Bald beginnen in Bayern die großen Ferien, dann rollt auch im Freistaat die Reisewelle. Doch viele Familien machen sich Sorgen um ihre Flüge. Gerade erst hat Lufthansa wieder tausende von Kurzflügen gestrichen. Ein Flugchaos scheint programmiert. Wie konnte es dazu kommen, Herr Kreuzpaintner?
Stefan Kreuzpaintner:Während der letzten beiden Jahren war der Luftverkehr aufgrund der Pandemie nahezu komplett zum Erliegen gekommen. Im Sommer 2021 waren geschäftliche und touristische Reisen nach Übersee kaum möglich, erst zum 8. November 2021 mit der Öffnung der USA änderte sich diese Situation. Selbst im ersten Quartal dieses Jahres hatte uns die Pandemie noch voll im Griff und die Nachfrage sank wieder. Das Wiederhochfahren des Flugverkehrs im jetzigen Sommer ist daher eine logistische Herausforderung für die gesamte Branche weltweit, um sicherzustellen, dass ein Rädchen ins andere greift.
Alle Partner wissen, dass sie jetzt alles für einen stabilen Flugverkehr tun müssen. Jede Flugstreichung ist eine zu viel für unsere Gäste. Mit den aktuellen Flugplananpassungen schaffen wir aber Stabilität. Insgesamt werden weniger als fünf Prozent unserer Fluggäste von Umbuchungen betroffen sein. In diesem Sommer können 99 Prozent aller Lufthansa Group-Ferienflüge und 95 Prozent des gesamten Flugprogramms stattfinden.
Und nun hat auch noch das Bodenpersonal gestreikt...
Kreuzpaintner: Diesen Streik in der Hauptreisezeit bedaure ich sehr – vor allem für unsere Gäste. Denn wir mussten fast alle Flüge absagen. In München fielen so 345 Flüge aus, betroffen waren 42.000 Passagiere. Der Streik ist meines Erachtens völlig unverhältnismäßig, was Ausmaß und Länge angeht. Das hat mit einem Warnstreik kaum mehr etwas zu tun. Immerhin haben wir ein Angebot vorgelegt, das insbesondere Beschäftigte der unteren Gehaltsgruppen überproportional berücksichtigt. Auswirkungen des Streiks könnten leider noch am Freitag zu spüren sein, auch wenn wir zum Beginn der Sommerferien allen Gästen einen reibungslosen Start in den Urlaub ermöglichen wollen. Von Streichungen betroffene Fluggäste wurden informiert und nach Möglichkeit auf alternative Flüge umgebucht. Allerdings sind die dafür verfügbaren Kapazitäten sehr begrenzt.
Personal fehlt auch ohne Streik an vielen Stellen. Natürlich hat die Pandemie auch bei den Airlines ihre Spuren hinterlassen. Aber es war ja schon länger klar, dass die Menschen beim Thema Urlaub Nachholbedarf haben. Hat die Lufthansa zu spät reagiert?
Kreuzpaintner: Wir erleben innerhalb nur weniger Monate eine immens starke Zunahme des Verkehrsvolumens von knapp 20 auf über 90 Prozent im Vergleich zu 2019. Diesen Zuwachs hat es vorher so noch nie gegeben – sowohl im Volumen als auch was das Streckennetz betrifft. Waren es im letzten Jahr nur die innereuropäische Ziele, ist es jetzt nahezu der komplette interkontinentale Verkehr. Neben der aktuellen Covid-Welle belastet der Krieg in der Ukraine den Flugverkehr. Die Verlagerung von Verkehrsströmen gen Westen und die kurzfristige Aktivierung von militärischen Korridoren führen zu massiven Engpässen in den europäischen Lufträumen. Auch daraus resultieren Verspätungen. Hinzu kommt, dass ein wichtiges Air Traffic Control Center in Frankreich wegen eines technischen Updates für einen längeren Zeitraum nicht am Netz ist und Verkehre nach Deutschland umgeleitet werden. Aber ich kann versprechen, dass Lufthansa mit den Beteiligten in allen Bereichen an Lösungen arbeitet, um die Belastungen zu reduzieren.
Es wurden und werden nicht nur Flüge abgesagt, viele Flüge sind auch unpünktlich. Vor kurzem berichtete die FAZ, dass in einer Woche in Frankfurt gerade mal 26 Prozent der Flüge pünktlich waren. Das unterminiert das Vertrauen in die Airline und führt zu noch mehr Chaos an den Flughäfen. Wie sieht es in München aus?
