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Ifo-Chef Clemens Fuest im Interview: Arbeiten lohnt sich oft kaum

Interview

Wie kommt Deutschland aus der Krise, Herr Professor Fuest?

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    Ifo–Chef Clemens Fuest: "Die gute Nachricht lautet, Deutschlands Probleme sind lösbar."
    Ifo–Chef Clemens Fuest: "Die gute Nachricht lautet, Deutschlands Probleme sind lösbar." Foto: Stefan Boness, Imago/Ipon

    Herr Professor Fuest, wenn man die Konjunkturbarometer des ifo Instituts liest, könnte man Angst bekommen. Im Gewerbe in Bayern ist die Stimmung so schlecht wie zuvor auf dem Höhepunkt der Coronakrise. Was sind die Hauptgründe für ?

    Clemens Fuest: Die Wirtschaft leidet unter einer ganzen Reihe von Belastungsfaktoren. Jeder für sich genommen wäre auszuhalten, aber die Masse der Belastungen wird zum großen Problem. Das beginnt bei teuren Energiepreisen, geht weiter mit hohen Zinsen und trifft auf eine weltweit nicht gut laufende Industrie. Dazu kommen spezielle deutsche Probleme: Die Bürokratie hat in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen, da ist ein Bürokratie-Schock zum nächsten gekommen. Die Steuerbelastung ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch und das Arbeitskräfteangebot wird knapper. Obendrein sehen wir in der Wirtschaft eine massive Verunsicherung über den Kurs der Politik.

    Wie schlägt sich die politische Verunsicherung nieder?

    Fuest: Verunsicherung durch die Politik zu messen, ist nicht einfach. Es gibt aber aussagekräftige Indikatoren, zum Beispiel auf der Basis von Medienauswertungen. Die gemessenen Werte sind außerordentlich hoch: Die Politikunsicherheit in der deutschen Wirtschaft ist demnach derzeit so hoch wie in Großbritannien im Jahr des Brexit. Deutschland ist hier international ein Ausreißer. Wenn Unternehmen nicht genau wissen, wohin die Politik steuert, stellen sie große Investitionen zurück oder investieren im Ausland. Zum Beispiel sehen wir in Teilen der Bauwirtschaft neben den hohen Zinsen und Baukosten eine große politische Verunsicherung, ob nach dem Streit um das Heizungsgesetz neue böse Überraschungen kommen. Viele Investoren sagen deshalb, sie warten ab. All das trägt dazu bei, dass die Wirtschaft in der Stagnation gefangen ist.

    Geht die Unsicherheit allein auf das Konto der Ampel oder gibt es hier noch andere Faktoren?

    Fuest: Die Verunsicherung der Wirtschaft muss sich die Ampel zuschreiben lassen. Für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Lage verschärft hat, war die Koalition nur indirekt verantwortlich. Das Hauptproblem aber ist, dass derzeit in der Bundesregierung keine Einigkeit über die richtige wirtschaftspolitische Strategie für das Land herrscht. So etwas gab es zwar auch bei früheren Koalitionen, aber da waren die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft viel besser und das Schiff steuerte durch ruhige Gewässer. Wenn das Schiff in einen Sturm gerät, dann kommt es auf den Kapitän an.

    Wie ernst ist die Lage? Die Bundesregierung senkt ihre Wachstumsprognose von 1,3 Prozent auf nur noch 0,2 Prozent.

    Fuest: Die Lage ist ernst, aber dramatisieren hilft jetzt nicht. Gefragt ist entschlossenes Handeln. Die Bundesregierung hätte die Mittel, die Probleme anzugehen und zu lösen. Das Haupthindernis ist, dass es dieser Koalition sehr, sehr schwerfällt, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu einigen. Für manche Maßnahmen ist sie zudem auf die Unterstützung der Union angewiesen. Wenn die Koalition den Ernst der Lage erkennt und Einigkeit über die richtigen Schritte erzielt, besteht kein Grund für Pessimismus. Deutschland kann seine Probleme lösen, aber man muss sie jetzt auch angehen.

