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Interview: Finanzminister Scholz wirft Experten Irrtümer in der Rentenpolitik vor

Interview

Finanzminister Scholz wirft Experten Irrtümer in der Rentenpolitik vor

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    Chefredakteur Gregor Peter Schmitz (links) und Politikredakteurin Margit Hufnagel (rechts) befragten Bundesfinanzminister Olaf Scholz.
    Chefredakteur Gregor Peter Schmitz (links) und Politikredakteurin Margit Hufnagel (rechts) befragten Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Foto: Ulrich Wagner

    Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler Olaf Scholz war am Mittwochabend zu Gast beim AZ Forum Live, einer Veranstaltung unserer Redaktion im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses. Der SPD-Politiker stellte sich den Fragen von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz und Politikredakteurin Margit Hufnagel.

    Bei vielen Politikern ist es als Fragesteller oft schwer, zu Wort zu kommen. Ihnen wirft man nicht gerade vor, zu viele Worte zu machen?

    Scholz (lächelt): Nö.

    Wir wollen Ihnen aber mehr Worte entlocken. Kann ein Sozi denn mit Geld umgehen?

    Scholz: Ja, ich habe es auch schon als Bürgermeister der Stadt Hamburg bewiesen. Die Stadt macht seit mehreren Jahren Überschüsse.

    Sie können also als Sozialdemokrat gut rechnen. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie denn für Ihre Parteifreunde bei der Landtagswahl in Bayern?

    Scholz: Sie werden ein sehr gutes zweistelliges Ergebnis erzielen.

    Warum kann die Bayern-SPD trotzdem nicht von den schlechten Umfragewerten der CSU profitieren?

    Scholz: Mal sehen, wie es am Ende ausgeht. Auch hierzulande zeigt sich, dass keine politische Mehrheit von Dauer ist.

    Was passiert, wenn die CSU bei nur 36 Prozent landet und in eine ungeliebte Koalition muss? Geht der Streit in der Großen Koalition dann wieder los?

    Scholz: Weiß ich nicht. Ich lehne mich gelassen zurück. Aber eines will ich sagen: Es gehört zu den Fähigkeiten guter Politik, dass man nicht so nachtragend ist. Wenn man sich mit dem besten Freund zerstritten hat, kann man das ein Leben lang durchhalten und man kann die Straßenseite wechseln, wenn man ihn sieht. Wir können aber nie die Straßenseite wechseln. Wir sind immer zusammen. Wir sitzen in einer Bundesregierung. Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass wir uns nicht so haben.

    Die britische Wirtschaftszeitung Economist nannte Sie den „Vati der Nation“, während Merkel die „Mutti der Nation“ sei. Trifft das zu?

    Scholz (lächelt): Ich bin erst 60.

    Sie sind sehr beliebt bei den Bürgern, auch wenn Journalisten Sie als „Scholzomat“ und drögen Typen bezeichnet haben. Worauf führen Sie die Popularität von Politikern ihrer Art zurück?

    Scholz: Was die meisten Bürger wollen, ist, dass wir nicht vorgeben, ein anderer zu sein, als der wir sind. Politiker sollten nicht taktisch agieren. Wenn die Bürger das Gefühl haben, man setzt sich für was ein, weil man vorher in einer Meinungsumfrage gelesen hat, das kommt gut an, dann ist es nur noch halb so viel wert. Ein Politiker muss über längere Zeit eine Haltung durchhalten, selbst wenn Kritik aufkommt. Zudem darf ein Politiker nie in die Klischee-Falle gehen. Das Fiese an Klischees ist, dass sie von anderen gemacht werden. Wenn man dann das tut, was die anderen denken, wie man sein soll, macht man es schon falsch.

    Viele Leser unserer Zeitung wollten am Mittwochabend in Augsburg miterleben, wie sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz in der Diskussionsrunde im Goldenen Saal des Rathauses schlägt.
    Viele Leser unserer Zeitung wollten am Mittwochabend in Augsburg miterleben, wie sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz in der Diskussionsrunde im Goldenen Saal des Rathauses schlägt. Foto: Ulrich Wagner

    Zur Politik gehört aber auch das Streben nach Macht, erst dann hat man Einfluss. Sie haben in der Sommerpause bei Kabinettssitzungen auf dem Sessel der Kanzlerin Platz genommen. Wie fühlte er sich an?

    Scholz: Es war der gleiche Ledersessel wie sonst. Sitzungen habe ich auch schon geleitet. Und es war kurz.

    Wollen Sie nicht die Chance nutzen und jetzt Ihre Kanzlerkandidatur für die SPD erklären?

    Scholz (lacht): Aha.

    Zuletzt haben Sie das Kunststück vollbracht, dass eine Woche lang über einen SPD-Vorstoß geredet wurde. Das ging auf Ihren Rentenvorstoß zurück. War das der Auftakt für den nächsten Wahlkampf?

    Scholz: Das ist ein Thema, welches die Bürger dieses Landes sehr bewegt. Was wir als Rente zu erwarten haben, ist für die meisten das größte Vermögen. Wer heute die Schule verlässt und viele Jahrzehnte einzahlt, setzt darauf, dass sich das dann, wenn er in

    So kam schnell selbst von Ihnen nahestehenden Ökonomen der Vorwurf auf, die Stabilisierung des Renten-Niveaus bis 2040 sei nicht finanzierbar.