Kreuzpaintner: Am vergangenen Wochenende starteten die hessischen Sommerferien, und die Belastungsprobe in Frankfurt haben wir gut gemeistert. Unser oberstes Ziel ist natürlich gerade zur anstehenden Ferienzeit, unseren Gästen einen möglichst reibungslosen Start in den Urlaub zu ermöglichen. Dafür sind wir in München auch sehr gut gerüstet. Für die bevorstehenden Ferien haben wir kurzfristig Personal aufgestockt. So sollte der Start in den Urlaub gut gelingen. Generell profitieren wir von der engen Verzahnung mit dem Flughafen München und der Infrastruktur unseres gemeinsam betriebenen Terminal 2.
Dass es an Personal fehlt, ist allen klar. Lufthansa ist dabei nicht ganz unschuldig. Immerhin haben 380 Piloten das Angebot angenommen, frühzeitig aus dem Konzern auszusteigen. Die fehlen jetzt, ebenso wie das Kabinenpersonal, das oft mit hohen Abfindungen ging. Eine verfehlte Personalpolitik?
Kreuzpaintner: Lufthansa hat keinen generellen Personalmangel, aber an der einen oder anderen Stelle fehlen Mitarbeiter. Die aktuelle Covid-Welle beeinträchtigt mit hohen Krankheitsquoten nicht nur den Luftverkehr, sondern auch die anstehenden Schulungen der Crews.
Können Sie denn konkret beziffern, wie viele Piloten und Pilotinnen zurzeit fehlen?
Kreuzpaintner: Mit dem baldigen Ausscheiden der Piloten und Pilotinnen durch das Freiwilligenprogramm werden wir etwa zehn Prozent weniger im Cockpit haben. Für den aktuellen Flugbetrieb gibt es zahlenmäßig zwar nicht zu wenig Piloten. Aber in Einzelfällen haben wir nicht immer die Piloten mit der passenden Lizenz für das jeweilige Flugzeug. Deswegen haben wir unsere Schulungen ausgeweitet.
Nicht nur verspätete oder ganz abgesagte Flüge verärgern die Reisenden. Viele müssen stundenlang auf ihre Koffer warten und froh sein, wenn sie ihr Gepäck überhaupt bekommen. Wie will die Lufthansa diesen Vertrauensverlust ausbügeln?
Kreuzpaintner: Für die Unannehmlichkeiten, die Passagieren durch verspätetes Gepäck entstehen, möchte ich mich ausdrücklich entschuldigen. Alle Partner – die Flughäfen, Airlines, Bodenabfertiger, die staatlichen Sicherheitskontrolleure und Fluglotsen – arbeiten mit Hochdruck daran, dass Passagiere und ihr Gepäck pünktlich starten und landen. Aufgrund der beschriebenen Herausforderungen gelingt das aber nicht immer so wie wir uns das vorstellen. Wir raten allen Passagieren deshalb, ihre Kontaktdaten bei der Buchung zu hinterlegen, sodass wir sie rechtzeitig informieren können – auch über verspätetes Gepäck.
Lufthansa hatte als deutsche Airline bisher immer einen guten Ruf. Doch die Sparmaßnahmen auch auf den Flügen haben viele Passagiere verärgert. Hat sich doch die sonst so seriöse Airline immer mehr dem Geschäftsmodell der Billigflieger angeglichen. Wie kann die Lufthansa ihren Ruf retten?
Kreuzpaintner: Lufthansa ist und bleibt eine Premium-Airline. Wir investieren derzeit mehrere Milliarden Euro in ein noch besseres Reiseerlebnis. Das ist mehr als je zuvor in unserer Geschichte. Wir werden das Bord- und Bodenprodukt rundum erneuern und ein neues Spitzenprodukt auf der Langstrecke einführen: mit neuen Sitzen in allen Reiseklassen, neuen Services, neuem Inflight-Entertainment und neuem Kabinendesign. Unsere Passagiere können ihr Reiseerlebnis künftig individuell nach ihren Bedürfnissen gestalten, je nach Geschmack und Budget. Außerdem verbessern wir unser kulinarisches Angebot in allen Klassen.
Inzwischen ist ja auch die Deutsche Bahn Mitglied der Star Alliance. Eigentlich eine gute Idee, die ganze Reise mit einem Ticket zu ermöglichen. Aber auch bei der Bahn herrscht Chaos. Sind Sie nicht klammheimlich ganz froh darüber, dass es auf der Schiene auch nicht besser klappt als in der Luft?
Kreuzpaintner: Wir ziehen in der gesamten Reisekette an einem Strang, und ich bin weit von jeder Art von Schadenfreude entfernt. Zumal wir mit der Bahn seit einigen Monaten enger denn je zusammenarbeiten. Seit kurzem können Gäste innerdeutsche Zubringer für das weltweite Streckennetz in Frankfurt auf der Schiene „abfliegen“.
Geht das denn auch in München?
Kreuzpaintner: Nein, hier fehlt die Fernzuganbindung. Da benötigen wir zeitnah eine deutliche Verbesserung, damit wir auch Gäste aus Augsburg und Schwaben in Zukunft direkt entweder mit regionalen Zugangeboten oder den ICE ins Terminal bringen. Wenn wir hier nicht schnell eine Verbesserung erreichen, kommen wir in München in eine ökologische und wirtschaftliche Bredouille.
Wegen des großen Nachholbedarfs der Menschen an Urlaubsreisen ist derzeit von Flugscham kaum mehr die Rede. Allerdings ist der Klimawandel auch bei uns deutlich zu spüren. Was tut die Lufthansa in Sachen Nachhaltigkeit?
Kreuzpaintner: Wir verfolgen eine klare Strategie für eine nachhaltige Zukunft des Luftverkehrs. Unser Ziel ist es, unsere Netto-CO2-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2019 zu halbieren. 2050 wollen wir CO2-neutral sein. Dafür setzen wir viele innovative Maßnahmen um, wie die Flottenmodernisierung, die Optimierung des Flugerlebnisses und den Einsatz nachhaltiger Flugkraftstoffe. Schon heute können unsere Passagiere beim Ticketkauf die CO2-Emissionen ihrer Flugreise ausgleichen. Seit der direkten Integration in den Buchungsfluss auf Lufthansa.com sehen wir einen deutlichen Anstieg an Passagieren, die den CO2-Ausstoß ihres Fluges über Klimaschutzprojekte kompensieren oder nachhaltige Flugkraftstoffe kaufen. Die Bezahlung erfolgt mit dem Flugticket. Dienstliche Flugreisen unserer Mitarbeitenden sind übrigens bereits seit 2019 CO2-neutral.
Nun sollen fünf der schon eingemotteten A380 nach München zurückkommen. Zur Freude vieler Passagiere zwar. Aber umweltfreundlich ist der Mega-Flieger eher nicht...
Kreuzpaintner: Richtig, vorübergehend werden wir den Airbus A380 ab dem Sommer nächsten Jahres wieder einsetzen. Gründe dafür sind die stark gestiegene Nachfrage und die verzögerte Auslieferung bereits bestellter Flugzeuge. Noch prüfen wir, wie viele A380 wieder abheben und welche Ziele sie anfliegen werden. Unabhängig davon verstärken und modernisieren wir unsere Flotten in den kommenden drei Jahren: mit 50 neuen Langstreckenflugzeugen vom Typ Airbus A350, Boeing 787 und Boeing 777-9, außerdem mit über 60 neuen Airbus A320/321.
FTI-Chef Schiller prognostizierte eine Verteuerung der Reisepreise für den Winter und machte dafür auch das teurer werdende Kerosin verantwortlich. Werden sich die Menschen künftig generell auf teure Flüge einstellen müssen? Immerhin sagte ja selbst Ryanair-Chef O‘Leary, die Flugpreise seien zu niedrig.
Kreuzpaintner: Die Preisentwicklung des Kerosins ist ein wesentlicher Kostentreiber für alle Airlines. Leider kommen wir nicht umhin, diesen Preisanstieg an die Kunden weiterzugeben. Aber es gibt dabei keinen Automatismus. Auch von einer kompletten Weitergabe der Mehrkosten an die Passagiere kann nicht die Rede sein. Den Preis gibt der Markt vor. Und der zeichnet sich durch einen starken Wettbewerb aus, der einen Preisanstieg nur bedingt zulässt.
Glauben Sie, dass die Bayern am Wochenende unbesorgt in ihren Urlaub starten können? Und was raten Sie Familien, die am Flughafen stranden?
Kreuzpaintner: Wir tun alles, um unseren Passagieren einen sorglosen Start in den Urlaub zu bieten. So setzen wir mehr Personal beim Check-in und an den Gates ein, um Wartezeiten zu minimieren. Trotzdem bitten wir unsere Gäste, möglichst 2,5 Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein und den Online-Check-in oder Vorabend-Check-in zu nutzen und anschließend den Koffer an den Gepäckautomaten aufzugeben. Ich werde am Wochenende selbst im Flughafen unterwegs sein, um die Passagiere zu unterstützen und mit einem Lächeln in den Urlaub zu verabschieden.
Zur Person: Dr. Stefan Kreuzpaintner ist Chief Commercial Officer der Lufthansa Airlines und Leiter des Drehkreuzes München. Kreuzpaintner wurde 1974 in München geboren und wuchs in der Bayerischen Landeshauptstadt auf. Die Großeltern lebten in Augsburg, wo er während seiner Jugend regelmäßig zu Besuch war. Seine Verbundenheit mit der Stadt ist groß, noch heute ist er Mitglied des FC Augsburg.