Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Interview: IHK-Präsident Reinhold Braun: "Ein EU-Austritt Deutschlands wäre eine Katastrophe"

Interview

IHK-Präsident Reinhold Braun: "Ein EU-Austritt Deutschlands wäre eine Katastrophe"

    • |
    "Wir brauchen ein starkes Europa", sagt Reinhold Braun, der neue Präsident der Industrie- und Handelskammer Schwaben.
    "Wir brauchen ein starkes Europa", sagt Reinhold Braun, der neue Präsident der Industrie- und Handelskammer Schwaben. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Braun, es gibt sicher schönere Zeitpunkte für den Start. Sie übernehmen das Amt des Präsidenten der Industrie- und Handelskammer in keiner leichten Zeit. Wie blicken Sie auf die Wirtschaft der Region mit ihren 144.000 Mitgliedsunternehmen?

    Reinhold Braun: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind enorm schwierig, und es wird nicht einfacher werden. Wir bewegen uns weit unter den wirtschaftlichen Möglichkeiten, die ich für Bayerisch-Schwaben sehe. Aber auch in dieser Zeit müssen wir mit Optimismus ans Werk gehen. Wir brauchen Zuversicht, um die Probleme der Zukunft bewältigen zu können.

    Stattdessen drohen manche Unternehmer damit, die Produktion ins Ausland zu verlagern, wenn es mit den hohen Energiepreisen so weitergeht. Wie handhaben Sie dies bei Sortimo, Ihrem eigenen Unternehmen?

    Braun: In unserem Unternehmen haben wir bereits mit dem Atomausstieg der Merkel-Regierung beschlossen, uns neu aufzustellen. Unsere Sorge war, dass die Stabilität im Netz nachlässt. Deshalb haben wir bei Sortimo früh angefangen, unsere eigene Energieversorgung durch Fotovoltaikanlagen aufzubauen. Heute haben wir im Jahresschnitt eine Energieautarkie von 50 Prozent. Nachts oder in Zeiten der Dunkelflaute müssen wir weiterhin Strom aus dem Netz beziehen. Wir sind aber dabei, in den nächsten Jahren zu 80 Prozent energieautark zu werden. Damit entkoppeln wir uns weitestgehend von den Energiepreisen. 

    Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schwebt weiterhin die Atomkraft als Energiequelle vor. Ihnen auch?

    Braun: Wir müssen technologieoffen sein. Mir ist aber nicht ganz klar, wie ein Wiedereinstieg in die Atomkraft aussehen sollte. Die Energieunternehmen haben erklärt, dass der Ausstieg irreversibel ist. Neue Kraftwerke gäbe es frühestens in zehn oder 15 Jahren, wir haben aber jetzt ein Problem. Daher müssen wir die erneuerbaren Energien im Eiltempo ausbauen. Da deren Produktion über die Zeit hinweg schwankt, brauchen wir zudem intelligente Stromnetze und Energiespeicher. Selbst Elektroautos können über bidirektionales Laden als Stromspeicher dienen, es müssen allerdings auch die Netze dazu passen. Wir benötigen die modernste und intelligenteste Infrastruktur. Hier ist noch einiges zu tun. 

    Das klingt, als sähen Sie in der Energietechnik großes Potenzial?

    Braun: Ich wünsche mir, dass Deutschland zum Vorreiter für grüne Technologie wird. Wir brauchen Innovationen. Idealerweise können wir diese dann weltweit vermarkten. 

    "Kommunikativ hat die Ampel beispielweise beim Gebäudeenergiegesetz oder bei der Besteuerung in der Gastronomie versagt", sagt IHK-Präsident Braun.
    "Kommunikativ hat die Ampel beispielweise beim Gebäudeenergiegesetz oder bei der Besteuerung in der Gastronomie versagt", sagt IHK-Präsident Braun. Foto: Ulrich Wagner

    Die Bahn wurde bestreikt, der Export lahmt, die Regierung ist zerstritten. Was ist los mit dem Standort Deutschland?

    Braun: In den letzten Jahren ist vieles liegen geblieben. Dabei ist Deutschland nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch das Land der Erfinder und Ingenieure. Dahin müssen wir zurückkommen. 

    Was ist liegen geblieben?

