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Interview: Handwerkspräsident: "Betrieben droht ab Januar der Stillstand"

Interview

Handwerkspräsident: "Betrieben droht ab Januar der Stillstand"

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    Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH).
    Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Foto: Christoph Soeder, dpa

    Herr Wollseifer, Deutschland steuert auf eine Rezession zu. Wie stark trifft diese auch das Handwerk? 
    HANS PETER WOLLSEIFER: Auch im Handwerk gibt es inzwischen Vorboten für deutlich rauere Zeiten: Betriebe berichten uns, dass die Neuaufträge stark zurückgehen und es zu Auftragsstornierungen kommt. Die konsumnahen Handwerke spüren bereits eine zunehmende Kaufzurückhaltung, weil die Kundinnen und Kunden angesichts sinkender Realeinkommen sparsamer mit ihrem Geld umgehen. Unsere Betriebe können die massiven Kostensteigerungen für Energie, aber auch für viele Rohstoffe und Vorprodukte nur selten vollständig über Preisanpassungen weitergeben. Und nach wie vor bestehen Lieferengpässe. Das alles bleibt natürlich nicht ohne Folgen. 

    Wie sehen die Folgen aus? 
    WOLLSEIFER: So viel ist sicher: Die Handwerkskonjunktur wird an Schwung verlieren, diesmal auch am Bau, der in vorausgegangenen Krisen ein wichtiger Konjunkturanker war. Wie heftig der Einbruch sein wird, ist allerdings wegen der derzeitigen Risiken und Unwägbarkeiten nicht vorauszusagen. Eine Art Sonderkonjunktur könnte es geben für die Betriebe, die in der Umsetzung der Energiewende tätig sind – etwa bei der Installation von Wärmepumpen und Energieeffizienzmaßnahmen. Doch auch hier machen Materialmangel und fehlende Fachkräfte Probleme.

    Welche Schwierigkeiten sehen Sie für das Handwerk in den kommenden Monaten?
    WOLLSEIFER: Kurzfristig betrachtet bereiten fehlende Anschlussverträge mit Gas- oder Stromversorgern vielen Betrieben ziemliches Kopfzerbrechen. Wenn hier keine schnellen Lösungen gefunden werden, droht die Produktion wie auch das Erbringen von Dienstleistungen in den betroffenen Betrieben stillzustehen. Das könnte schon im Januar bei vielen Betrieben so kommen. Solche Betriebsstillstände will sicher niemand. Da braucht es jetzt zwingend eine rasche Lösung. 

    Das hört sich dramatisch an ...
    WOLLSEIFER: Brenzlig kann für zahlreiche Betriebe, besonders die energieintensiven, im Januar und Februar die Liquiditätslage werden: Weil die Gas- und Strompreisbremsen erst im März rückwirkend gewährt werden, müssen die Betriebe zu Jahresbeginn in die Vorfinanzierung der hohen Energierechnungen gehen. Doch die Reserven sind bei vielen noch aus Corona aufgezehrt. Damit diese Betriebe die Zeit bis März überstehen und sie liquide bleiben, sind Härtefallhilfen nötig. Generell ist es für alle Handwerksbetriebe derzeit sehr schwierig, überhaupt noch rentabel zu arbeiten. Die stark gestiegenen Kosten können oft gar nicht oder nur anteilig weitergegeben werden, bei lang laufenden Verträgen ohne Preisgleitklauseln oder solchen mit öffentlichen Auftraggebern mündet das oft schon von vorneherein in ein Verlustgeschäft. Das kann kein Betrieb auf Dauer durchhalten. 

    Die Bundesregierung führt ja eine Strom- und Gaspreisbremse ein. Auch, um Betriebe zu unterstützen. Wie zufrieden sind Sie mit dieser Arbeit der Regierung?
    WOLLSEIFER: Die von der Bundesregierung beschlossene Erdgas-Wärme-Bremse sowie die Strompreisbremse setzen an der richtigen Stelle an. Hilfreich ist bei der Strompreisbremse vor allem, dass die jetzt abgesenkte Jahresverbrauchsschwelle dazu führt, dass auch energieintensive kleinere Handwerksbetriebe in den Genuss des Gewerbestromtarifs kommen. Damit werden Wettbewerbsverwerfungen vermieden. Dass sich Politik gerade bei der Ausgestaltung der Verbrauchsschwelle derart flexibel gezeigt hat, ist sehr positiv. Das gilt auch für die Entscheidung, die Gas- und Strompreisbremse für das Gros der Betriebe rückwirkend ab Januar 2023 gelten zu lassen – dieses Vorziehen haben wir wiederholt angemahnt.

