand, was ein wirtschaftlicher Nackenschlag sondergleichen war.
Lammers: Der Auftakt für mich in München war dramatisch. Da man phasenweise praktisch nicht mehr fliegen durfte, kam das fast einem Wegfall der Geschäftsgrundlage für uns gleich. Über zwei Jahre hat uns die Krise massiv beeinträchtigt. Corona hat uns früh getroffen, und wir sind als Luftverkehrsbranche spät aus der Krise herausgeflogen.
Es gibt da ein Bild, das Sie immer noch auf Ihrem Handy haben.
Lammers: Das Bild zeigt mich, wie ich vor der großen Anzeigetafel stand und es nur sechs Flüge gab – und das für einen ganzen Tag. Jetzt haben wir aktuell wieder einen Stand von 850 Flügen am Tag in München erreicht, Tendenz weiter steigend. Die Lage war zeitweise wirklich äußerst dramatisch für unseren Flughafen.
Doch Sie sagten auch in Lockdown-Zeiten: "Die Menschen wollen fliegen. Wir werden wieder alte Höhen erreichen.“ Wie hoch fliegt der Münchner Airport wieder?
Lammers: Wir gewinnen wieder kräftig Passagiere. So haben wir in den Osterferien über 70 Prozent der Flüge und zwei Drittel der Passagiere im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit, also dem Rekordjahr 2019 verzeichnet. Auch die Prognosen für den Sommer sind sehr gut. Es wird jedoch ein langer Prozess, bis wir wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen.
Wann ist der Münchner Airport wieder auf Rekordkurs?
Lammers: Das wird noch zwei Jahre dauern. 2024 sollten wir zu alter Stärke zurückgefunden haben. Aber der jetzige Stand von 70 Prozent ist ein toller Zwischenschritt. Und von den Airlines höre ich, dass sie im Spätsommer an einzelnen Tagen schon jetzt so viele Flugbuchungen wie vor der Corona-Zeit haben. Die Menschen wollen einfach reisen.
Aber erreichen Sie wirklich wieder das Vor-Krisen-Niveau? Die Anzahl der Geschäftsflüge geht wohl auf Dauer zurück, weil Menschen sich mehr digital begegnen. Das spart Geld und Zeit.
Lammers: Doch nach den vorliegenden Prognosen sollten wir immerhin wieder 80 bis 90 Prozent des Geschäftsreiseverkehrs erreichen. Aber wir gewinnen auch zusätzliches Geschäft. So steigt die Anzahl der Passagiere, die gerne auf hohem Niveau fliegen. Deshalb bietet die Lufthansa ab München wieder eine First Class an. Die Nachfrage nach exklusivem Reisen ist größer geworden. Und ich glaube fest daran, dass sich Geschäftspartner wieder persönlich begegnen wollen. Der Geschäftsreiseverkehr wird trotz aller digitalen Möglichkeiten stark zurückkommen.
Doch zunächst wird auch der Geschäftsreiseverkehr wieder massiv gebremst. Wie wirken sich die Knallhart-Lockdowns in China und der Überfall Russlands auf die Ukraine auf den Münchner Airport aus?
Lammers: Momentan haben wir keinen Passagierverkehr von und nach China. Ich gehe davon aus, dass dies bis Ende des Jahres auch so bleiben dürfte. Doch der chinesische Markt ist für uns nicht so bedeutsam wie der nordamerikanische. Zum Glück ist das US-Geschäft mächtig zurückgekommen. Auf den Transatlantik-Strecken sehen wir gerade einen echten Boom. München hat zusätzliche Verbindungen in die USA wie etwa nach Denver und San Diego bekommen. United Airlines fliegt jetzt von München aus beispielsweise sechs Städte in den USA an. Vor der Krise waren es fünf. Die Amerikaner wollen wieder mehr reisen. Und für die bayerische Exportwirtschaft ist der nordamerikanische Markt wichtiger als der chinesische.
Gibt es derzeit gar keine Flüge von München nach China?
Lammers: Nicht im Passagierverkehr, aber es gibt nach wie vor Frachtflüge. Dafür haben sich andere Länder in Asien wie Thailand und Singapur für den Passagierverkehr geöffnet. Auch Malaysia, Indonesien, Südkorea und Japan sind wieder offen.
Können Sie das ausgefallene China-Geschäft wirklich so leicht wegstecken?
Lammers: Das China-Geschäft ist für uns ein kleineres Geschäft. So hatten wir im Reiseverkehr von und nach China inklusive Hongkong im Vorkrisenjahr 2019 insgesamt weniger als eine Million Passagiere, das sind nicht mal rund zwei Prozent des Gesamtaufkommens. Andererseits vermissen wir die Gäste aus China natürlich, auch weil sie hier bei uns am Flughafen und in München gerne kräftig einkaufen. Sie lieben europäische Marken und Luxusgüter. Das schmerzt uns im Einzelhandelsbereich.
Und wie sehr schmerzt der Wegfall der Flüge nach Russland und in die Ukraine?
Lammers: Zuletzt hatten wir pro Jahr etwas weniger als eine halbe Million Passagiere aus Russland und der Ukraine. Bei jährlich 48 Millionen Passagieren, die wir vor der Krise in München verzeichnet haben, fällt das nicht so stark ins Gewicht. Der Überfall Russlands auf die Ukraine dämpft auch nicht die Reise- und Fluglust der Menschen. Da haben sich unsere anfänglichen Befürchtungen zum Glück nicht bestätigt. Fakt ist aber: Es gibt derzeit keine Flüge nach China, in die Ukraine und nach Russland. Dafür ziehen neben Nordamerika andere Destinationen wie Dubai deutlich an. Der Arabische Golf erfreut sich wachsender Popularität: Viele Menschen aus Deutschland machen dort Urlaub. Und umgekehrt kommen viele Menschen aus den Golf-Staaten zu uns.
Doch bei allem Optimismus: Die Krise gräbt sich noch tief in die Bilanz des Münchner Flughafens ein. Die Zahlen sind rot. Wann fliegen Sie in den schwarzen Bereich?
Lammers: Wir konnten schon im vergangenen Jahr die Verluste deutlich verringern. Auch in diesem Jahr wollen wir die Verluste weiter reduzieren. Und dann wollen wir 2023 unsere Investitionen wieder ohne zusätzliches Geld – also weitere Kredite – aus eigenen Mitteln stemmen. In der Krise mussten wir uns weiter verschulden.
Dann streben Sie für 2023 eine schwarze Null an, lassen also die Verlustjahre hinter sich.
Lammers: Davon gehen wir aktuell aus. Und wenn wir dann 2024 wieder das Vorkrisen-Niveau erreichen, wollen wir erneut gute Gewinne einfliegen. Dabei hat der Flughafen München diesen absoluten Härtetest gut bestanden. Darauf können wir stolz sein. Meine Vorgänger haben gut gewirtschaftet. Beim Ausbruch der Krise hatten wir reichlich Rücklagen und standen sehr stabil da. Natürlich waren die Rücklagen irgendwann verbraucht. Doch wir haben Kosten reduziert, auch indem Projekte zurückgestellt wurden. Dabei hat uns die Kurzarbeit sehr geholfen, die gute Belegschaft weitgehend an Bord zu halten. Ich denke, wir haben den Tiefpunkt jetzt hinter uns. Wir wollen mit viel Rückenwind weiter nach vorne fliegen.
Ist die Zeit der Kurzarbeit für alle Flughafen-Beschäftigten vorbei?
Lammers: Der Mai ist für uns der letzte Monat der Kurzarbeit. Auf die gesamte Belegschaft bezogen macht Kurzarbeit im Mai nur noch sechs Prozent der Arbeitszeit aus. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren das noch fast 40 Prozent. Manche Beschäftigte mussten zu 100 Prozent in Kurzarbeit. Das war menschlich nicht leicht, ihnen zu erklären, dass ihr bester Beitrag für das Unternehmen darin besteht, zu Hause zu bleiben.
Und der Flughafen München musste viele Arbeitsplätze abbauen.
Lammers: Aber das nur sozial verträglich in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat. Vor allem über Vorruhestandsprogramme haben wir im Konzern rund 1300 Arbeitsplätze abgebaut und liegen jetzt bei rund 8600 Beschäftigten. Der Tiefpunkt ist erreicht. Wir stellen jetzt auch wieder vereinzelt ein, etwa in der Bodenabfertigung oder in der Technik. Ich bin zuversichtlich, dass der Flughafen-Standort mit dem wieder anziehenden Verkehr auch seine Rolle als Jobmotor wieder ausfüllen kann. Insgesamt arbeiteten am Flughafen, wenn man die Mitarbeiter von Airlines, Behörden oder in den Geschäften hinzuzählt, vor der Krise über 38.000 Menschen.
Ist damit die Job-Trendwende geschafft?
Lammers: Die Job-Maschine Flughafen springt gerade wieder an. Es werden Flugbegleiter und Piloten gesucht. Die Zeit der geschlossenen Rollläden in den Geschäften ist zum Glück vorbei. Leider haben nicht alle Läden durchgehalten, auch wenn wir Inhabern Mietzahlungen in partnerschaftlicher Weise gestundet haben. Es sind aber viele neue Läden und Restaurants hinzugekommen. Auch hier geht es aufwärts. Der Münchner Flughafen spielt weiter ganz vorne in der Champions League mit. Und wir wollen jetzt der Munich Greenport werden.
