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Interview: Experte erklärt: "Diese drei Kostentreiber machen unseren Strom teuer"

Interview

Experte erklärt: "Diese drei Kostentreiber machen unseren Strom teuer"

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    Tobias Federico erklärt, warum die Preise in Deutschland so hoch sind und wann sie wieder sinken.
    Tobias Federico erklärt, warum die Preise in Deutschland so hoch sind und wann sie wieder sinken. Foto: Silas Stein, dpa

    Herr Federico, Sie analysieren mit Ihrer Beratungsagentur Energy Brainpool seit 25 Jahren die deutschen Energiepreise. Viele Haushalte leiden unter hohen Strompreisen, bei bestehenden Verträgen liegen die Preise bei bis zu 68 Cent pro Kilowattstunde, Billiganbieter bieten Neuverträge für 30 Cent an. Wie kommen diese gewaltigen Unterschiede zustande?

    Tobias Federico: Die klassischen Versorger beliefern eine große Masse an treuen Bestandskunden. Sie können den großen Bedarf relativ gut langfristig planen und Stromlieferverträge im Großhandel oder direkt bei Kraftwerksbetreibern über ein bis drei Jahre im Voraus einkaufen. Die Discount-Anbieter setzen darauf, aggressiv mit günstigen Angeboten Neukunden zu gewinnen, und kaufen den Strom meist kurzfristig an der Strombörse zu möglichst niedrigen Kursen ein. Derzeit sind langfristige Lieferverträge sehr teuer, obwohl die Tagespreise an der Börse oft wieder so niedrig wie vor dem Krieg sind. Das ist derzeit ein Vorteil für Discount-Anbieter. Im vergangenen Winter war es genau umgekehrt: Da mussten die Discounter wegen sehr hoher Börsenpreise ihre Preise extrem erhöhen oder gingen pleite. Viele klassische Versorger profitierten dagegen oft von günstigen Langfrist-Lieferverträgen, die sie bereits vor dem Ukraine-Krieg abgeschlossen hatten.

    Warum sind die tagesaktuellen Strombörsenpreise viel billiger als die Langfristverträge? Für einen Jahresvertrag Grundlast-Strom für 2025 liegt der Preis um 120 Prozent höher als 2021.

    Federico: Wir reden hier über Preise, die sich an der Börse frei nach Angebot, Nachfrage und den Erwartungen an die Zukunft bilden. Das heißt, der Markt erwartet, dass die Strompreise 2025 höher sind als 2021. Auf der einen Seite wird eine höhere Nachfrage der Wirtschaft als im Corona-Jahr 2021 erwartet. Zudem dürfte die Stromnachfrage etwa durch die wachsende Elektromobilität und mehr Wärmepumpen steigen. Auf der Angebotsseite wird die Stromproduktion wohl teurer: die massive Kohleverbrennung durch steigende CO2-Preise und die Gaskraftwerke zusätzlich durch die gestiegenen Brennstoffkosten. Der Strom aus Gaskraftwerken ist derzeit um den Faktor vier oder fünf teurer als im Jahr 2021. All das fließt in den Preis an der Börse.

    Sind die Gaskraftwerke der Hauptkostentreiber?

    Federico: Wir haben drei wichtige Kostentreiber. Weil wir eine sehr große Menge an Strom in Kohlekraftwerken erzeugen, dürften die steigenden Kosten für CO2-Zertifikate in Summe am stärksten durchschlagen. Als Nächstes folgt dann der deutlich höhere Erdgaspreis für die Gaskraftwerke. Der dritte Kostentreiber ist der nicht ausreichende Ausbau an erneuerbaren Energien. Weil die Kapazität nicht reicht, müssen wir nicht nur meist zusätzlich Kohle- und Gaskraftwerke anwerfen, sondern an 80 Prozent der Tage im Jahr Strom importieren. Und wegen unseres Strommarkt-Designs bestimmt das letzte zugeschaltete Kraftwerk den Preis. Das heißt: In 40 bis 50 Prozent der Zeit bestimmen die teuren Erdgaskraftwerke den Großhandelspreis für Strom. Deshalb haben wir am Stromhandelsmarkt stark schwankende Preise von null bis extrem hoch. 

    Mit dem Strommarkt-Design sprechen Sie das sogenannte Merit-Order-Prinzip an, das in die Kritik geraten ist: Der teuerste benötigte Erzeuger, also die Energie aus Gaskraftwerken, bestimmt den Stromhandelspreis für alle.