    Sind mit Strom- und Gaspreisbremse alle Energieprobleme für das Handwerk gelöst? 
    WOLLSEIFER: Ganz sicher nicht. Da klafft für zahlreiche energieintensive Betriebe noch eine Liquiditätslücke für Januar und Februar – wie von mir beschrieben. Daher erwarten wir von der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler am 8. Dezember 2022 klare Aussagen und Beschlüsse zu Härtefallhilfen für die betroffenen energieintensiven Betriebe, damit sie die Zeitspanne bis zum Start der Bremsen überbrücken können. Zudem sollten die Härtefallhilfen auch die Nutzung anderer Energieträger wie Öl und Holzpellets in den Blick nehmen. Und Politik muss sich auch Gedanken dazu machen, wie Betriebe unterstützt werden können, die trotz der Bremsen mit dem „New Normal“ überfordert sein werden. Und natürlich bringen diese Bremsen auf längere Sicht keine Antwort darauf, wie gesichert werden kann, dass Energie unseren Betrieben bezahlbar und verlässlich auch in der Zukunft zur Verfügung steht. 

    Hätte das Handwerk weitergehenden Bedarf für Entlastungen? 
    WOLLSEIFER: Losgelöst von der Energieproblematik sehen wir ganz grundsätzlich Entlastungsbedarf in ganz vielen Bereichen: Kaum Fortschritte gibt es beispielsweise beim Bürokratieabbau. Da kämpfen sich unsere Betriebe weiter durch einen schier unüberschaubaren Dschungel an Vorschriften, Dokumentations- und Kontrollpflichten. Weit entfernt von Entlastungen sind wir bei der Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme, dort stehen im Gegenteil Erhöhungen an. Das ist für das Handwerk als besonders beschäftigungsintensivem Wirtschaftsbereich gravierend. Das sind nur zwei sehr signifikante Beispiele, aber die Liste ließe sich leider noch stark verlängern. Es wird heutzutage Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhabern, die immerhin für Arbeits- und Ausbildungsplätze sorgen, nicht gerade einfach gemacht, unternehmerisch und selbstständig tätig zu sein. 

    Was ist langfristig gesehen die größte Herausforderung im Handwerk?
    WOLLSEIFER: Das Megathema der kommenden Jahre bleibt die Sicherung der Fachkräftebasis im Handwerk. Demografiebedingt scheiden bis zum Ende des Jahrzehnts viele Fachkräfte sowie Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhaber aus dem Erwerbsleben aus. Zugleich gibt es zu wenige junge Menschen, um diese Lücken zu schließen. Und mehrheitlich entscheiden sich diese auch eher für ein Studium als für eine berufliche Ausbildung. Das muss sich in unser aller Interesse ändern, weil für die geplanten Wenden bei Energie, Mobilität, beim Klimaschutz, aber auch für die künftige Versorgung einer älter werdenden Bevölkerung qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker unverzichtbar sind.

    Wie groß ist die Fachkräftelücke im Handwerk?
    WOLLSEIFER: Bei der Bundesagentur für Arbeit sind derzeit knapp 153.000 offene Stellen im Handwerk gemeldet – der tatsächliche Fachkräftebedarf liegt aber deutlich höher, da nicht alle Betriebe ihre offenen Stellen bei den Arbeitsagenturen melden. Wir gehen davon aus, dass derzeit geschätzt rund 250.000 qualifizierte Fachkräfte im Handwerk fehlen – Tendenz steigend. Jedes Jahr bleiben etwa 20.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, weil es dafür keine Bewerberinnen und Bewerber gibt. Doch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes müssen sich wieder mehr junge Menschen für eine berufliche Ausbildung im Handwerk entscheiden, weil die geplanten Transformationen nur mit dem Handwerk gelingen können.

    Und wie kann das gelöst werden?
    WOLLSEIFER: Wir müssen alle umdenken: Eltern, Lehrer und die Gesellschaft. Handwerklichen Berufen muss endlich wieder die Wertschätzung entgegengebracht werden, die ihnen mit Blick auf ihre zentrale Rolle für die Zukunft unseres Landes gebührt. Wir brauchen eine Bildungswende. Hierbei kommt es vor allem auf vier Punkte an: eine ideell wie vor allem auch finanziell gleichwertige Behandlung beruflicher und akademischer Bildung, eine gesetzliche Festschreibung der Gleichwertigkeit, eine Entlastung von Ausbildungsbetrieben und mehr attraktive Angebote für Auszubildende – zum Beispiel Azubi-Ticket oder Azubi-Wohnen – sowie eine bundesweit flächendeckende Berufsorientierung an allen allgemeinbildenden Schulen, ganz besonders auch an Gymnasien, zu den Möglichkeiten beruflicher Bildung.

    Die Regierung will die Einwanderung für Fachkräfte erleichtern. Hilft das auch dem Handwerk? 
    WOLLSEIFER: Eine zu Recht geforderte stärkere Zuwanderung ist wichtig und es ist insofern auch gut, die Regelungen zur Zuwanderung stetig weiterzuentwickeln, denn hier muss noch einiges verbessert werden. Aber ganz klar ist auch, dass Zuwanderung nicht das Allheilmittel sein kann, sondern nur einen ergänzenden Beitrag leisten kann, um die Fachkräftelücke zu schließen. Hunderttausende Zuwanderer werden wir in Deutschland vermutlich auch mit den besten Regelungen nicht sehen. Daher muss der Fokus auf dem Inland liegen, hier müssen wir die Fachkräfte ausbilden und finden. Das Ausbildungsengagement der Handwerksbetriebe ist ungebrochen sehr hoch. Doch deren Motivation wird nicht ausreichen ohne die nötige politische und gesellschaftliche Flankierung.

    Sie hören dieses Jahr als Präsident des deutschen Handwerks auf. Welches Fazit ziehen Sie aus Ihrer Amtszeit? 
    WOLLSEIFER: Es war insgesamt eine turbulente und ereignis- und krisenreiche Zeit. Doch wir konnten eine Menge für das Handwerk erreichen. So haben wir nicht nur den Versuch der Europäischen Kommission abgewehrt, uns den Meisterbrief streitig zu machen. Wir haben es auch geschafft, dass zwölf vormals deregulierte Berufe wieder zu Meisterberufen geworden sind. Das war ein großer Erfolg und hat mich stolz gemacht. Das Herzensthema meiner Amtszeit war sicherlich, die berufliche Ausbildung zu stärken und wieder mehr junge Menschen für das Handwerk zu begeistern. Und es sind Erfolge erzielt worden – zum Beispiel mit dem von uns konzipierten und inzwischen in neun Bundesländern eingeführten Bildungsangebot des Berufsabiturs. Oder mit der Durchsetzung der neuen zusätzlichen Berufsabschluss-Bezeichnungen „Bachelor Professional“ und „Master Professional“. Trotzdem bleibt die Frage, wie wir mehr junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk gewinnen können, ein Dauerbrenner. Sie wird auch meinen Nachfolger oder meine Nachfolgerin ganz sicher noch beschäftigen.

    Was war ihr schönster, was ihr bangster Moment in diesen Jahren als Handwerkspräsident?
    WOLLSEIFER: In den vergangenen neun Jahren gab es eine Vielzahl an spannenden Begegnungen, konstruktiven Gesprächen und schönen Momenten – da gab es nicht dieses eine Highlight. Immer wieder am meisten bewegt und gefreut hat es mich aber, wenn ich bei Meisterfeiern den jungen Frauen und Männern ihren Meisterbrief überreichen durfte und sehen konnte, welche Kraft und Energie in diesen jungen Menschen steckt. Ein solcher Moment steht auch am Freitag wieder an, wenn ich unsere Bundessiegerinnen und -sieger hier in Augsburg auszeichnen darf. Aber natürlich gab es in all den Krisen – der Wirtschafts- und Finanzkrise, bei der Flüchtlingswelle, während der Corona-Pandemie und jetzt der Energiekrise – immer wieder sehr belastende Momente. Als Handwerker und Rheinländer hat mich jedoch durch all diese Zeiten mein Optimismus getragen. Doch ich bin ehrlich: Die aktuelle Situation übersteigt alles bislang Dagewesene und macht mir schon sehr große Sorgen. Doch ich bin zugleich überzeugt, dass wir allem Gegenwind zum Trotz in den vergangenen Wochen und Monaten in unserer Arbeit für das Handwerk erfolgreich gewesen sind, Lösungen zu finden, mit denen die Energiepreissteigerungen im Handwerk abgefedert werden.

    Was planen Sie für die Zeit nach dem Amt? Sie haben lange Jahre ein Familienunternehmen geführt, später ein eigenes gegründet. Steht dieses wieder im Vordergrund?
    WOLLSEIFER: Ich freue mich darauf, nach neun Jahren wieder ein ganzes Wochenende mit meiner Frau und meiner Familie zu verbringen. Und unter der Woche wird mir die Arbeit sicher nicht ausgehen. Ich bin noch für ein paar Jahre in Köln als Präsident der Handwerkskammer gewählt und kann mich jetzt wieder komplett den regionalen Handwerksthemen widmen. Auch für den Betrieb habe ich noch ein paar Sachen auf der To-do-Liste. An Beschäftigung mangelt es mir also sicher auch künftig nicht.

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