Also irgendwann CO2-neutral werden. Wie soll das gehen? Flugzeuge fliegen immer noch überwiegend mit klimaschädlichem Kerosin.
Lammers: Es ist sicherlich eine Langstrecke. Aber irgendwann muss man losfliegen. So soll die Flugbranche spätestens 2050 in Europa CO2-neutral werden. Als Übergangs-Treibstoff müssen wir grünes Kerosin – also sogenannte Sustainable Aviation Fuels – nutzen. Dadurch kann man die bestehenden Flugzeuge mit ihren Turbinen weiter nutzen, ehe es Wasserstoff-Flugzeuge oder im Kurzstreckenbereich elektrisch betriebene Flugzeuge gibt. Wir in München machen schon einmal unsere Hausaufgaben für die Verkehrswende und stellen unsere Busflotte komplett auf Elektroantrieb um. Schon Mitte des Jahrzehnts werden bei uns nur noch Elektrobusse fahren. Wir haben bereits über 300 Maßnahmen zur CO2-Reduzierung umgesetzt und wenden insgesamt 150 Millionen Euro für die Erreichung unserer Klimaziele auf. Bis spätestens 2030 wollen wir unseren Flughafen CO2-neutral betreiben.
Und wann heben elektrische, also klimafreundliche Flugtaxis am Münchner Flughafen ab? Ist der Airport fit für Flugtaxis?
Lammers: Es ist noch nicht klar, wann Flugtaxis bei uns abheben. Aber wir bereiten uns darauf vor und sind in Kontakt mit allen Herstellern. Flugtaxis sind für den Münchner Airport interessant. Wir überlegen schon, wo sie bei uns abheben und landen können. Sie könnten etwa auf vorgelagerten Hallen und Logistik-Bereichen oder auf Parkhäusern starten. Ich freue mich, wenn Flugtaxis zu uns nach München kommen. Innovative Mobilitätskonzepte sind Teil unserer DNA.
Wenn man böse wäre, könnte man sagen: Flugtaxis kommen eher nach München, als dass der Airport einen eigenen ICE-Anschluss erhält.
Lammers (lacht): Wir sind guter Hoffnung, einen eigenen ICE-Anschluss zu bekommen. In der Krise haben wir das wichtige Thema vorangebracht. Es gibt eine Taskforce mit der Lufthansa, der Deutschen Bahn und dem bayerischen Verkehrsministerium. Wir gehen geschlossen voran. Und uns freut, dass im Berliner Koalitionsvertrag steht, dass die Schienenanbindung von Drehkreuz-Flughäfen verbessert werden soll. Darauf pochen wir. Vielleicht kommt beides gleichzeitig: Flugtaxis und der ICE-Anschluss.
Und wann ist es so weit? Kommt der ICE-Anschluss noch in diesem Jahrzehnt?
Lammers: Ich bleibe Realist. Deutschland ist noch im Krisenmodus. Angesichts der umfangreichen Planungen, die für eine ICE-Anbindung unseres Flughafens erforderlich sind, rechne ich nicht mehr damit, dass der ICE-Anschluss in diesem Jahrzehnt kommt.
Kommt er dann im kommenden Jahrzehnt?
Lammers: Darauf arbeiten wir hin. Denn wenn wir Luftverkehr grün machen wollen, muss auch die Anbindung an Flughäfen grün werden. Mit einer ICE-Anbindung können wir kurze Zubringerflüge oder die Anreise mit dem Auto überflüssig machen. Ich glaube an das grüne Fliegen und Reisen. Wir haben dafür in Europa das Know-how. Uns ist es auch gelungen, den vom Luftverkehr ausgehenden Lärm massiv zu reduzieren. Auf alle Fälle ist eine Welt ohne fliegen und reisen ärmer. Das hat uns alle Corona gelehrt.
Wie schätzen Sie denn als Optimist ein, dass München doch noch eine dritte Start- und Landebahn bekommt, vielleicht zwischen 2030 und 2040, wenn der ICE am Airport hält und Flugtaxis landen?
Lammers: Die dritte Start- und Landebahn ist für uns aktuell kein Thema. Wir stecken noch in der Krise.
Zur Person: Jost Lammers wurde 1967 in Oldenburg geboren. Nach dem Wehrdienst bei der Luftwaffe studierte er Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftswissenschaften. Seine Karriere hat der Diplom-Kaufmann bei einem Autozulieferer begonnen. Danach wechselte er zur Hochtief AG und übernahm dort später verschiedene Aufgaben bei den Beteiligungsflughäfen Düsseldorf und Athen. In der griechischen Stadt war Lammers an der Inbetriebnahme und Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens beteiligt. Von 2008 an leitete er den Flughafen in Budapest. Und im Januar 2020 folgte die Berufung zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der Flughafen München GmbH. Lammers ist verheiratet und hat zwei Söhne.