    Federico: Merit-Order ist das Grundprinzip des kompletten Strommarkts. Natürlich klingt das negativ, wenn man sagt, das teuerste Kraftwerk, das als Letztes für den benötigten Strom zugeschaltet werden muss, bestimmt den Strompreis. Das ist aber eine einseitige Betrachtung. Man könnte genauso gut sagen, das günstigste als Letztes noch zur Verfügung stehende Kraftwerk bestimmt den Strompreis. Wenn die Gaskraftwerke nicht laufen müssen, bestimmen die günstigen Erneuerbaren den Preis.

    Gaskraftwerke sind dann reine Überkapazität und die Betreiber gehen in dieser Zeit leer aus. Das Merit-Order-Prinzip ist das effizienteste System in der Preisfindung, um allen Kraftwerksbetreibern gerecht zu werden. Das eigentliche Problem ist, dass wir damit zwar bei der Erzeugung sehr flexibel sind, nicht aber bei der Nachfrage: Strompreise für Elektroautos oder Wärmepumpen richten sich nicht danach, ob der Strom gerade günstig oder teuer erzeugt wird. Die Verbraucher haben hier keine Wahlmöglichkeit. Deshalb ist ein Teil der Kritik am Merit-Order-Prinzip berechtigt. 

    Wäre es dann nicht günstiger, mit der Strompreisbremse direkt mit den Subventionen bei den Gaskraftwerken anzusetzen, damit sie billiger Strom produzieren?

    Federico: Vergangenes Jahr hat man viele Möglichkeiten diskutiert, auf welcher Ebene man eingreifen könnte: Man hat sich dann für die jetzigen Preisbremsen entschieden. Zur Finanzierung wollte man sogenannte Zufallsgewinne abschöpfen. Doch bis die Abschöpfung in Gang kam, war der Erdgaspreis schon wieder gefallen und man konnte keine Gewinne rückwirkend aus dem Jahr 2022 abschöpfen. Zugleich sanken die Strompreise und der Staat musste weniger für die Preisbremsen ausgeben.

    Mit einer echten Übergewinnsteuer hätte man die exorbitanten Gewinne besser abschöpfen können, die bei vielen aufliefen, als der Gaspreis auf ein extremes Panikhoch kletterte und dann auch die Strompreise an der Börse gestiegen waren. Damit hätte man heute vermutlich mehr finanziellen Spielraum, aber dafür gab es in der Ampelkoalition keine Mehrheit. Heute haben wir die Situation, dass Energiekonzerne hohe Gewinne machen, die Menschen hohe Strompreise bezahlen und der Staat dennoch Subventionen zahlt.

    Welche Möglichkeiten würden Sie empfehlen, um dämpfend auf die Strompreise einzuwirken?

    Federico: Die Erdgaspreise werden noch ein wenig weiter fallen, aber niemals wieder auf das Niveau, das wir vor der Ukraine-Krise hatten. Es wird deshalb zu Recht über einen Industriestrompreis diskutiert. Die Wirtschaftskraft Deutschlands basiert seit Jahrhunderten auf günstigen Energieträgern. Das war im 18. Jahrhundert erst die Wasserkraft, dann kam die heimische Kohle und zuletzt setzte man auf Gaskraftwerke mit billigem russischem Erdgas. Billige Energie war immer wichtig für die deutsche Industrie und sorgte für gutes Wirtschaftswachstum in Deutschland. Subventionen sollte man kritisch gegenüberstehen, aber die Großindustrie hat ein echtes Problem: Statt wie vor dem Krieg vier bis fünf Cent zahlt sie heute, wenn es gut läuft, acht bis zehn Cent pro Kilowattstunde. Das sind doppelt so hohe Kostenbelastungen.

    Wie wird sich die Lage im sonstigen Gewerbe und bei den Privathaushalten entwickeln?

    Federico: Größere Gewerbekunden zahlen derzeit meist rund 25 Cent pro Kilowattstunde, sie profitieren dabei vom Wegfall der EEG-Umlage. Im Jahr 2021 zahlten sie durchschnittlich 21 Cent inklusive sechs Cent EEG-Umlage. Wir erwarten, dass hier die Gewerbestrompreise weiter leicht sinken werden, vielleicht auf ein Niveau von 21 Cent. Unsere langfristigen Berechnungen ergeben, dass der starke Zubau der erneuerbaren Energien tatsächlich dafür sorgen wird, dass die großen Marktpreise fallen werden. Für die Privatverbraucher erwarten wir, dass sich die Preise, wenn nicht die Zuschläge für Netzentgelte stark steigen, langfristig zwischen 25 und 30 Cent einpendeln. Bei 25 Cent hätten wir ungefähr das Vorkrisenniveau, allerdings waren damals noch sechs Cent EEG-Umlage enthalten.

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