Herr Mohnen, nach der Pandemie boomt die Automatisierung der Produktion. Der Fachkräftemangel beschleunigt diese Entwicklung. Welche Chancen eröffnen sich hier für einen Roboter- und Anlagenbauer wie Kuka?
Peter Mohnen: Wir sehen enorme Chancen für uns. So ist Kuka etwa in den Markt für das automatisierte Bauen eingestiegen. Davon erwarten wir uns für unsere Anlagenbau-Sparte Systems sehr viel. Die Baubranche muss industrialisiert werden, um dringend benötigte Wohnungen und Häuser in viel größerer Anzahl fertigstellen zu können. Die Nachfrage nach Wohnraum ist immens, doch angesichts der steigenden Zinsen und Kosten sowie des dramatischen Fachkräftemangels besteht die Gefahr, dass deutlich weniger neuer Wohnraum als geplant entsteht. Wir haben schon erste Aufträge für Anlagen zum automatisierten Bauen von über 30 Millionen Euro etwa aus Großbritannien und dem Nahen Osten an Bord.
Bauen dann Roboter wie heute Autos künftig Häuser?
Mohnen: Wie heute in der Autoindustrie Fahrzeuge in großen Transferstraßen mit Robotern produziert werden, entstehen in solchen Anlagen große Häuserteile. Roboter legen dann auch die elektrischen Leitungen. So entstehen Module, die nur noch zusammengefügt werden müssen. Fast alles ist fertig: Es ist schon tapeziert. In den Bädern und Küchen sind die Armaturen angebracht. Das geht schneller und präziser als beim jetzigen Hausbau. Und es ist natürlich günstiger. Wie man heute ein Auto online konfiguriert, kann man sich dann sein Haus designen. Natürlich sind die Arbeitsbedingungen in einer solchen Häuser-Fabrik besser als auf Baustellen. Das kann diese Tätigkeiten auch für Frauen attraktiver machen, und es ermöglicht auch flexiblere Jobs zum Beispiel durch Schichtdienst-Modelle.
Doch in der deutschen Bau-Industrie und im heimischen Handwerk gibt es Vorbehalte gegen das automatisierte Bauen.
Mohnen: Dabei bietet diese Form des Bauens so viele Vorteile: Man muss nicht jeden Tag auf die Baustelle. Beim Entstehen eines Hauses wird weniger CO₂ erzeugt. Es ist also klimafreundlicher. Und so können wir deutlich mehr Häuser bauen. Das Handwerk kann die Nachfrage angesichts des Personalmangels ohnehin bei weitem nicht befriedigen. Am Ende werden in Fabriken vorgefertigte Häuser in einem Tag aufgebaut. Die Lärmbelastung für die Nachbarn ist also deutlich geringer.
In welche lukrativen Automatisierungsbereiche steckt Kuka noch seine Fühler aus?
Mohnen: Ein interessanter Vorschlag aus den Reihen unserer Beschäftigten besteht darin, gebrauchte oder alte Autos automatisiert wieder auseinander zu bauen, um gerade bei Elektrofahrzeugen wertvolle und teure Rohstoffe zu gewinnen. Wie man Autos mit Robotern fertigt, wissen wir. Jetzt denken wir den Prozess in die andere Richtung und automatisieren das Recycling.
Kreativität ist nach wie vor bei der Beschaffung knapper Vor-Materialien gefragt. Das ist oft zum Verzweifeln. Wie reagieren Sie strategisch darauf?
Mohnen: Absicherung ist hier das höchste Gebot. Wo man bisher nur auf einen Lieferanten oder ein Land gesetzt hat, stellen wir uns breiter auf. Absicherung ist also wichtiger geworden, als nur auf die günstigsten Produktionskosten zu setzen. Wir wollen zu große Abhängigkeiten vermeiden, investieren also nicht zu viel in einer Region. Doch weil China der größte und am stärksten wachsende Robotermarkt der Welt ist, müssen wir dort auch kräftig investieren. So erwirtschaften wir 23 Prozent unseres Umsatzes in China, in den USA sind es 32 Prozent. Am meisten Umsatz machen wir jedoch in Europa. Deshalb investieren wir auch dort weiter kräftig. So hat unser Eigentümer zugestimmt, dass wir am Konzernsitz in Augsburg die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2025 um 15 Prozent erhöhen. Mir ist wichtig, dass wir da insgesamt global besser vernetzt sind und nah am Kunden entwickeln.
