Herr Haeusgen, wie geht es dem deutschen Maschinenbau und Ihrer Firma Hawe Hydraulik?
Karl Haeusgen: Der deutsche Maschinenbau befindet sich nach wie vor in einer stabilen Verfassung. Die Auftragsbücher sind für dieses Jahr voll. Viele Firmen haben einen Auftragsbestand von zehn bis elf Monaten, was gut ist. Auch beim aktuellen Auftragseingang von Hawe Hydraulik merke ich keinen Einbruch. Wir sind sehr gut ausgelastet. Das Werk in Kaufbeuren läuft unter Volllast und wir investieren weiter. Mit über 700 Frauen und Männern verzeichnen wir dort eine Rekordbeschäftigung. Der Krieg wirkt sich also noch nicht deutlich auf unseren Wirtschaftszweig aus. Manche Maschinenbausektoren, etwa mit dem Schwerpunkt auf erneuerbaren Energien, profitieren sogar von der Entwicklung, die durch den Krieg beschleunigt wird.
Also gibt es keinen Grund für eine Weltuntergangsstimmung in Deutschland?
Haeusgen: Aus meiner Sicht beschreiben manche Wirtschaftsvertreter die Folgen des Krieges für die heimische Wirtschaft zu dramatisch. In meiner Branche nimmt Russland auf der Tabelle unserer wichtigsten Länder für Maschinenbau-Exporte nur den neunten Platz ein, die Ukraine folgt auf Rang 31 und Belarus auf Position 53. Schon im vergangenen Jahr hat sich der deutsche Maschinenbau trotz der Engpässe bei Rohmaterialien und Halbleitern als widerstandsfähig erwiesen. Wir rechneten real mit einem Produktionsplus von 7,0 Prozent und sind mit immer noch guten 6,4 Prozent aus dem Jahr herausgekommen.
Doch dieses Jahr dürfte es deutlich abwärts gehen.
Haeusgen: Durch die Folgen des von Wladimir Putin angezettelten Krieges und der hartnäckigeren Lieferketten-Probleme rechnen wir für dieses Jahr nicht mehr wie ursprünglich mit einem Produktionsplus von real sieben Prozent, aber immerhin noch mit vier Prozent. Das wäre für den Maschinenbau mit seinen rund eine Million Beschäftigten in Deutschland immer noch ein gutes Jahr. Das sind schon extreme Kontraste: Einerseits sehe ich fassungslos die schrecklichen Bilder aus der Ukraine und frage mich, wie man den Menschen helfen kann, die ja nicht weit von uns weg leben. Andererseits sind die weltwirtschaftlichen Auswirkungen für unseren Wirtschaftszweig bisher überschaubar.
Sind die Folgen wirklich überschaubar?
Haeusgen: Ja, denn die Ausfälle durch die Sanktionen gegen Russland, die wir als Branche voll unterstützen, könnten wir mit einiger Kraftanstrengung zum Beispiel durch mehr Bestellungen aus den USA ausgleichen. Selbst ein kompletter Ausfall der Geschäfte mit Russland und der Ukraine wäre verkraftbar. Deutsche Maschinenbauer profitieren zum Beispiel von dem gigantischen US-Infrastruktur-Programm der Biden-Regierung oder auch von europäischen Infrastrukturprogrammen.
Sie wirken für 2022 trotz des Putin-Krieges verhalten optimistisch für den Maschinenbau.
Haeusgen: Ja, ich bin verhalten optimistisch. Solange sich der Ukraine-Krieg nicht noch katastrophaler entwickelt, halte ich ein reales Produktionsplus von vier Prozent für realistisch. Nicht nur für den Maschinenbau, sondern auch für die gesamte deutsche Wirtschaft gilt: Die Unternehmen befinden sich in einem guten Zustand.
So haben die deutschen Autohersteller trotz Lieferengpässen durchweg satte Milliardengewinne vorgelegt.
