Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Interview mit Verbio-Chef: Wie Strohgas-Pionier Sauter unter der Tank-Teller-Debatte leidet

Interview mit Verbio-Chef

Wie Strohgas-Pionier Sauter unter der Tank-Teller-Debatte leidet

    • |
    Verbio-Vorstandschef Claus Sauter: „Wir investieren inzwischen lieber in den USA, wo die Klimapolitik engagierter und verlässlicher ist, als in Deutschland.“
    Verbio-Vorstandschef Claus Sauter: „Wir investieren inzwischen lieber in den USA, wo die Klimapolitik engagierter und verlässlicher ist, als in Deutschland.“ Foto: Ronny Friedrich

    Herr Sauter, Sie haben mit Verbio das größte Biokraftstoff-Börsenunternehmen Europas aufgebaut. Nach Beginn des Ukrainekriegs ist eine Debatte entbrannt, ob Nahrungsmittel im Tank statt auf dem Teller landen dürfen. Ist es nicht absurd, aus Klimaschutzgründen in Motoren massenhaft als Zusatz im Diesel Palmöl zu verbrennen, das als Regenwald-Killer gilt?

    Claus Sauter: Da stimme ich voll zu. Wir haben als Biokraftstoff-Industrie in Deutschland jahrelang massiv Druck gemacht, dass Palmöl nicht mehr als Biokraftstoff zugelassen wird. Die SPD-Politikerin Svenja Schulze wollte im September 2020 als damalige Bundesumweltministerin die Förderung von Palmöl 2026 auslaufen lassen. Unsere Forderung lautete: Warum beenden wir diesen Quatsch nicht sofort, wie in Frankreich? Am Ende haben wir es fertiggebracht, dass ab 2023 kein Palmöl mehr in Deutschland als Biokraftstoff vom Staat gefördert wird und das Zeug endlich aus dem Tank verschwindet. Aber die Debatte um Teller statt Tank wird in Deutschland leider seit vielen Jahren populistisch mit Argumenten diskutiert, die völlig an der Wirklichkeit vorbeigehen. Die Realität ist viel komplexer.

    Auch beim Benzin werden fünf oder zehn Prozent Biokraftstoff zugefügt. Stammt der nicht auch aus Getreide?

    Sauter: Dem Benzin wird Ethanol beigemischt. Dafür verwenden wir minderwertiges Getreide, das nicht für die Nahrungsmittelproduktion infrage kommt. Wir sind der größte deutsche Biokraftstoff-Produzent, und im Grunde sind wir ein Entsorgungsbetrieb für landwirtschaftliche Abfälle. Jeder Bauer versucht eigentlich, Brotgetreide zu produzieren. Wenn aber etwa das Wetter nicht mitspielt, stimmt oft die Qualität und Ernte nicht. Zum Beispiel, wenn Mitte Juli der Weizen schwarz wird, dann ist das giftiger Pilzbefall. So etwas verarbeiten wir. Für uns ist es wichtig, dass wir billiges Getreide kriegen. Brotgetreide ist viel zu teuer. Unsere Anlagen sind in Brandenburg, dem Hauptanbaugebiet für Roggen. Die Landwirte sind sehr froh, dass wir Ihnen Überschüsse abnehmen, die nicht als Nahrungs- oder Futtermittel geeignet sind.

    Kritiker rechnen vor, dass ein großer Teil des Getreides für Biokraftstoff importiert wird und seit dem Ukraine-Krieg Getreide immer teurer wird.

    Sauter: Nur ungefähr 40 Prozent des weltweit geernteten Getreides landen wirklich auf dem Tisch. 60 Prozent gehen durch irgendwelche Tiermägen und in die industrielle Verarbeitung. Davon werden zehn Prozent für Bioenergie verwandt. Es gibt im Prinzip genug Getreide auf der Welt. Vor 1989 hatte weder die Ukraine noch Russland Getreide exportiert. Aber noch einmal: Niemand will aus den ungefähr 800.000 Tonnen minderwertigem Getreide, die wir im Jahr verarbeiten, ein Brötchen auf seinem Frühstückstisch finden. Das wäre auch rechtlich gar nicht erlaubt.

