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Interview: Solarwirtschaft übt Kritik: "Wie will man so ein vierfaches Ausbautempo erreichen?"

Interview

Solarwirtschaft übt Kritik: "Wie will man so ein vierfaches Ausbautempo erreichen?"

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    Der Ausbau der Photovoltaik müsste vervierfacht werden, um die neuen Klimaziele zu erreichen.
    Der Ausbau der Photovoltaik müsste vervierfacht werden, um die neuen Klimaziele zu erreichen. Foto: Ralf Lienert

    Herr Körnig, die Bundesregierung will im Ausbau der erneuerbaren Energien das Tempo vervielfachen. Wie zufrieden sind Sie mit dem „Osterpaket“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck?

    Carsten Körnig: Wir begrüßen außerordentlich die Zielsetzung des Vizekanzlers, die gewaltigen heimischen Potenziale der Solarenergie endlich entfesseln zu wollen, für einen wirksameren Klimaschutz und für mehr Versorgungssicherheit. Das Osterpaket sieht vor, dass bis 2030 in Deutschland Solarstromanlagen mit einer Leistung von 215 Gigawatt gebaut sein sollen. Bisher sind in Deutschland 60 Gigawatt Photovoltaik-Leistung in Betrieb. Das bedeutet, dass wir das Tempo der Solarisierung vervierfachen müssen. Dies kann nur gelingen, wenn privaten Verbrauchern und gewerblichen Unternehmen Energiewende-Investitionen noch deutlich schmackhafter gemacht werden, als dies bislang der Fall ist. Wir können es uns nicht mehr leisten, dass ein Großteil geeigneter Dachflächen weiterhin brachliegt und nicht für die Sonnenenergie-Ernte genutzt wird.

    Ist das Ziel von 215 Gigawatt bis 2030 realistisch und überhaupt umsetzbar?

    Körnig: Der Zubau an Photovoltaik soll nach dem Willen der Regierung zur Hälfte auf Gebäuden und zur Hälfte ebenerdig, also auf Freiflächen, erfolgen. Diese Einschätzung teilen wir. In der Praxis bedeutet dies, dass sich die Zahl der Solaranlagen auf den Dächern von derzeit 2,5 Millionen bis zum Jahr 2030 auf etwa fünf Millionen verdoppeln muss und zusätzlich 0,2 Prozent der Landesfläche für Photovoltaikanlagen benötigt werden. Das Osterpaket sieht dafür ein paar gute Ansätze vor. Zum Beispiel müssen Betreiber kleinerer und mittlerer

    Wo sehen Sie Korrekturbedarf an Habecks Entwurf?

    Körnig: Bisher ist eine höhere Vergütung für den Solarstrom nur vorgesehen, wenn die Anlagen ihren Strom vollständig ins öffentliche Netz einspeisen. Volleinspeiser erhalten bis zu 13,8 Cent pro Kilowattstunde. Wer dagegen einen Teil des Stroms selbst verbraucht, erhält eine deutlich geringere Vergütung für den ins öffentliche Netz eingespeisten Überschussstrom auf dem unveränderten Niveau vom April dieses Jahres. Dieser Betrag liegt damit rund 30 Prozent niedriger als im Frühjahr 2020. Wie will man unter diesen Bedingungen eine Vervierfachung des Ausbautempos erreichen?

    Warum sind diese Solaranlagen so wichtig, wenn gar nicht der ganze Strom ins Netz fließt?

    Körnig: Einen Teil des erzeugten Solarstroms selbst nutzen zu können, ist eine Bedingung für viele Unternehmen, um in eine Photovoltaikanlage zu investieren. Umfragen haben uns gezeigt, dass viele Unternehmer dann investieren, wenn sich Solaranlagen auf dem eigenen Firmendach zumindest innerhalb von zehn Jahren amortisieren, nicht aber erst nach 15 Jahren. Zudem will die Regierung ja die Sektorenkopplung fördern, also die klimafreundliche Elektrifizierung der Mobilität und Wärmeerzeugung. Dies wird für viele Unternehmen erst dann attraktiv, wenn sie einen Teil ihres selbst erzeugten Solarstroms zum Beispiel für den Betrieb des eigenen E-Fuhrparks oder einer Wärmepumpe verwenden können. Im Bundestag müssen die Konditionen für Teileinspeiser deshalb dringend nachjustiert werden.

    "Endlich die heimischen Potenziale der Solarenergie entfesseln": Carsten Körnig ist Geschäftsführer des  Bundesverbandes Solarwirtschaft.
    "Endlich die heimischen Potenziale der Solarenergie entfesseln": Carsten Körnig ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft. Foto: Bundesverband Solarwirtschaft

    Wo sehen Sie noch Probleme?

    Körnig: Der Energie-, Finanz- und Rohstoffmarkt ist derzeit infolge der Pandemie und des Kriegs gegen die Ukraine von so starken Verwerfungen gekennzeichnet, dass sich die erforderliche Höhe angemessener Marktprämien für neue PV-Projekte schnell ändern kann. Damit bedarf es auf der einen Seite einer hinreichenden Flexibilität bei der Anpassung von Fördersätzen, auf der anderen Seite benötigen Investoren ein Höchstmaß an Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Ein flexibler Degressions- und Progressionsmechanismus könnte hier Abhilfe schaffen, der mehrfach im Jahr den tatsächlichen Photovoltaik-Zubau mit den neuen Photovoltaik-Ausbauzielen abgleicht und notfalls die Vergütungshöhe zeitnah nachsteuert. Wird weniger zugebaut als geplant, muss der Fördersatz erhöht werden. Wir können uns keine Zögerlichkeit mehr leisten. Wir müssen klotzen, nicht kleckern, sonst ist das Tempo im Solarausbau nicht zu erreichen.

    Gibt es genug Platz für den Ausbau der Freiflächen-Photovoltaikanlagen? In manchen Gemeinden sind die bebauten Felder ja längst nicht mehr so gerne gesehen...

    Körnig: Wir benötigen rund 0,2 Prozent der Landesfläche für Photovoltaik, um Habecks Solarziele zu erreichen. Dafür muss man als Solaranlagenbetreiber weder in Naturschutzgebiete noch auf Hochertragsböden gehen. Derzeit ist die nutzbare Flächenkulisse für neue Solarparks jedoch so stark eingeschränkt, dass die heraufgesetzten Ausbauziele mangels nutzbarer Standorte bestenfalls zur Hälfte umsetzbar wären. Zwar ist es bereits heute möglich, Photovoltaikanlagen auf sogenannten benachteiligten Gebieten, also auch auf ertragsarmen Böden zu errichten. Das Problem ist jedoch, dass jedes Bundesland zuvor dafür eine Verordnung erlassen muss und diese Flächen beliebig limitieren kann. Benachteiligte landwirtschaftliche Gebiete sollten künftig grundsätzlich für Photovoltaik geöffnet werden, ohne dass man zuvor 16 Bundesländern einzeln hinterherlaufen muss! Nicht nachvollziehbar ist auch, warum Solarparks lediglich in 200 Meter breiten Streifen entlang der Bundesautobahnen errichtet werden dürfen. Warum 200 Meter? Die Begrenzung führt dazu, dass Investoren häufig mit mehreren Landwirten verhandeln müssen, um eine Solaranlage zu bauen, ein oft aussichtsloses, zumindest aber Kosten treibendes Unterfangen. Deshalb schlagen wir vor, dass Solarparks zumindest in einem 500 Meter breiten Streifen entlang der Autobahnen errichtet werden können. Gleiches sollte für Bundesstraßen gelten.

    Könnte man nicht gleich einfach über den Autobahnen Solardächer bauen?

    Körnig: Der damit verbundene zusätzliche Aufwand für Konstruktion, Planungs- und Genehmigungsprozesse dürfte in der Regel unverhältnismäßig sein. Durchaus sinnvoll erscheint es uns aber, zum Beispiel Parkplätze künftig vermehrt mit Solartechnik zu überbauen und den Solarstrom so auch für Ladestationen verfügbar zu machen.

    Es gibt auch Versuche, auf den Feldern Photovoltaik zu errichten und trotzdem weiter Pflanzen anzubauen. Was halten Sie davon?

    Körnig: Die sogenannte Agri-PV oder Floating-PV, also eine Doppelnutzung von Agrar- oder Gewässerflächen für die Solarstromernte, sollte gezielt incentiviert werden. Wie auch bei der Photovoltaik-Überdachung von Parkplätzen sind damit konstruktive Mehrkosten für Spezialaufständerungen verbunden, die bei der Förderung mittels eigener Ausschreibungen zu berücksichtigen wären.

    In Bayern haben 96 Prozent der staatlichen Gebäude keine Solarstromanlage. Kein gutes Vorbild, oder?

    Körnig: Auch die öffentliche Hand sollte ohne Frage stärker in die Photovoltaik investieren und mit gutem Vorbild vorangehen. Ermutigend ist, dass davon unbenommen immer mehr Menschen und Unternehmen sich mithilfe von Solartechnik schon jetzt unabhängiger von steigenden Energiekosten machen wollen. Immerhin jeder sechste Eigenheimbesitzer gab in einer Repräsentativbefragung Anfang Mai an, in den kommenden zwölf Monaten in eine eigene Solaranlage zur Strom- und/oder Wärmeerzeugung investieren zu wollen. Und immerhin jeder fünfte Unternehmer will in den kommenden drei Jahren ein eigenes Photovoltaikdach planen, vorausgesetzt die Investitionsbedingungen erweisen sich dann als attraktiv.

    Wie teuer ist Solarstrom eigentlich in der Herstellung?

    Körnig: Wir können heute Solarstrom aus Freiflächenanlagen bereits für vier bis sieben Cent pro Kilowattstunde erzeugen, auf Gebäuden liegen die Erzeugungskosten zwischen acht und 14 Cent je Kilowattstunde. Zum Vergleich: Verbraucherinnen und Verbraucher zahlen beim Stromverbrauch vom Energieversorger über 30 Cent.

    Bekommen Sie für den massiven Solarausbau eigentlich genug Material? Viele Branchen wie die Autoindustrie haben derzeit massive Materialengpässe durch Corona und den Ukraine-Krieg …

    Körnig: Die Liefersituation ist auch in Teilen der Solarbranche angespannt, das berichten zahlreiche Solarunternehmen. Unsere Branche ist in erheblichem Umfang auf Importe aus Asien angewiesen. Corona-Lockdowns haben die Frachtkapazitäten verknappt. Das schlägt sich zum Teil auch auf die Preise von Solarkomponenten nieder. Wir hoffen aber, dass sich die Situation spätestens im Verlauf des nächsten Jahres bessern wird.

    Kommt die Industrie dem Solarboom hinterher? Schließlich sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Unternehmen in Deutschland vom Markt verschwunden.

    Körnig: Die Fertigungskapazitäten für Solarsysteme in Europa sind beschränkt. Weltweit sind sie aber vorhanden und lassen sich schnell an den wachsenden globalen Bedarf anpassen.

    Wäre es nicht sinnvoll, wieder mehr heimische Fertigungskapazitäten zu haben?

    Körnig: Durchaus. Corona und der Ukraine-Krieg zeigen, dass Resilienz – also die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit – Bestandteil einer industriepolitischen Strategie sein muss, insbesondere auch in der Energiebranche. Die Bundesregierung sollte sich gemeinsam mit anderen europäischen Staaten dafür einsetzen, zumindest eine solare Grundversorgung entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus europäischer Fertigung abdecken zu können.