    Scholz: Aufgrund meiner Biografie als Fachanwalt für Arbeitsrecht, als Abgeordneter und als Bundesminister für Arbeit gehöre ich zu den Politikern in Deutschland, die Experten sind in dieser Frage. Die Experten sollen uns jetzt sagen, was wir machen können. Vor 20 Jahren war der Rentenbeitrag bei über 20 Prozent. Heute sind wir bei unter 19 Prozent. Wir haben Überschüsse in der Rentenversicherung, die kein Experte vorhergesagt hat. Hier wirkt sich der Rekord bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus. Darin sieht man, dass es möglich ist, in den 20er und 30er Jahren ein stabiles Renten-Niveau hinzubekommen. Das ist das Mindeste, was wir hinkriegen müssen. Wenn die Deutschen entscheiden, dass sie ein stabiles Rentenniveau wollen, können wir das auch schaffen – man muss sich nur entscheiden, ob man das will oder nicht

    Ihren Renten-Vorstoß haben Sie auch damit begründet, dass Sie einen deutschen Trump verhindern wollen.

    Scholz: Wenn wir ein stabiles Renten-Niveau haben, ist das vielleicht die beste Versicherung gegen einen deutschen Trump. Wir müssen uns fragen, warum Populismus in den USA, aber auch, wie der Brexit zeigt, in Großbritannien wie in vielen anderen reichen Industrie-Nationen so populär ist. Die Antwort lautet: Die Bürger sind nicht so zuversichtlich, was ihre Zukunft betrifft. Viele sind sich nicht sicher, dass es für ihre Kinder und Enkel weiter so gut wie heute läuft. Sie sehen, dass die Welt enger zusammenwächst und der technische Wandel immer stärker Fahrt aufnimmt. Wenn wir Weltoffenheit aufrechterhalten wollen, müssen wir sagen: Wir haben auch einen Weg, Sicherheit in sich schnell wandelnden Zeiten zu garantieren.

    Und das funktioniert Ihres Erachtens über stabile Renten. Müssen dafür die Steuern erhöht werden?

    Scholz: Das müssen sie nicht. Wenn wir entscheiden, dass wir ein stabiles Renten-Niveau haben wollen, können wir das hinbekommen.

    Wie soll die Stabilisierung des Renten-Niveaus dann finanziert werden?

    Scholz: Früher wurde uns vorhergesagt, dass wir Rentenbeiträge weit über 30 Prozent zahlen werden, heute sind wir bei geringeren Rentenbeiträgen als im Jahr 1998. Deshalb sage ich: Der Spielraum für eine Reform ist da.

    Schwenkt die SPD mit dem Renten-Thema nach links aus?

    Scholz: Für Menschen, die sich mit der SPD beschäftigen, muss wieder, auch wenn sie keine Zeile des Wahlprogramms gelesen haben, klar sein, für was die Partei steht.

    Sie haben als Innensenator im Hamburg gesagt, Sie seien liberal, aber nicht doof. Kann man das als leichte Distanzierung von einer Willkommenskultur interpretieren?

    Scholz: Es geht mir um einen realistischen Humanismus: Wir müssen alles daran setzen, dass Leute, die Straftaten begehen, erwischt werden. Wenn es um Flucht und Migration geht, sorgen wir aber dafür, dass wir denjenigen, die Schutz brauchen, auch Schutz bieten. Das sehen die meisten Deutschen so. Der Staat muss es aber auch hinbekommen, dass diejenigen, die solche Ansprüche nicht haben, hier nicht bleiben können. Wenn die Niederlande, die ein ähnliches Asylrecht wie wir haben, nur wenige Wochen für die Entscheidung in einem Asylverfahren brauchen, können wir das auch hinbekommen.

    Hat Merkels Willkommenskultur etwas mit den Vorkommnissen in Chemnitz zu tun? Trägt sie eine Mitschuld?

    Scholz: Sie trägt daran keine Mitschuld. Was ich aber heute sagen will: Ich befinde mich immer noch in Trauer um den jungen Mann, der in Chemnitz sein Leben verloren hat. Ich trauere mit seiner Familie und seinen Freunden. Ich kann es kaum ertragen, dass einige ihre schon immer vorhandene rechte Gesinnung, die nichts mit dem jungen Mann zu tun hat, jetzt in Märschen durch Chemnitz zum Ausdruck bringen. Das haben die Bürger von Chemnitz, die Großartiges in ihrer Stadt geleistet haben, nicht verdient.

    Sollte man die AfD vom Verfassungsschutz beobachten lassen?

    Scholz: Diese Frage sollte man nicht auf dem Marktplatz verhandeln. Nach bestimmten Ereignissen muss man immer noch mal neu hingucken. Aber es kann nicht sein, dass dort große Milieus in der Partei existieren, die Dinge tun, für die sie, wenn es in einer anderen Partei wäre, schon längst vom Verfassungsschutz beobachtet würden.

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