    Verwenden Sie aber nicht für Ihren Diesel-Biozusatz Pflanzenöl?

    Sauter: Ja, wir nehmen für unseren Biodiesel seit 20 Jahren Rapsöl. Das ist natürlich ohne Frage ein Nahrungsmittel. Aber auch hier ist das Thema etwas komplizierter. Das Hauptprodukt, das wir aus dem Rapsöl produzieren, ist Glyzerin in hochwertiger Pharma-Qualität. Das findet man in unzähligen Produkten als Feuchthaltemittel von der Feuchtigkeitscreme bis zur Zahnpasta, oder als Lebensmittelzusatz, der Backwaren feucht hält. Wir sind einer der größten Glyzerin-Produzenten in Europa und exportieren in die ganze Welt. Dann gewinnen wir aus dem Raps Sterole. Daraus stellt die Pharma-Industrie Hormone für Medikamente her und Cholesterin-Blocker für Nahrungsmittelzusätze. Den Hauptteil unserer Einnahmen aus der Rapsöl-Verarbeitung erzielen wir mit dem Glyzerin und den Sterolen, auch wenn in der Produktion mengenmäßig dabei am meisten Biodiesel entsteht. Diese Wertedebatte um Tank oder Teller wird zu kurzsichtig und einseitig geführt.

    Dennoch haben die Ministerinnen Steffi Lemke und Svenja Schulze angekündigt, dass die Bundesregierung die Verwendung von Nahrungsmitteln für Biokraftstoffe einschränken will …

    Sauter: Für unsere Branche ist diese Art, Ankündigungen zu machen, eine Katastrophe. Am Kapitalmarkt kam die Aussage von Umweltministerin Lemke so an, als ob die Bundesregierung Biokraftstoffe sofort verbieten wolle. Das ist natürlich Quatsch. Aber unser Aktienkurs ist um ein Viertel abgerutscht, obwohl wir am gleichen Morgen unsere Gewinnprognose um 40 Prozent angehoben haben. Das ist nicht nur für uns wirtschaftlich ein Desaster, sondern auch politisch: Die Politik hat nach langem Ringen ein ordentliches Treibhausgasreduktionsgesetz beschlossen, das mit sehr konkreten Vorgaben - wie dem Einsatz von Biokraftstoffen - eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 25 Prozent bis 2030 vorsieht. Und kein halbes Jahr nach dem Inkrafttreten stellt die Regierung entscheidende Rahmenbedingungen wieder infrage. So kann kein Unternehmen vernünftig investieren und arbeiten. Stattdessen verlieren die Kapitalgeber das Vertrauen in sie. Besonders übel nehme ich diese populistischen Aussagen Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Sie war ja zuvor Bundesumweltministerin und sollte die Thematik kennen, weil sie das Gesetz ja selbst miterarbeitet hat. Wir investieren inzwischen lieber in den USA, wo die Klimapolitik engagierter und verlässlicher ist, als in Deutschland.

    Sie haben gerade in Iowa eine riesige Anlage in Betrieb genommen, die aus Stroh Biogas für erdgasbetriebene Trucks und Busse produziert. Um was geht es dabei?

    Sauter: Wir haben ursprünglich als Agrarhändler im Landkreis Neu-Ulm angefangen, bevor ich nach der Wende in die neuen Bundesländer gegangen bin und auf Energie aus Biomasse gesetzt habe. Heute hat unser Unternehmen Verbio in Schwedt die größte Biomethananlage der Welt mit einer Kapazität von rund 100 Megawatt. Wir haben mit unserem vollkommen nahrungsmittelfreien Biomethan als Kraftstoff für Autos und Busse bei den Stadtwerken Augsburg und München angefangen. Wir produzieren Biomethan aus den Resten, die bei der Ethanol-Produktion anfallen. Und wir haben ein Verfahren entwickelt, aus Stroh, das massenhaft als Ernteabfall anfällt, Biomethan herstellen. Aus vier Ballen Stroh, das sind zwei Tonnen, stellen wir so viel Biomethan her, wie ein Mittelklasseauto in einem Jahr verbraucht. Interessant ist das vor allem für den Schwerlastverkehr. Mit 20 Millionen Tonnen Stroh und dem Einsatz von gasbetriebenen LKW statt Dieselfahrzeugen könnte man den Diesel für die Hälfte des deutschen Schwerlastverkehrs ersetzen und dabei die CO2-Belastung um mindestens 90 Prozent senken. In den USA hat man dieses Potenzial erkannt, in Deutschland nicht.