    Wie kommt Deutschland aus der Krise? Bei welchen Problemen müsste man als Erstes ansetzen?

    Fuest: Zunächst muss man sich klarmachen, dass es nicht den einen Hebel gibt, um die Probleme Deutschlands zu lösen. So wie es viele belastende Faktoren gibt, muss man auch an vielen Punkten ansetzen. Los geht das beim Arbeitsmarkt. Wir haben inzwischen eine Situation, in der es sich für viele Menschen nicht besonders lohnt zu arbeiten. Dabei geht es nicht nur um das Bürgergeld. Wir haben deshalb einen sehr starken Trend zur Teilzeitarbeit. Für den Einzelnen ist diese Reaktion verständlich. Für die Volkswirtschaft insgesamt heißt das aber, dass weniger Güter und Dienstleistungen produziert werden. Das wirkt sich auf das Bruttoinlandsprodukt und damit auch auf Steuereinnahmen und die Sozialkassen aus. Wir brauchen stärkere Anreize, von Teilzeit in Vollzeit zu wechseln. 

    Was müsste beim Bürgergeld als Arbeitsanreiz geschehen? Für viele mit niedrigen Einkommen lohnt sich Arbeit nur mit zusätzlichen Sozialleistungen wie Wohngeld und Kinderzuschlag ...

    Fuest: Das Problem besteht darin, dass sich nicht nur beim Bürgergeld, sondern auch bei kleineren und mittleren Einkommen Mehrarbeit kaum lohnt, weil dabei steigende Zuschüsse wie Wohngeld oder der Kinderzuschlag wegfallen. Nehmen wir das Beispiel einer Familie mit zwei Kindern in einer Stadt mit hohen Mieten wie München. Wenn das Einkommen der Familie durch Mehrarbeit einen Sprung von 3000 auf 5000 Euro brutto im Monat macht, werden nicht nur Steuern und Sozialabgaben fällig, zusätzlich fallen die Sozialtransfers weg. Von den 2000 Euro mehr brutto bleiben am Ende 32 Euro netto übrig. Da versteht jeder, dass sich arbeiten nicht lohnt.

    Was müsste man dagegen tun?

    Fuest: Die Politik müsste die verschiedenen Transferleistungen auf den Prüfstand stellen und dann dafür sorgen, dass man von dem Einkommen aus der Mehrarbeit einen größeren Anteil behalten kann. Das ist nicht ganz trivial, aber machbar. Wir stehen schließlich erst am Anfang der Probleme des demografischen Wandels. Wenn immer mehr Menschen sagen, es lohnt sich nicht, so viel zu arbeiten, und lieber Teilzeit wählen, dann bewegen wir uns als Volkswirtschaft komplett in die falsche Richtung. Das Gleiche gilt für die „Rente mit 63“. Wenn man die Sozialsysteme demografiefest machen will, müssen wir länger statt kürzer arbeiten.

    Erlebt Deutschland eine konjunkturelle Delle oder beginnt eine lange schwierige Phase?

    Fuest: Es ist mehr als nur eine Delle, weil auch das sogenannte Potenzialwachstum sinkt, das besagt, wie stark Deutschland im Idealfall ohne äußere Probleme wachsen könnte. Deshalb hängt es jetzt davon ab, ob die Politik die Probleme angeht, um die Stagnation zu überwinden. Die gute Nachricht lautet, Deutschlands Probleme sind lösbar.

    Wirtschaftsminister Robert Habeck schlägt Unternehmenssteuersenkungen auf Pump vor. Ist das eine gute Idee?

    Fuest: Steuersenkungen komplett auf Pump zu finanzieren, halte ich in der aktuellen Lage nicht für sinnvoll. Der bessere Weg wäre, einen Teil aus den laufenden Einnahmen des Haushalts zu finanzieren. Obwohl es unpopulär ist, müsste der Staat bei den Konsum- und Sozialausgaben einsparen und umschichten. Und es kommt darauf an, welche Art von Unternehmenssteuerreform man plant. Wenn man über beschleunigte Abschreibung redet, dann verlagert man Steuereinnahmen lediglich in die Zukunft, man erhält später höhere Einnahmen. In diesem Fall kann man eine gewisse Kreditfinanzierung rechtfertigen.