    Wie stehen die Chancen dafür?

    Körnig: Einige unserer Mitgliedsunternehmen planen oder prüfen derzeit ernsthaft den Auf- und Ausbau von Solarfabriken in Europa. Die Chancen dafür haben sich in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der zunehmenden Automatisierung der Fertigung bei gleichzeitig wachsenden Transportkosten deutlich verbessert. Es sollte der Bundesregierung aber bewusst sein, dass andere Staaten wie zum Beispiel die USA oder China mit sehr attraktiven Programmen um die Ansiedlung von Solarfabriken buhlen.

    Gibt es genug Handwerker, die die Module am Ende auch installieren?

    Körnig: Wir gehen davon aus, dass sich die Beschäftigtenzahlen in der Solarbranche bis 2030 von derzeit rund 50.000 auf 100.000 mindestens verdoppeln müssen, um die neuen Ausbauziele zu erreichen. Vor zehn Jahren lag die Anzahl der Beschäftigten schon einmal bei 130.000 in Deutschland. Wir beobachten derzeit ein deutlich gestiegenes Interesse konventioneller Handwerksbetriebe und junger Ingenieur:innen, in die Solarbranche einzusteigen. Längere Wartezeiten bei der Installation einer Solaranlage werden daher hoffentlich nur von vorübergehender Natur sein.

    Die erneuerbaren Energien sollen spätestens seit dem Ukraine-Krieg Gas und Kohle ersetzen. Was aber, wenn es Nacht ist und auch der Wind einmal nicht weht?

    Körnig: Windkraft und Photovoltaik ergänzen sich gut: Im Winter gibt es meist weniger Sonne, dafür mehr Wind, im Sommer ist es umgekehrt. Die berechtigte Frage ist, was passiert, wenn mal kein Wind weht und keine Sonne scheint? Zahlreiche Studien haben belegt, dass sich auch für diese Zeiträume künftig unter anderem mithilfe von Batteriespeichern für die Kurzfristspeicherung und dem gezielten Einsatz biologisch oder synthetisch hergestellter Gase für die Langfristspeicherung die Versorgungssicherheit rund um die Uhr und über das gesamte Jahr gewährleisten lässt. Bei neuen Solaranlagen für das Eigenheim investiert bereits heute mehr als jeder Zweite inzwischen in einen Batteriespeicher. Auch die Anzahl der Photovoltaik-Gewerbespeicher hat zuletzt deutlich zugenommen.

    Oft sind die Anlagen fix und fertig, können aber nicht ans Netz gehen, weil kein Zertifizierer greifbar ist. Ist das Problem inzwischen gelöst?

    Körnig: Es war ärgerlich, dass ohne Not und wissenschaftliche Begründung von der Bundesnetzagentur die Schwelle für die Zertifizierung auf 135 Kilowatt Leistung gesenkt wurde. Die bürokratischen Hemmnisse und Anschlusskosten haben sich dadurch für neue Solaranlagen der mittleren Photovoltaik-Leistungsklasse massiv erhöht. Es gibt zahlreiche gewerbliche Solarstromanlagen, die für mehr als ein Jahr nicht ans Netz angeschlossen werden können, weil unverhältnismäßige Auflagen für den Netzanschluss gelten und Zertifiziererkapazitäten nicht reichen. Wir hoffen, dass die Bundesregierung hier nunmehr schnell für Abhilfe sorgen wird. Noch ist die Kuh nicht vom Eis. Der Abbau weiterer Marktbarrieren ist erforderlich, um die Solarenergie tatsächlich zu entfesseln.

    Zur Person: Carsten Körnig wurde 1970 geboren und ist seit Anfang 2006 Geschäftsführer des BSW – Bundesverbandes Solarwirtschaft e. V., der Interessenvertretung der Solartechnik- und Solarspeicherbranche in Deutschland, mit Sitz in Berlin.

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