    An welchem Punkt sollte die Politik aus Ihrer Sicht handeln?

    Sauter: Biokraftstoffe, die nicht aus Nahrungsmitteln, sondern aus biologischen Abfall- und Reststoffen produziert werden, nennt man gesetzlich fortschrittliche Biokraftstoffe. Das Treibhausgasreduktionsgesetz ist vom Kern her sehr vernünftig. Aber als wir gesehen haben, dass das Gesetz für die Mineralölindustrie nur einen Mindestanteil von 0,2 Prozent an fortschrittlichen Biokraftstoffen am Gesamtverbrauch vorsieht, war das für uns ein Witz. Das erreichen wir jetzt schon mit unserer jetzigen Produktion. Da lohnt es sich nicht, in neue Anlagen in Deutschland zu investieren. In den USA setzt man inzwischen auf E15 – also Benzin mit 15 Prozent Ethanol-Gehalt. Das Hauptausgangsprodukt ist dort Mais. Bei der Ernte fällt massenhaft Maisstroh an, aus dem wir unser Biomethan produzieren. Wir investieren gerade insgesamt 150 Millionen Dollar in die Anlage. In Amerika wird in der Politik auch hart debattiert. Aber wenn etwas dann entschieden ist, dann gilt es und man kann sich als Unternehmen bei Investitionen darauf verlassen.

    Wie teuer ist Ihr Biogas? Könnte man so auch russisches Gas ersetzen?

    Sauter: Als Kraftstoff ist unser Biomethan schon jetzt billiger als Diesel. Theoretisch könnte man mit dem gesamten Biomasse-Potenzial neben der Lebensmittelerzeugung vermutlich 50 bis 60 Prozent des russischen Gases ersetzen. Als Rohstoff hat Erdgas vor dem Krieg in der Ukraine etwa zwei Cent pro Kilowattstunde gekostet. Normales Biogas kostet als Erzeugerpreis ungefähr siebeneinhalb Cent und unser nahrungsmittelfreies Biomethan gut zehn Cent. Allerdings steigen jetzt die Erdgaspreise in Deutschland rasant. In anderen Gegenden der Welt ist es nach wie vor billig, was für die deutsche Industrie ein Standortproblem werden wird. Ich blicke hier sehr kritisch in die Zukunft, weil die Politik viele Jahre versäumt hat, Alternativen aufzubauen.

    Entsteht beim Verbrennen von Biogas nicht auch CO2, das in die Atmosphäre geblasen wird?

    Sauter: Bei normalen Biodiesel beträgt die CO2 Einsparung im Vergleich zu Diesel aus Erdöl etwa 75 bis 80 Prozent, beim Ethanol sind es knapp 90 Prozent und bei unserem Biomethan erreichen wir sogar bis zu 95 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Kraftstoff. Würde man das Stroh so wie heute auf den Äckern verrotten lassen, entweicht dabei auch CO2. Man schenkt sich damit nichts. Bei unserer Produktion entziehen wir dem Stroh die Energie und bringen den Reststoff als Humus aufs Feld zurück. Doch in Deutschland ist es schwieriger als im Ausland nachhaltige Technologien durchzusetzen. Hierzulande haben wir einst die Solarenergie entwickelt, das Geld damit wird aber heute in China verdient. Wir haben die neuesten Investitionen in unsere Stroh-Biomethan-Technologie in Indien und den USA getätigt. In Deutschland führt man lieber moralisierende Tank-Teller-Debatten, als vorhandene Potenziale für Klimaschutz und Versorgungssicherheit zu nutzen.

    Zur Person: Der 56-jährige Diplomkaufmann Claus Sauter aus Obenhausen im Landkreis Neu-Ulm gründete 2006 die Vereinigte Bioenergie AG, Verbio. Das Tec-Dax-Unternehmen aus Sachsen-Anhalt gilt mit einer Milliarde Euro Umsatz als einer der größten Biokraftstoff-Hersteller Europas.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden