Mr. MacEwen, das Augsburger Unternehmen Quantron hat in 18 Monaten einen mit Wasserstoff betriebenen Klein-Lkw entwickelt, in den es eine Brennstoffzelle Ihres Unternehmens einbaut. Heute fahren die meisten der weltweit jährlich vier Millionen verkauften Lkw schlicht und einfach mit Diesel. Welche Chance werden solche neuen Antriebsformen wirklich haben?
Randy MacEwen: Ich erwarte, dass im Jahr 2030 auf den Schlüsselmärkten mindestens 20 Prozent aller neuen Lkw elektrifiziert sein werden. Zum Teil werden sie mit Batterien betrieben werden, zum Teil werden sie Wasserstoff und eine Brennstoffzelle zur Stromerzeugung an Bord haben. Batterie-elektrische Lkw werden für kürzere Entfernungen genutzt, für lange Strecken bietet die Brennstoffzelle eine größere Reichweite. Dies wird sich ungefähr halbe-halbe aufteilen, sodass 2030 rund 10 Prozent der neuen Lkw batterie-elektrisch fahren und 10 Prozent mit einer Brennstoffzelle. Im Jahr 2050 rechnen wir bei den Neufahrzeugen mit 80 Prozent elektrischen Lkw, zwei Drittel davon mit Brennstoffzelle.
Bisher gilt es als vollkommen ausreichend, für die Lieferung von Waren auf den letzten Kilometern in die Städte batterie-elektrische Fahrzeuge zu nehmen. Warum sind Sie so fest davon überzeugt, dass auch kleine Wasserstoff-Lkw so stark gefragt sein werden?
MacEwen: Ein großer Teil der Lieferungen auf den letzten Kilometern wird sicherlich batterie-elektrisch sein. Es gibt aber Fälle, in denen man größere Reichweiten und eine schnelle Betankung braucht. Deshalb wird künftig ein Teil der Lkw-Flotten mit Wasserstoff fahren.
Könnten Sie dies erklären?
MacEwen: Es ist teuer und aufwendig, eine Lade-Infrastruktur für große Flotten einzurichten. Für einen Lkw kann man einfach eine Ladesäule bauen. Was aber, wenn Unternehmen 100 oder 200 Lkw auf dem Hof stehen haben und alle davon geladen werden müssen? Dann werden sehr große Strommengen benötigt, das Netz muss ausgebaut werden. Die Lade-Infrastruktur zu erweitern, wird sehr kostenintensiv. Bei Wasserstoff ist es genau andersherum: Es ist teuer, eine Wasserstoff-Tankstelle für wenige Fahrzeuge zu bauen. Kommen Fahrzeuge hinzu, sinken die Kosten pro Fahrzeug, dann muss man nur den Wasserstoff-Speicher erweitern. Das ist kostenarm.
Noch sind Brennstoffzellen-Lkw aber sehr teuer ...
MacEwen: Noch ist das so. Der Grund ist, dass Brennstoffzellen-Lkw in sehr kleiner Stückzahl hergestellt werden. Die Preise werden sinken, je größer die Stückzahlen werden. Wir kennen diesen Effekt sehr gut von den erneuerbaren Energien. Fotovoltaik war anfangs sehr teuer, Windkraft auch. In den letzten Jahren gab es hier große Skaleneffekte, die Kosten sind um 90 Prozent gesunken. In den meisten Märkten ist Solarenergie heute die günstigste Form der Energieerzeugung. Bei Batterien für E-Autos erleben wir bereits ähnliches. Auch bei Brennstoffzellen-Lkw wird der Effekt eintreten. Wir erwarten, dass die Kosten eines Wasserstoff-Lkw bis 2030 um 70 Prozent sinken werden. Im Jahr 2030 werden wir nicht mehr darüber reden, dass Brennstoffzellen-Lkw teuer sind. Wir werden darüber reden, dass die letzten Diesel-Lkw verkauft werden.
Was, wenn die Batterien auch besser werden? Das chinesische Unternehmen CATL hat kürzlich eine Batterie vorgestellt, die Strom für 400 Kilometer Reichweite in 10 Minuten laden kann. Wird dann die Brennstoffzellen-Technologie nicht überflüssig?
MacEwen: Durch die technische Entwicklung bekommen Batterien Stück für Stück eine höhere Energiedichte, Stück für Stück lassen sie sich auch schneller laden. Das ist aber alles nicht vergleichbar mit der Reichweite und dem Tanktempo von Diesel oder Wasserstoff. Ein Wasserstoff-Lkw kann die drei- bis vierfache Entfernung eines Batterie-Lkws ohne Tankstopp zurücklegen. Batterien stoßen trotz inkrementeller Verbesserungen an die Grenzen der Chemie.
Fehlt zum Durchbruch der Brennstoffzellen-Fahrzeuge nicht einfach ein Tankstellennetz für Wasserstoff?