Dafür musste Kuka die Kröte schlucken, dass die noch verbliebenen rund fünf Prozent freien Aktionäre von den Chinesen gegen eine Barabfindung von 80,77 Euro je Aktie aus dem Unternehmen gedrängt wurden. Was hat sich bei Kuka verändert, seit Midea das alleinige Sagen hat? Dadurch wurde ja die Vereinbarung mit den Chinesen gebrochen, dass Kuka börsennotiert bleibt.
Mohnen: Die Vereinbarung wurde im Aufsichtsrat auch mit den Stimmen der Arbeitnehmerseite einvernehmlich angepasst.
Also einvernehmlich gebrochen.
Mohnen (lacht): Einvernehmlich angepasst.
Noch einmal: Hat sich etwas bei Kuka verändert, seit die Chinesen allein das Sagen haben?
Mohnen: Wir haben hier bisher keine Veränderungen im Umgang bemerkt. Die Midea Gruppe, die in vielen weiteren Bereichen tätig ist, hat Kuka für das Jahr 2021 mit dem konzerninternen Turnaround-Preis für die positive Wendung unseres Geschäfts nach dem Corona-Einbruch ausgezeichnet. In den Diskussionen mit unseren Eignern geht es stets darum, die Geschäfte erfolgreich voranzutreiben. Hier konnten wir in den Gesprächen bislang immer eine gute Lösung finden. Und wenn wir nicht so konstruktive Lösungen gefunden hätten, wären wir auch nicht wirtschaftlich so gut unterwegs. Und schließlich hat der Aufsichtsrat ja auch vorzeitig die Verträge von meinem Vorstands-Kollegen Alexander Tan und mir bis 2025 verlängert. Ich fühle mich jedenfalls wohl bei Kuka.
Sie hatten mitten in der Corona-Krise, als Kuka tief in die roten Zahlen gerutscht war, gesagt: „Die beste Zeit für Kuka kommt noch.“Ist es schon so weit?
Mohnen: Die guten Zeiten haben für Kuka begonnen. Und wir haben harte hinter uns. Anfang 2022 bekamen wir über 90 Prozent der für unsere Roboter dringend benötigten Chips nicht. Parallel sind die Preise für andere Vormaterialien explodiert. Die Gefahr war groß, dass wir im April 2022 keinen Roboter mehr ausliefern können. Trotzdem haben wir 2022 den höchsten Auftragseingang von deutlich über vier Milliarden Euro in der 124-jährigen Geschichte des Unternehmens eingefahren. Wir hatten hier noch nie eine Vier vor dem Komma. Wir haben auch noch nie so viele Roboter verkauft und ausgeliefert wie im Jahr 2022. Auch der Umsatz bewegte sich auf Rekord-Niveau.
Der Gewinn jedoch nicht.
Mohnen: Jedenfalls ist es uns gelungen, auch das positive operative Ergebnis trotz der hohen zusätzlichen Kosten für die Beschaffung etwa von Chips zu verbessern. Wir waren 2022 nahe dran am historischen Rekord-Gewinn mit einer Steigerung von rund 70 Prozent. Und auch für 2023 und die kommenden Jahre bin ich optimistisch. Ich rechne weiter mit einem profitablen Wachstum für Kuka.
Weshalb haben Sie trotz aller Beschaffungsprobleme 2022 so gut abgeschnitten?