Haeusgen: Ich habe Respekt vor der Leistungsfähigkeit der Autoindustrie und den guten Ergebnissen der Unternehmen. Ich wäre aber froh, wenn sich das auch einmal in einer Mäßigung der Forderungen der Autoindustrie an die Politik niederschlagen würde. Wir als Maschinenbauverband VDMA verkneifen es uns, auf die Bundesregierung eine Reihe von Forderungen abzuladen, ist die deutsche Wirtschaft doch trotz des Krieges in der Ukraine nach wie vor stabil. Und wir hüten uns davor, die wirtschaftliche Lage zu dramatisieren. Denn das Drama spielt momentan in der Ukraine und nicht bei uns.
Wie erleben Sie den Ukraine-Krieg persönlich?
Haeusgen: Was wir derzeit erleben, ist ein humanitäres Drama. Das belastet auch mich emotional. Meine Frau und ich haben vor sechs Tagen zwei Männer und eine Frau aus der Ukraine aufgenommen. Die sind enorm engagiert und pauken stundenlang bei uns am Küchentisch Deutsch. Die ersten Brocken können sie schon. Bei uns sind die Kinder aus dem Haus, da hatten wir Platz. Jedem, der Platz hat, Ukrainer aufzunehmen, kann ich das nur empfehlen. Das ist bereichernd für einen selbst. Man lernt viel und es ist gut für die Völker-Freundschaft.
Schaffen Sie auch Jobs für die Geflüchteten in Ihrer Firma?
Haeusgen: In unserem Familien-Unternehmen Hawe Hydraulik sind 20 Stellen für Werkstudentinnen und Werkstudenten, die aus der Ukraine geflüchtet sind, ausgeschrieben. Das ist auch eine Seite, wie ich und viele andere Unternehmerinnen und Unternehmer aus dem Maschinen- und Anlagenbau die Krise erleben.
Die Maschinenbauer müssen aber auch mit den Folgen des Krieges leben. Wie dramatisch sind denn die Lieferengpässe für den Maschinenbau?
Haeusgen: Die nach wie vor bestehenden Lieferengpässe werden die Produktion in diesem Jahr noch einmal um ein bis zwei Prozent bremsen. Doch das ist ein Durchschnittswert. Manche und insbesondere kleine Unternehmen sind besonders hart von der mangelnden Versorgung betroffen. Sie bauen ihre komplexen Anlagen zu etwa 90 Prozent fertig, bekommen sie aber nicht vom Hof, weil etwa die Steuerung, also Chips, fehlen. Da die betroffenen Firmen diese Anlagen vorfinanzieren, kann sich das für sie dramatisch – bis hin zu einer Insolvenz – auswirken, da die Auftraggeber die Maschinen nicht abnehmen und bezahlen.
Abgesehen von Halbleitern: Welche Materialien fehlen derzeit vor allem?
Haeusgen: Es zeichnet sich ein erhebliches Versorgungsproblem mit Stahl ab. Firmen bekommen derzeit vielfach weder Preise noch Liefertermine genannt. Der Engpass verschärft sich durch den Krieg in der Ukraine. Denn rund 20 Prozent der Stahlbrammen, die in deutschen Stahlwerken weiterbearbeitet werden, stammen aus der Ukraine und aus Russland. Seit 15. März ist der Import von bestimmten Arten russischen Stahls verboten, was wir richtig finden. Trotz solcher Probleme sind Importe aus Russland und der Ukraine für die gesamte deutsche Volkswirtschaft unerheblich. Ungewiss ist jedoch, welche indirekten Effekte etwa durch höhere Energiepreise auftreten und wie stark sie die deutsche Wirtschaft belasten. Das wissen wir noch nicht.
Wir können uns also die Sanktionen gegen Russland leisten.