MacEwen: Natürlich. Für den Beginn müssen wir uns deshalb auf Kunden konzentrieren, bei denen die Fahrzeuge nachts auf das Firmengelände zurückkommen. Dann genügt eine Wasserstoff-Tankstelle dort. In einer späteren Phase wird es wichtig werden, ein flächendeckendes Wasserstoff-Tankstellen-Netz zu haben. Dies ermöglicht es, von Stadt zu Stadt und von Staat zu Staat zu fahren. Es hilft, dass die EU beschlossen hat, bis 2030 dann 650 Wasserstoff-Tankstellen an den großen europäischen Fernstraßen zu errichten.
Sie haben auch eine Kooperation mit Audi, ist Ihrer Homepage zu entnehmen. Welches Projekt verfolgen Sie zusammen?
MacEwen: Audi hatte wie andere Hersteller überlegt, einen Brennstoffzellen-Pkw zu entwickeln und an den Markt zu bringen. Sie haben sich entschlossen, dies nicht zu machen. Wir haben aber sechs bis sieben Jahre lang eine Brennstoffzellen-Technologie für Autos entwickelt und erst mit VW und dann mit Audi kooperiert.
Denken Sie, dass in Zukunft Wasserstoff doch noch eine Option für Pkws werden könnte?
MacEwen: Das ist eine interessante Sache. Ich selbst habe zwei Jahre lang ein Brennstoffzellen-Auto gefahren, jetzt habe ich ein batterie-elektrisches E-Auto. Für die meisten Menschen in den Städten ist die Reichweite von batterie-elektrischen Autos absolut ausreichend. Interessanter wird es, wenn man an Flotten denkt, zum Beispiel Taxis oder Lieferfahrzeuge. Diese Fahrzeuge sind lange am Stück unterwegs. Hier beginnt die Debatte von Neuem, ob nicht Batterien oder doch Wasserstoff besser ist. Noch interessanter wird es, wenn wir bis in das Jahr 2050 schauen. Autos sind dann autonom unterwegs, ein Roboter steuert sie. Statt einen Pkw zu besitzen, nutzt man sie als Service und bestellt sich ein Auto per Smartphone vor die Haustüre. Solche Fahrzeuge haben hohe Reichweiten-Erfordernisse, wenn sie zum Beispiel 20 Stunden am Stück ihre Runden drehen. Wasserstoff ist hier klar im Vorteil.
In den USA fördert Präsident Joe Bidens Inflation Reduction Act die Produktion von Wasserstoff. Schiebt dies auch schon die Nutzung von Wasserstoff in der Mobilität an?
MacEwen: Der Inflation Reduction Act erhöht die Produktion an Wasserstoff, aber auch auf der Nachfrageseite bewegt sich viel. 24 Prozent der Emissionen weltweit entstehen durch die Mobilität. Schwere Lkw tragen überproportional dazu bei. In den USA sind zehn Prozent der Fahrzeuge Trucks und Busse. Sie erzeugen aber ein Drittel der Treibhausgas-Emissionen. Will man das Klima schützen, muss man bei der Mobilität ansetzen. In Kalifornien zum Beispiel muss schon nächstes Jahr, 2024, ein Teil der neuen Lkw emissionsfrei sein. Im Jahr 2035 müssen bestimmte Lkw-Klassen, im Jahr 2045 dann alle Lkw-Klassen emissionsfrei fahren.
Profitiert Ballard als Brennstoffzellenhersteller schon davon?
MacEwen: Oh ja, wir arbeiten in Nordamerika mit einer Anzahl Partnern an Bussen und Lkw mit Brennstoffzelle, Quantron könnte auch für den US-Markt einer davon sein.
Was sind Ihre Erwartungen und Geschäftspläne für Ballard?
MacEwen: Wir investieren in Technologie, Produktentwicklung und die Ausweitung unserer Produktion. Im Jahr 2030 erwarten wir weltweit zwei Millionen Brennstoffzellen-Fahrzeuge und Tausende Brennstoffzellen-Züge und -Boote, die Kapazität zur Erzeugung grünen Wasserstoffs wird von heute weniger als einem Gigawatt auf 200 Gigawatt steigen. Ballard ist heute schon Marktführer für Brennstoffzellen in der Mobilität. Unser Marktanteil bei Lkw und Bussen liegt in Europa und Nordamerika bei 85 Prozent, in China bei 50 Prozent. Auch im Jahr 2030 wollen wir Marktführer sein, hochprofitabel und klimaneutral. Heute haben wir rund 1300 Beschäftigte, 2030 werden es rund 2000 sein.
Zur Person: Randy MacEwen, 54, ist Chef des Brennstoffzellen-Herstellers Ballard Power Systems aus Vancouver, Kanada. Der Jurist führt das börsennotierte Unternehmen seit 2014. Wir haben ihn bei der Vorstellung des neuen 4,2-Tonnen-Wasserstoff-Lkws des Unternehmens Quantron getroffen.