Mohnen: Das haben wir unseren Kukanerinnen und Kukanern zu verdanken, bei denen ich mich herzlich für ihr herausragendes Engagement bedanke. Wir haben als Team weltweit, ob in Augsburg, Ungarn, China oder in den USA auch virtuell intensiv zusammengearbeitet und dann doch ausreichend Chips besorgt. Unsere Mannschaften haben eine Glanzleistung abgeliefert: Beispielsweise mussten in der Produktion manche Schichten wieder nach Hause fahren, weil wir keine Teile mehr hatten. Sie haben die Arbeit dann später nachgeholt. Diese Flexibilität war sehr wichtig.
Wie sind Sie dann doch noch an die heiße Chip-Ware gekommen?
Mohnen: Etwa auch dadurch, dass wir andere Chips, die nicht so knapp sind, eingekauft haben. Wir haben die Pläne geändert, welche Chips in Roboter eingebaut werden. Und wir haben auch Roboter ohne Chips zu Kunden gebracht. Es dauert schließlich rund vier Wochen, bis ein Roboter per Schiff etwa in den USA ist. Die notwendigen Chips haben wir dann später mit dem Flugzeug hingeflogen und in die Roboter eingebaut. Aber auch viele andere Teile und Rohstoffe waren zeitweise nur schwer zu bekommen. Wir waren schnell in der Krise unterwegs. So konnten wir wie schon 2021 auch im vergangenen Jahr Marktanteile von Konkurrenten erobern.
Das müsste Midea beeindrucken. Die Chinesen waren ja länger unzufrieden mit der Entwicklung von Kuka.
Mohnen (lacht): Natürlich freuen sich unsere Eigentümer, wenn sich Kuka gut entwickelt. Man sieht ja, dass wir viel geändert haben und erfolgreicher sind. Wir haben in Krisenzeiten das Unbekannte gut gemanagt.
Ist die Chipkrise vorbei?
Mohnen: Die Chipkrise ist leider noch nicht vorbei. Wir könnten mehr Aufträge an Land ziehen, aber wegen des nach wie vor bestehenden Chip-Mangels sind unsere Lieferzeiten mit einigen Monaten zu lang. Die Lage wird jedoch besser, wenn uns auch der Chip-Mangel noch das ganze Jahr über beschäftigen wird. Nach wie vor ist es schwierig, bestimmte Komponenten zu bekommen. Lieferengpässe bestehen auch für Kabel und Roboter-Motoren. Und unsere Roboter sind acht bis zehn Prozent teurer geworden. Denn für manche Chips, die früher zehn Dollar gekostet haben, mussten wir zum Teil über 900 Dollar zahlen. Wir haben sie trotzdem gekauft und dennoch den Profit gesteigert.
Wie viele Roboter hätte Kuka 2022 mehr verkaufen können, wenn der Teile-Mangel nicht so dramatisch gewesen wäre?
Mohnen: Wir hätten ein paar tausend Roboter mehr verkaufen können.
Und wie viele Roboter hat Kuka 2022 verkauft?
Mohnen: Wir nennen keine absoluten Zahlen. Ich kann nur so viel sagen: Wir haben 2022 rund 19 Prozent mehr Roboter als im Vorjahr verkauft. Das war nach 2021 wiederum ein Verkaufsrekord. Die Stimmung bei Kuka ist entsprechend gut.
Und wie wirkt sich das auf die Beschäftigung aus? Die Zahl der Stellen in Augsburg ist von rund 3500 in der tiefsten Krise wieder auf etwa 3640 gestiegen, nachdem sie schon einmal bei 4000 lag.
Mohnen: Die Lage sieht gut aus für die Beschäftigten. In bestimmten Bereichen ist bei uns die Mannschaft schon für das gesamte Jahr 2023 ausgelastet. Wir schaffen auch in diesem Jahr in Augsburg zusätzliche Stellen. Wie viele, kann ich noch nicht sagen.
Auf dem Kuka-Online-Jobportal sind 87 Stellen allein für eine Festanstellung ausgeschrieben. Die Zahl der Arbeitsplätze dürfte 2023 wieder auf über 3700 ansteigen.
