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Interview: Förderbank-Chef Hoyer: Ukraine könnte in EU locker mit Deutschland mithalten

Interview

Förderbank-Chef Hoyer: Ukraine könnte in EU locker mit Deutschland mithalten

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    EIB-Präsident Werner Hoyer erklärt, dass die Ukraine in Sachen Digitalisierung Deutschland um Lichtjahre voraus sei.
    EIB-Präsident Werner Hoyer erklärt, dass die Ukraine in Sachen Digitalisierung Deutschland um Lichtjahre voraus sei. Foto: Arne Dedert, dpa (Arichvibild)

    Herr Hoyer, Sie leiten die Europäische Investitionsbank, das wichtigste Fördermittelinstitut der EU, das beispielsweise auch den Wiederaufbau der Ukraine unterstützt. Die

    Werner Hoyer: Wir sind hier nicht unflexibel, sondern fokussieren uns auf Dual-Use-Projekte, die sowohl militärisch als auch zivil nutzbar sind, wie Satelliten oder Drohnen. Das hat sich schon gewaltig verändert im Vergleich zur Vergangenheit und wir erreichen damit bereits den größten Teil der Rüstungsindustrie. Unser Engagement noch stärker auszuweiten steht entgegen, dass wir uns als Bank auf den Kapitalmärkten refinanzieren müssen. Die EIB ist zwar die größte multilaterale Entwicklungsbank der Welt, aber von den 240 Milliarden Euro, die auf unserer Bilanz als Eigenkapital stehen, sind nur 25 Milliarden eingezahlt. Das heißt, jedes Projekt, das wir finanzieren, müssen wir auf dem Kapitalmarkt refinanzieren, und dort sind Kriterien wie etwa das, sich von der Verteidigung fernzuhalten, von großer Bedeutung. Es ist für mich keine Frage von Berührungsängsten zum Militärischen. Aber es ist unklug, die starke Position und Solidität der Bank auf dem Markt zu gefährden, indem wir an reine militärische Projekte herangehen. 

    Sie fordern, mit dem Wiederaufbau in der Ukraine schon jetzt, während des Krieges, zu beginnen, und finanzieren viele Projekte. Wie überzeugen Sie Kapitalgeber?

    Hoyer: Wir machen in der Ukraine im Großen und Ganzen Projektfinanzierung für kritische Infrastruktur, und die ist hochrisikobeladen. Da geht schon mal ein von uns finanziertes Krankenhaus in die Luft. Eine wunderschöne Brücke, die wir finanziert hatten, wurde von den Ukrainern selbst abgerissen, weil auf der anderen Seite des Flusses die russischen Panzer standen. Sechs Monate später rief der Bürgermeister an und sagte, die Russen seien wieder weg, und damit bei ihnen in der Region die Wirtschaft funktioniert, bräuchten sie diese Verbindung. Wenn ich unseren Kapitalgebern sage, wir nehmen eure Milliarde und bezahlen damit eine Brücke, die nächstes Jahr vielleicht von den Russen wieder zerschossen wird, dann gehen die mit ihrem Geld lieber woanders hin. Unser Geschäft in der Ukraine basiert deshalb darauf, dass unsere Projekte durch Garantien aus dem EU-Haushalt abgesichert werden. Aber für dieses Jahres gibt es leider keine Mittel mehr im EU-Haushalt. 

    Und nun?

    Hoyer: Wir mussten andere Versicherungsquellen anzapfen, das waren in diesem Fall die EU-Mitgliedstaaten, die uns bisher für den neuen Ukraine-Fonds gut 400 Millionen Euro zugesagt haben. Und wir erwarten mehr. Wir können jetzt doch nicht unsere Hilfe für unsere ukrainischen Freunde einstellen in einer Situation, wo es darum geht, ihre Resilienz zu steigern, und zwar nicht nur militärisch, sondern auch im zivilen Alltag. Es geht auch um eine ökonomische Perspektive: Die Wiederaufbaukosten werden umso höher ausfallen, je später wir damit anfangen. Es kann jetzt vieles durchaus weiterlaufen und damit organisch wachsen. Wenn erst einmal alles platt gemacht wurde, fangen wir nach Kriegsende in fünf, acht oder zehn Jahren bei null an. 

    Wie bewerten Sie die Perspektiven für die Ukraine, vor allem für die Zeit nach dem Krieg?

    Hoyer: Ich bin nicht naiv. Die Korruption ist endemisch und extrem. Deswegen muss man wachsam sein. Mein Optimismus resultiert daraus, dass die Ukraine schon zur Zeit der Sowjetunion ein sehr leistungsfähiges Land war und die Menschen einen hohen Grad an Fähigkeiten mitbringen. Es ist ein Land, das locker mit uns mithält. Im Bereich der Digitalisierung sind die Ukrainer Lichtjahre weiter als die meisten mitteleuropäischen Staaten, auch Deutschland. Das Land hat eine Landwirtschaft, die über jeden Zweifel erhaben ist. Und sie haben eine Industrie, die schon in der Sowjetunion die Speerspitze der Entwicklung war, zum Beispiel in der Militärtechnologie. Wir müssen die Vorstellung überwinden, hier kommt ein Land mit zig Millionen Bettlern zu uns. Die haben Probleme, gerade was das Thema Rechtsstaatlichkeit angeht, keine Frage. Aber ich muss den Regierenden auch zugestehen, dass sie es ernst meinen. 

    Wie stellen Sie denn sicher, dass das Geld auch da ankommt, wo es ankommen soll?

    Hoyer: Wir sind nicht die Sparkasse der Ukraine, sondern finanzieren Projekte, die tatsächlich zustande kommen. Das heißt, wir gucken genau hin: Wann wird ein Stein auf den anderen gesetzt und mit Mörtel verbunden? Erst dann zahlen wir aus. Das ist eine Finanzierung in kleinen Schritten, aber mit der Sicherheit, dass wir ein Projekt auch umsetzen. Neulich war ein Team unserer internen Ermittler in der Ukraine. Die waren beeindruckt, welcher Druck gemacht wird, auch um die Vorbehalte im Westen zu relativieren.

    Die Ukraine will so rasch wie möglich in die EU, andere Kandidaten warten ebenfalls. Kann sich die EU aber eine Ost-Erweiterung überhaupt leisten?

    Hoyer: Sie wird sie sich leisten müssen. Aber ob sie es wirklich schafft, wird davon abhängen, ob sie in der Lage ist, sich zu reformieren. Ich glaube, die Hürden für die Ukrainer, sich teilweise unter großen Opfern mit Reformprozessen auf diese Mitgliedschaft vorzubereiten, werden überwindbar sein. Die Erkenntnis, dass sich die EU selbst reformieren muss, ist jedoch noch nicht wahnsinnig weitverbreitet. Da bin ich in Sorge. 

    Sie kamen am sogenannten Ende der Finanzkrise zur EIB. Nach zwölf Jahren verlassen Sie in wenigen Monaten die Bank. Während Sie etwa bei der Vergabe eines Millionenkredits an die Firma Biontech zur Impfstoffherstellung während der Corona-Pandemie alles richtig gemacht haben, wo denken Sie, lagen Sie falsch? 

    Hoyer: Wir sehen, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit schwindet, und zwar rasant schnell. Wir haben als Bank stets viel in Innovation investiert. Ich bedauere jedoch, dass ich nicht mehr dafür geworben habe, noch mehr Innovationsprojekte zu fördern. Wenn wir nicht Neues denken und neue Technologien finanzieren, werden wir gegen andere Weltregionen nicht ankommen. 

    Ist es mittlerweile zu spät?

    Hoyer: Nein, aber wir müssen umsteuern. Wir können es uns nicht leisten, bei den großen Weiterentwicklungen nicht mitzuhalten. Wir haben zum Beispiel die Chancen der Künstlichen Intelligenz noch nicht hinreichend ausgelotet. Wir werden immer besser in der Entdeckung der Risiken, aber nicht der potenziellen Vorteile. 

    Woran hakt es denn?

    Hoyer: Die Politik steht stark unter dem Druck, kurzfristigen Nutzen für die Bürger zu mobilisieren, und verschläft darüber die längerfristige Entwicklung. Wir verlieren unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht zwischen uns Europäern, sondern gegenüber dem Rest der Welt. Das erfordert zum einen mehr Investitionen, zum anderen aber auch eine engere Integration mit dem Globalen Süden. Dies wird in Europa vernachlässigt. Wir können die neuen Wirtschaftsbeziehungen zur sogenannten Dritten Welt nicht so gestalten, wie wir das vor 200 Jahren gemacht haben: Extraktion dort und Wertschöpfung hier. Das ist Kolonialismus 2.0. Wir müssen zum Beispiel Wertschöpfung in Afrika erlauben. Da heißt es aber dann von allen Seiten: Moment mal, wir brauchen die Arbeitsplätze hier. So werden wir uns allerdings global nicht lange behaupten können. Ich erwarte, dass

    Gerade die Auswirkungen der Globalisierung bereiten vielen Menschen Sorgen und die Folgen scheinen den Rechtspopulisten in die Karten zu spielen.

    Hoyer: Umso mehr ist es erforderlich, dass es auch in der Politik Leute gibt, die es riskieren, mal mit einer klar proeuropäischen Haltung anzuecken.

    Zur Person: Der 71-jährige Werner Hoyer war Anfang der Neunziger FDP-Generalsekretär, später Staatsminister im Auswärtigen Amt und leitet die EIB in Luxemburg seit 2012.

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