    Sollte die Schuldenbremse also doch gelockert werden?

    Fuest: Nein. Ich bin dafür, die Schuldenbremse in ihrer Form beizubehalten. Sie zwingt die Politik, Prioritäten zu setzen, und lässt dem Staat genug Spielraum für eine wirtschaftlich sinnvolle Verschuldung. Es hat Sinn, dass die Schuldenbremse die Politik zwingt, Prioritäten zu setzen, weil sie sonst nur Lasten und Verteilungskämpfe in die Zukunft verlagert. Die Regierung könnte allerdings ein Sondervermögen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag beschließen, beispielsweise für mehr Investitionen, die Deutschland braucht. Die Bundesregierung müsste sich mit der Union zusammensetzen und darüber verhandeln, welchen Beitrag Kürzungen im Kernhaushalt leisten und was der Anteil neuer Schulden sein sollte.

    Die Koalition plant gewaltige Subventionen für die Ansiedlung der Chipindustrie und Batteriefabriken. Sind diese Milliardenausgaben gut investiert?

    Fuest: Soweit es darum geht, neue Potenziale für Wertschöpfung zu erschließen, ist das der falsche Weg. Wohlstand schaffen Unternehmen, die Steuern zahlen, nicht Unternehmen, die Subventionen bekommen. Wenn eine Firma nur nach Deutschland kommt, wenn der Staat Subventionen zahlt, ist Deutschland für diese Branche der falsche Standort und nicht wettbewerbsfähig. Deshalb findet die Halbleiterproduktion und die Batteriefabrikation ohne Subventionen nicht bei uns statt. Diese Industrieansiedlungen sind nicht nachhaltig, sie werden wieder abwandern, wenn die Subventionen nicht mehr wirken. Das werden auch die USA erleben. Batterie- und Wärmepumpenfabriken sind eher etwas für Schwellenländer. Länder wie die USA oder Deutschland sollten sich auf Forschung und Entwicklung in diesen und anderen Branchen konzentrieren. Hier wären die Milliarden viel besser investiert. 

    Die Politik schaut mit Bangen auf die US-Wahlen im Herbst. Was würde ein Wahlsieg Donald Trumps für die deutsche Wirtschaft bedeuten?

    Fuest: Es bestand schon in Trumps erster Amtszeit die Sorge vor mehr amerikanischem Protektionismus gegenüber europäischen Importen. Trump hat in der Tat auf Importe von Stahl und Aluminium in die USA neue Zölle eingeführt. Aber bei sehr wichtigen Gütern wie etwa europäischen Autos ist das nicht passiert. Zu einem flächendeckenden Handelskrieg mit der EU ist es nicht gekommen. Denn auch Trump hat bei genauerem Hinsehen wohl erkannt, dass amerikanische Unternehmen in Europa ungefähr genauso viel verdienen wie europäische in den USA. Die Amerikaner machen ihr Geld zum Beispiel mit Software-Lizenzen, unsere Unternehmen mit Autos und Maschinen. Insgesamt ist der Handel recht ausgeglichen. Soweit es Trump um Handelsungleichgewichte geht, hat er also keinen Grund gehabt, mit der EU einen Handelskrieg vom Zaun zu brechen. Die Sorge vor Trump besteht eher in der Sicherheitspolitik. Ob er Europa bei einem Angriff helfen würde, ist unklar. Aber wenn Europas Sicherheit von Wahlen in einem anderen Land abhängt, dann macht man etwas falsch: Europa hat sich bislang einen Großteil seiner Verteidigung von den Amerikanern bezahlen lassen. Die Frage lautet mit Recht: Müssen wir nicht auf eigenen Beinen stehen? 

    Zur Person: Der Volkswirtschaftsprofessor Clemens Fuest leitet seit 2016 als Präsident das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo. Zuvor war der 55-Jährige Wirtschaftsprofessor in Oxford, Köln und Mannheim sowie Chef des ZEW-Instituts. 

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