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Interview mit GDL-Chef Weselsky: Kritik an Bahn-Managern

Interview

Lokführer-Chef Weselsky: "Die Bahn-Vorstände haben die Streiks provoziert"

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    GDL-Chef Claus Weselsky: Die umstrittenen Bahnstreiks haben auch ihn in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
    GDL-Chef Claus Weselsky: Die umstrittenen Bahnstreiks haben auch ihn in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Foto: Robert Michael, dpa

    Herr Weselsky, wie geht es Ihnen? Nach dem letzten Bahnstreik mussten Sie einiges einstecken. Sie würden über Unbeteiligte Druck ausüben und das ganze Land in Geiselhaft nehmen, warf Ihnen die CDU-Politikerin Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, vor. 

    Claus Weselsky (lacht): Mir geht es ausgezeichnet. Ich kann nicht klagen. Wir sind in der Tarifrunde auf einem guten Weg. Für die GDL läuft es nach Drehbuch, eben strategisch-vorhersehbar in geordneten Bahnen. 

    Und wie kommen Sie mit der heftigen Kritik an Ihrer Person, etwa von Frau Connemann, zurecht? 

    Weselsky: Diese Kritik setzt mir nicht zu. Außerdem habe ich zuletzt ein schönes Streitgespräch mit Frau Connemann in der Zeitung Die Zeit geführt. 

    Sind die Fetzen geflogen? 

    Weselsky: Diese Dame fühlt sich ja ermächtigt, wegen uns das Streikrecht ändern zu wollen. Frau Connemann ist überhaupt nicht auf dem Laufenden. Sie weiß nicht, um was es geht. Frau Connemann behauptet, die Bahn AG hätte uns schon von November an alles in unserem Sinne angeboten. 

    War es so? 

    Weselsky: Natürlich nicht. Was Frau Connemann betrifft, gilt die Erkenntnis: Wer lesen kann, ist eindeutig im Vorteil. Und es stimmt nicht, dass die Bahn-Fahrbetriebe, also der Fern-, Regional- und Güterverkehr, zur kritischen Infrastruktur gehören und damit eine Einschränkung des Streikrechts geboten wäre, denn das sind laut dem Allgemeinen Eisenbahngesetz nur Netz, Station und Service, DB Energie und die Werkstätten. Für mich ist die Sache im Gegensatz zu Frau Connemann klar: Im Fahrbetrieb, der ja auch im Wettbewerb steht, gilt das Streikrecht. Für mich zeigt die Argumentation von Frau Connemann exemplarisch auf, wie Politik heute über Populismus funktioniert. Das gilt im Übrigen auch für den CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der sich ebenso populistisch wie Frau Connemann geäußert hat. 

    Herr Linnemann hat kein Verständnis für den Streik der Lokführer gezeigt und die Bundesregierung aufgerufen, notfalls einen Schlichter im Tarifkonflikt zu bestellen, also sich in die Verhandlungen einzumischen. 

    Weselsky: Wenn Frau Connemann und auch Herr Linnemann solche Dinge von sich geben, die weder durchdacht noch realistisch umsetzbar sind, macht sich so etwas immer gut, wird es doch medial aufgegriffen. Mit solchen populistischen Äußerungen kommt man sogar ins Fernsehen. Da kann man mal wieder etwas von sich geben, was alle beklatschen, die gerade wegen unseres Streiks keinen Zug gesehen haben. 

    Sie wehren sich jedenfalls vehement gegen eine Einschränkung des Streikrechts. 

    Weselsky (lacht): Da lehne ich mich jetzt mal ganz vornehm zurück und überlasse die weitere Debatte über das Streikrecht vor allem den DGB-Gewerkschaften. Für mich sind die Ausführungen der Connemanns und Linnemanns Aktionismus. Damit schabt man Wolle, das ist aber keine realistische Politik.

    Frau Connemann und Herr Linnemann sind wie Sie Mitglied der CDU. Sie haben in einem früheren Interview mit unserer Redaktion darüber nachgedacht, dieser Partei den Rücken zu kehren. Ist es bald so weit?

    Weselsky: Die Äußerungen von Frau Connemann und Herrn Linnemann lassen mich wieder darüber nachdenken, ob ich weiter in der CDU bleiben soll. Noch habe ich aber keine Entscheidung gefällt. Unter der Mitwirkung der CDU sind zwei wesentliche Fehlentscheidungen für die Bahn getroffen worden: Der erste Fehler war die Privatisierung der Bahn, der zweite Nackenschlag für mich war, als die frühere CDU-Kanzlerin Angela Merkel beim Arbeitgebertag sagte, es müsse doch möglich sein, bei einem guten Glas Rotwein das Thema der Tarifeinheit zu lösen, also Konflikte zu regeln, wenn in einem Betrieb mehrere Tarifverträge gelten. Und dann wurde 2015 in der Großen Koalition unter Beteiligung der CDU die große Fehlentscheidung getroffen, das Tarifeinheitsgesetz durchzusetzen, nach dem bei einer Kollision von Tarifverträgen der Tarifvertrag einer Gewerkschaft Anwendung findet, die am meisten Mitglieder in dem Betrieb hat. 

    Noch einmal: Die verbalen Angriffe auf Ihre Person gehen zum Teil ins Eingemachte. Stecken Sie das wirklich so cool weg? 

    Weselsky: Ja, denn ich mache nichts anderes, als die Beschlüsse unserer Gewerkschaft umzusetzen. Ich setze also genau das um, was ich als Gewerkschaftsvorsitzender machen muss. Und ich setze diese Beschlüsse, wie auch die Entscheidung wie zuletzt zu streiken, gerne um. Das steht einem Gewerkschafter gut zu Gesicht und würde allen Gewerkschaftern gut zu Gesicht stehen. 

    Doch Sie werden heftig angefeindet und erhalten Hass-Mails. 

    Weselsky: Damit kann ich umgehen. Die Anfeindungen drücke ich weg nach dem Motto: Was kümmert es die deutsche Eiche, wenn sich eine Wildsau an ihr schabt. Kritik nehme ich jedoch an, wenn sie reflektiert und mit Argumenten unterlegt ist. Doch es gibt Menschen, die nicht zu einer solchen konstruktiven Kritik fähig sind. Die wünschen sich, dass es mich nicht gäbe. Diese Menschen verkennen jedoch, dass es nicht um den Weselsky, sondern die ganze Organisation geht. So gibt es auch Menschen, die sich von Herzen wünschen, dass es unsere Gewerkschaft nicht gäbe. 

    Dazu zählt wohl auch die Führung der Deutschen Bahn AG.  

    Weselsky: Die Deutsche Bahn hat bisher alles dafür getan, um unsere Existenz anzugreifen, mit dem Ziel, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer zu vernichten. 

    Doch die Führung der Deutschen Bahn hat ein gutes Argument gegen Ihr Ziel, die Wochenarbeitszeit für Lokführer im Schichtdienst von 38 auf 35 Stunden zu verringern. Denn wie soll die Arbeitszeitreduzierung funktionieren, wenn der Bahn nach eigenen Angaben Hunderte Lokführer fehlen? 

    Weselsky: Das ist ein Scheinargument der Bahn, da es derzeit am Markt keine Lokführer gibt. Alle Wettbewerbsunternehmen, also auch die 18, die schon einen Tarifvertrag für insgesamt rund 10.000 Eisenbahnerinnen und Eisenbahner mit uns abgeschlossen haben, finden auch kaum Lokomotivführer. Sie werben aber jetzt damit, dass sie gemeinsam mit uns die Wochenarbeitszeit verringert haben und damit den Beruf wieder attraktiver machen. So wird bei diesen Unternehmen 2028 die 35-Stunden-Woche eingeführt. Deswegen bekommen diese Bahn-Gesellschaften jetzt wieder Bewerbungen von Lokomotivführern und jungen Menschen, die sich in diesem Beruf ausbilden lassen wollen. Die Argumente der Bahn AG ziehen also nicht. 

    Der Personalmangel bei der Bahn ist immens. 

    Weselsky: Zuletzt musste in Sachsen-Anhalt der Eisenbahnverkehr eingestellt werden, weil es keine Fahrdienstleiter mehr gab. Auf der Ostsee-Insel Usedom musste über Wochen Schienenersatzverkehr eingesetzt werden, weil wir keine Fahrdienstleiter hatten. Bahn-Personal-Vorstand Martin Seiler hat Tausende von Leuten eingestellt, aber in Büros. Und im direkten Bereich fehlen uns mittlerweile Schlosser, Elektriker, Mechatroniker und Fachleute, die Türen reparieren können. 

    Das sind heftige Vorwürfe gegen das Bahn-Management. 

    Weselsky: Die Vorstände der Deutschen Bahn wissen nicht, wie es in ihren Betrieben zugeht. Sie kennen nicht die Stimmung der Leute. Sie quatschen sich nur einen Zahn locker und leben im Elfenbeinturm. Dabei hat die Bahn nicht nur allgemein einen Personalmangel, der sich in den kommenden Jahren verschärfen wird, weil Tausende Beschäftigte in den Ruhestand gehen. In manchen kleineren Bahn-Betrieben bekommt das Unternehmen nicht einmal mehr die Ausbildungsklassen voll. Deswegen wollen wir als GDL das System verbessern, indem wir eine echte Fünf-Tage-Woche statt der bisherigen Fünfeinhalb-Tage-Woche durchsetzen. Wir fordern also nicht die Vier-Tage-Woche, wie das Bahn-Personal-Chef Seiler fälschlich behauptet.

    Nach Ihrer Argumentation müsste die Arbeitszeitverkürzung im Sinne von Herrn Seiler sein. 

    Weselsky: Im Sinne von Herrn Seiler ist das nicht. Denn er will sein Geld für 3500 Führungskräfte und für deren Boni ausgeben. Und den ganzen Führungskräften, die mit ihren SUVs durchs Land fahren, ist es egal, ob die Eisenbahn fährt, die Anschlüsse klappen, die Kaffeemaschinen in den Zügen gehen und ob das Bier warm wird. 

    Dennoch stehen die Zeichen nach dem vorzeitig beendeten Streik auf Einigung. Sie haben vom 5. Februar bis 3. März mit der Bahn eine Friedenspflicht vereinbart, dürfen also nicht mehr streiken. Die Zeit sollte für einen Kompromiss reichen. Schließen Sie einen weiteren Streik im März aus? 

    Weselsky: Ich schließe nicht aus, dass die Tarifverhandlungen mit der Bahn scheitern könnten. Denn ein Tarifvertrag ist erst dann in trocknen Tüchern, wenn die Unterschriften aller Parteien darunter stehen. Bis 3. März kann alles passieren. Wir gehen jetzt ins Dunkelfeld, in einen abgeschlossenen Bereich. Zunächst gehen wir ohne Moderatoren in die Gespräche. Es besteht aber die Möglichkeit, Moderatoren zu benennen, die aber keine Schlichter sind. Schlichter lehne ich ab, weil sie die Inhalte der Verhandlungen bestimmen wollen. Das lasse ich nicht zu. Und ab Montag kommunizieren wir nicht mehr, jedenfalls nicht zu tariflichen Themen. 

    Verstummen Sie gänzlich? 

    Weselsky (lacht): Nicht ganz. Zu Gesprächen über das marode Eisenbahnsystem stehe ich natürlich zur Verfügung. 

    Rechnen Sie mit einem Durchbruch bei den Verhandlungen? 

    Weselsky: Bisher ist es immer gelungen, im Zuge eines solchen Verfahrens zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Schließlich ist die Bahn jetzt endlich bereit, mit uns über eine Absenkung der Wochenarbeitszeit zu verhandeln. Das hätte die Bahn schon früher vor unseren Streiks haben können. Die Bahn-Vorstände haben die Streiks provoziert. Sie sind für die Streiks mitverantwortlich. 

    Wirklich?

    Weselsky: Die Bahn-Vorstände haben über Monate den Fahrgästen diese Schäden zugemutet. Statt mit uns zu verhandeln, haben sie das Existenzrecht der GDL in Zweifel gezogen. Das ist doch eine unverschämte Truppe. Das ist eine Frechheit. Diese Herrschaften halten seit Monaten ihre Rechtsabteilungen auf Trab und überlegen, wie sie uns schaden können. Deswegen habe ich mir vorgenommen, kein gutes Haar an den Typen zu lassen. Denn die Eisenbahner leiden unter der Unfähigkeit des Managements. Frustrierte Bahn-Beschäftigte haben uns unter Druck gesetzt, die Streiks noch länger und heftiger zu führen. 

    War das Ihr letzter Streik? Es verdichtet sich ja, dass Sie nach der Tarifrunde in diesem Jahr abtreten. 

    Weselsky: Sie stellen darauf ab, dass ich bei der Generalversammlung der GDL im September nicht mehr kandidiere. 

    Genau. 

    Weselsky: Ich habe einmal scherzhaft gesagt, wenn ich wieder kandidieren würde, hätte mein Nachfolger keine Chance. Das wird aber nicht passieren, denn er ist ein sehr guter Mann. Mehr sage ich jetzt nicht. 

    Claus Weselsky, 64, stammt aus Dresden. Seine Familie bewirtschaftete einen Bauernhof. Später arbeiteten seine Eltern als Straßenbahnfahrer. Weselsky absolvierte nach der Polytechnischen Oberschule eine Ausbildung zum Schienenfahrzeugschlosser und Lokomotivführer bei der damaligen Deutschen Reichsbahn. Weil er kein SED-Mitglied war, blieb er länger als andere Rangierlokführer. Erst ab 1982 durfte Weselsky Güterzüge und später auch Personen- und Schnellzüge fahren. Nach der Wende engagierte er sich in der wiedergegründeten Gewerkschaft der Lokomotivführer, kurz GDL. 2006 stieg der Gewerkschafter zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der GDL und 2008 zum Chef der Organisation auf.

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