Mohnen (lacht): Hierzu will ich keine konkreten Angaben machen. Prognosen sind schwierig. Wir stellen vorsichtig ein. Auf alle Fälle ist angesichts eines Rekordauftragseingangs die Zeit des Stellenabbaus vorbei. Wir wollen die langen Lieferzeiten ja verkürzen. Jeder helle Kopf ist bei uns herzlich willkommen.
Doch in der Vergangenheit hatte der Betriebsrat kritisiert, dass Kuka die Zahl der Ausbildungsplätze runtergefahren hat. Haben Sie sich die Kritik zu Herzen genommen?
Mohnen: Ich habe mir vorgenommen, das Thema „Ausbildung“ bei Kuka weiter nach vorn zu bringen. Dieses Jahr werden wir in Augsburg 65 neue Auszubildende begrüßen. Vor zwei Jahren waren das noch knapp über 30.
Was dem Betriebsrat damals missfiel.
Mohnen: Doch wir haben dann schon nach dem schwierigen Corona-Jahr 2020 die Zahl der Auszubildenden 2021 wieder auf über 40 erhöht. Und nun verdoppeln wir die Zahl der Ausbildungsstellen in nur zwei Jahren. Kuka hat eine hervorragende Ausbildung. Unser 2020 in Betrieb genommenes 8000 m² großes Bildungszentrum in Augsburg bietet für die Aus- und Weiterbildung einen komplett neuen Maschinenpark. Jeder Auszubildende bekommt ein eigenes Tablet. Wir wollen junge Menschen für Kuka begeistern.
Was angesichts des Fachkräfte-Mangels unausweichlich ist.
Mohnen: Der Wettbewerb um gute Nachwuchskräfte wird immer größer. Wir müssen uns selbst helfen, um über die Ausbildung im eigenen Haus Expertinnen und Experten für Kuka heranzuziehen. Uns selbst zu helfen, heißt auch unsere Produkte selbst zu automatisieren. Roboter bauen also an Robotern mit.
Und Roboter sind auch in der Rüstungsindustrie gefragt. Die Branche ist raus aus der Schmuddel-Ecke und wächst kräftig. Kuka hat einst Aufbauten, also Türme für Panzer hergestellt. Die Kuka Wehrtechnik wurde aber 1999 an Rheinmetall verkauft. Steigt Kuka wieder ins Rüstungsbusiness ein?
Mohnen: Nein, wir sind ein ziviler Hersteller. Wir konzentrieren uns auf die Automatisierung in Bereichen wie Industrie, Logistik, Medizin. Da gibt es noch so viele spannende Themen, denen wir uns vorrangig widmen werden. Das entspricht unserem Know-how. Und wir wollen auch in diesem Jubiläumsjahr glänzen. Kuka wird schließlich 125 Jahre alt.
In dieser langen Geschichte hat Kuka mehrere Krisen und Umbrüche erlebt. Ist das für Sie im Jubiläumsjahr ein Thema?
Mohnen: Klar, das ist auch ein Teil unserer DNA: Eine besondere Stärke der Kukanerinnen und Kukaner ist die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden. Das ist für mich so faszinierend. In unserer Geschichte gab es dunkle Kapitel, Kriege, Krisen und plötzlich wegbrechende Geschäftsbereiche. Aus diesen Tälern wuchsen oft neue Erfolgsgeschichten. Es ist bis heute genau dieser Kuka-Spirit, der uns gerade in schwierigen Zeiten weitertrug und erfolgreich gemacht hat. Und der steckt in den Menschen im Unternehmen.
Peter Mohnen, der 1968 in Trier geboren wurde, kam 2012 zum Augsburger Roboter- und Anlagenbauer Kuka. Dort war der Manager zunächst bis 2018 Finanzvorstand. Danach stieg er zum Chef des Maschinenbauers auf, der allein der chinesischen Midea-Gruppe gehört.