Haeusgen: Der russische Markt ist für uns nicht mehr so wichtig wie einst, als das Land noch den vierten Platz auf der Exportrangliste im Maschinen- und Anlagenbau einnahm. Nach dem Einmarsch Russlands in die Krim und den dadurch ausgelösten Sanktionen gingen die Ausfuhren nach Russland zurück. Es gab einen Bruch. Wir müssen als Maschinenbauer ehrlich sein: Mit dem russischen Markt opfern wir kein riesiges Kuchenstück. Die Folgen sind für unsere Branche überschaubar. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der bisherigen Sanktionen können wir uns leisten. Sollte Russland uns den Energiehahn abdrehen, sieht die Lage natürlich anders aus. Ich kann nicht abschätzen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen das hätte.
Der Ökonom Marcel Fratzscher rechnet schon mit einer Rezession in diesem Jahr.
Haeusgen: Auch das würde ich nicht überdramatisieren. Wenn die Wirtschaftsleistung in unserem wunderbar freien und friedlichen Land vorübergehend zurückgeht, ist das für viele Menschen verkraftbar. Menschen mit geringerem Einkommen bekommen jedoch ein Problem.
Helfen Ihnen Benzin-Zuschüsse, an die FDP-Chef Lindner denkt?
Haeusgen: Ein Tank-Rabatt wäre keine kluge Maßnahme. Denn viele Menschen, die große und schwere Autos fahren, also mehr Sprit verbrauchen, können sich die gestiegenen Preise in der Regel leisten. Wir müssen aber vor allem Bezieherinnen und Bezieher mit kleinen Einkommen entlasten. Und dazu gibt es sicher intelligentere, also zielgenauere Lösungen als einen Tank-Rabatt. Und mit solchen Hilfen sollten wir auch klimapolitische Anreize setzen, was bei einem Tank-Rabatt nicht der Fall wäre. Ich könnte mir ein gezieltes Energie-Geld für Menschen mit geringerem Einkommen vorstellen. Der Staat würde Geld verschwenden, wenn er mit der Gießkanne Sprit- und Heizkostenzuschüsse verteilt. Und meine große Hoffnung ist, dass die Gewerkschaften sich trotz der hohen Inflation zu moderaten Lohnabschlüssen durchringen.
Doch die Energiepreise explodieren. Die Inflation schießt nach oben. Müssen wir neben Kohle auch wieder auf Atomkraft setzen?
Haeusgen: Ich fände es gut, wenn das Thema „Atomkraft“ endlich von fachlich kompetenten Menschen abgeräumt würde.
Sie sind also gegen ein Hochfahren abgeschalteter Atommeiler?
Haeusgen: Gegen ein solches Hochfahren sprechen rechtliche, technologische und sicherheitsrelevante Gründe. Ich bin also dagegen. Das Thema sollten wir abhaken. Doch einige Menschen haben hier noch Phantomschmerzen aus der Zeit, als beschlossen wurde, die Atomkraftwerke abzuschalten. Die Brennstäbe in den Atomkraftwerken wurden aber nicht mehr erneuert und bevorratet. Es bleibt uns nichts übrig, als vorübergehend verstärkt auf Kohle zu setzen und erneuerbare Energien massiv auszubauen. Die Faktenlage ist eindeutig: Atomkraft ist für Deutschland keine Option mehr.
Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der neuen Bundesregierung?
Haeusgen: Ich habe großen Respekt vor der Arbeit der Bundesregierung, die mit enormer Energie nach Alternativen zu russischen Gas-Lieferungen sucht. Ich habe vor allem Respekt vor unserem Hauptansprechpartner, Wirtschaftsminister Robert Habeck. Er hat sich in hoher Geschwindigkeit in die Themen eingearbeitet. Er ist sachlich, ohne Vorurteile und in einem kooperativen Geist auf die Wirtschaft zugegangen. Mir imponiert auch die Geschwindigkeit, mit der die neue Regierung Entscheidungen fällt. Habeck zeigt, dass er eine Führungsfigur ist. Er macht als Krisen-Manager einen exzellenten Job.
Zur Person: Karl Haeusgen, 55, Aufsichtsrats-Vorsitzender und Miteigentümer der Münchner Hawe Hydraulik SE, ist Präsident des deutschen Maschinenbau-Verbandes VDMA.