    Braun: Wir haben in den letzten Jahren zu wenig Politik für den Mittelstand gemacht. Wenn der Bund die Ansiedlung einer Chipfabrik in Magdeburg mit fast zehn Milliarden Euro fördert, um dort mit 3000 Beschäftigten Chips für den Weltmarkt zu produzieren, sehe ich wenig Nutzen dahinter. In Bayerisch-Schwaben haben wir ein innovatives Ökosystem von mittelständischen Unternehmen, die beispielsweise Kunststoff spritzen, Metalle galvanisieren oder Maschinen bauen. Ich würde Wirtschaftsminister Robert Habeck gerne einladen, sich dieses leistungsstarke wirtschaftliche Ökosystem anzusehen. Die mittelständische Wirtschaft müssen wir viel mehr wertschätzen und damit hegen und pflegen

    Das klingt, als seien Sie vom Standort nach wie vor überzeugt. Bleiben Sie als Unternehmen in Schwaben?

    Braun: Wir bleiben in Bayerisch-Schwaben. Dennoch gibt es gute Gründe, weshalb wir auch im Ausland produzieren werden. Ein zentraler Grund ist eine mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump in den USA

    Was könnte Trump für die Wirtschaft in Schwaben bedeuten?

    Braun: Bereits der Inflation Reduction Act von Joe Biden ist nicht sehr europafreundlich. Die Devise "Buy American", also die Förderung von in den USA produzierten Waren zulasten ausländischer Importe, wird mit Trump eine noch größere Rolle spielen. Es ist für uns alle wichtig, dass wir diesen Trend antizipieren. Wir müssen uns auf Trump einstellen und geopolitisch richtig aufstellen. Bei Sortimo bereiten wir deshalb eine Produktion in den USA vor, damit wir in Nordamerika weiter wachsen können. Dazu kommt: Wer CO2-neutral produzieren will wie wir, kann die Güter nicht von Zusmarshausen aus mit dem Frachter über die Weltmeere fahren. 

    Macht Europa seine Interessen hinreichend deutlich?

    Braun: Wir brauchen ein starkes Europa. Wir sind der nachfragestärkste Wirtschaftsstandort in der Welt und können unser Potenzial dennoch nicht entfalten. Weil wir uns in der EU oftmals nicht einigen können, verkaufen wir uns weltweit weiter unter Wert. 

    AfD-Chefin Alice Weidel würde in Deutschland über einen Dexit, den Austritt aus der EU, abstimmen lassen ...

    Braun: Ein Austritt Deutschlands aus der EU wäre eine wirtschaftspolitische Katastrophe. Diese Auswirkungen dürfen wir uns nicht einmal vorstellen. Probleme wie die EU-Bürokratie müssen gelöst werden. Trotzdem ist die EU ein absolutes Erfolgsmodell, ohne die EU würde der Wirtschaftsstandort Deutschland massiv an Boden verlieren. 

    In einem Treffen haben AfD-Politiker darüber gesprochen, wie Mitbürger mit Migrationshintergrund ins Ausland zurückgeschickt werden könnten. Wie sehen Sie die

    Braun: Als global vernetzte Wirtschaft stehen wir für Weltoffenheit, Toleranz und internationale Kooperation. Diese Faktoren sind erfolgsentscheidend für die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Populismus und rechtsextreme Positionen schaden dem Ansehen unserer Region und den Unternehmen. Wir sind besorgt über die gesellschaftliche Polarisierung. Es muss der Politik gelingen, notwendige Reformen entschlossen anzugehen und gute wirtschaftspolitische Antworten zu geben, um extremen politischen Positionen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die Basis unseres unternehmerischen Handelns in einer freien Gesellschaft. 

    Wie sehen Sie die Demonstrationen gegen rechte Umtriebe?

    Braun: Ich finde die Demonstrationen sehr wichtig. Das ist gut für unsere Reputation. Als ich in den 90er-Jahren in den USA war, brannten hierzulande Asylbewerberheime. Das ist in den USA in den Nachrichten hoch- und runter- gelaufen. Aber auch die Gegendemonstrationen gegen rechts hat man in Amerika später gewürdigt. Geht es um Rechtsextremismus, steht Deutschland international unter besonderer Beobachtung. 

    Die Ampelkoalition bekommt derzeit heftigen Gegenwind. Ist die Regierung für die Wirtschaft noch zu retten?

    Braun: Kommunikativ hat die Ampel beispielweise beim Gebäudeenergiegesetz oder bei der Besteuerung in der Gastronomie versagt. Man kann nicht fünf vor 12 Uhr wichtige Entscheidungen treffen, die alle überraschen und massive wirtschaftliche Auswirkungen haben. Wir benötigen aber nicht nur eine bessere Kommunikation, notwendig sind auch bessere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Unsere zentralen Probleme sind weiterhin der Arbeitskräftemangel, die zu hohen Energiepreise, eine international nicht wettbewerbsfähige Steuerlast und die Bürokratie. Das Lieferkettengesetz zwingt uns überspitzt formuliert dazu, die globale Lieferkette jeder einzelnen Schraube zu dokumentieren. Wenn man dies für alle verbauten Teile beispielsweise eines Autos nachprüfen will, ist man das ganze Jahr auf Weltreise. Wir erheben immer mehr Daten, steigern den Kontrollaufwand und am Ende verfehlen wir dennoch unser Ziel.

    Gibt es nicht inzwischen ein Bürokratieentlastungsgesetz?

    Braun: Wir haben schon mehrere Bürokratieentlastungsgesetze, doch leider kommt in Summe nichts bei den Unternehmen an. Es hat aus meiner Sicht auch keinen Sinn mehr, jede Vorschrift einzeln anzufassen. Das Klein-Klein hilft uns nicht mehr, notwendig ist ein großer Wurf. 

    Wie könnte der große Wurf im Kampf gegen wild wuchernde Bürokratie aussehen?

    Braun: Vornweg müssen wir mit einer sauberen und unabhängigen Gesamtanalyse beginnen. Anschließend muss ermittelt werden, welche Unternehmensdaten der Staat wirklich braucht, um Rechtssicherheit zu schaffen. In einem zweiten Schritt legt man fest, wie die Daten digital erhoben werden können. Und zum Schluss muss sichergestellt sein, dass die Daten zwischen den Ämtern ausgetauscht werden, sonst geschieht weiterhin alles doppelt und dreifach. 

    Sehen Sie eine Chance auf Reformen?

    Braun: Jede Veränderung setzt Druck voraus. Der Druck müsste jetzt in der Politik angekommen sein, an dem fehlt's jetzt nicht mehr. Ich hoffe, dass nun auch die Veränderungsbereitschaft endlich zunimmt. 

    Schwer hat es derzeit die Autoindustrie. Was kommt hier auf die schwäbischen Zulieferbetriebe zu?

    Braun: Die deutschen Autohersteller tun sich bisher schwer mit der Elektromobilität. Die Hersteller in Fernost starten dagegen durch. Dort hatte man schon länger Expertise in der Produktion von Batterien. Vor 20 Jahren kam man dann dort auf die Idee, ein Auto um die Batterie herum zu bauen, mit allerlei digitalen Features. Der chinesische Hersteller BYD baut nun eine Fabrik in Ungarn, also in der EU. Die deutsche Autoindustrie muss sehr aufpassen, nicht noch weiter ins Hintertreffen zu geraten. 

    Schwer getroffen hat es zuletzt auch den Handel: Karstadt ist insolvent, Rübsamen wird verschwinden. Gibt es einen Hoffnungsschimmer?

    Braun: In den Innenstädten benötigen wir einen Branchenmix, der Handel allein kann die Innenstädte nicht beleben und für die notwendige Frequenz sorgen. Dafür sind auch die Hotellerie und Gastronomie, die Kultur- und Kreativwirtschaft oder die Dienstleistungen nötig. Zusammen mit der Politik vor Ort müssen wir es schaffen, dass der Einkauf in der Stadt zum Erlebnis wird. In der IHK gehen wir dies mit unserem Projekt "Innenstadt reloaded" an. Zusammen mit Stadtverwaltungen beschäftigen wir uns mit der Innenstadtentwicklung, unter anderem in Donauwörth, Illertissen und Weißenhorn, Mindelheim und Lindenberg.

    Optimismus war auch der Leitgedanke Ihres Vorvorgängers Andreas Kopton ... Stehen Sie auch dafür?

    Braun: Ich bin Unternehmer. Ein Unternehmer braucht Zuversicht, sonst braucht er kein Unternehmen eröffnen. In China sagt man: Wer nicht lächeln kann, der sollte kein Geschäft eröffnen. Ohne Optimismus funktioniert es nicht. 

    Zur Person: Reinhold Braun, 58, ist seit Januar 2024 neuer Präsident der Industrie- und Handelskammer Schwaben. Er leitet zusammen mit Klaus Emler das Unternehmen Sortimo aus Zusmarshausen, das Lieferfahrzeuge ausstattet. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden