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Interview: Ex-Opel-Chef: "Nach 19 Jahren mit Verlusten ist Opel eine richtige Erfolgsgeschichte"

Interview

Ex-Opel-Chef: "Nach 19 Jahren mit Verlusten ist Opel eine richtige Erfolgsgeschichte"

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    Uwe Hochgeschurtz war einst Opel-Chef und ist jetzt zum Europa-Chef des Mutterkonzerns Stellantis aufgestiegen.
    Uwe Hochgeschurtz war einst Opel-Chef und ist jetzt zum Europa-Chef des Mutterkonzerns Stellantis aufgestiegen. Foto: Opel

    Herr Hochgeschurtz, Sie sind vor 15 Monaten vom Opel-Chef zum Europa-Chef des Auto-Riesen Stellantis aufgestiegen, zu dem neben der deutschen Marke Opel auch Peugeot, Citroën, Fiat, Alfa Romeo, Lancia, Maserati, Chrysler, Jeep, Dodge oder Ram gehören. Wie steht Opel heute da?

    Uwe Hochgeschurtz: Nach 19 Jahren mit Verlusten schreibt Opel nun schon vier Jahre in Folge schwarze Zahlen. Die Synergien, welche sich durch die Integration von Opel in den weltweit profitabelsten Volumenhersteller Stellantis ergeben, steigen viel schneller als die Kosten der Integration von Opel. Dazu muss es schnell gehen. Und es ging schnell bei Opel. 

    So analysiert das der Betriebswirt Hochgeschurtz. 

    Hochgeschurtz (lacht): Der wichtigste Faktor für die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens ist die Rentabilität. Und Opel ist nach der 2017 erfolgten Übernahme durch den französischen Konzern PSA, zu dem damals DS Automobiles, Peugeot und Citroën gehörten, profitabel geworden. Später schlossen sich PSA und FiatChrysler zu Stellantis zusammen, und Opel profitiert von den Synergien, also Einsparungen in einer noch größeren Gruppe. 

    Demnach war Opel unter dem Konzern-Dach des US-Autobauers General Motors 19 Mal, also 19 Jahre, nicht überlebensfähig. 

    Hochgeschurtz: Die Übernahme war gut für Opel. Denn nur ein Unternehmen, das Geld verdient, ist überlebensfähig. Große Versprechen und Glaubensbekenntnisse zählen nichts. Ein Unternehmen, das Verluste schreibt, kann nicht investieren. Opel kann über die Muttergesellschaft Stellantis investieren, ob in die neue Batteriezellen-Fabrik in Kaiserslautern oder in das Werk in Eisenach, wo mehr als 130 Millionen Euro in die Produktion des elektrischen Nachfolgers unseres SUV-Modells Grandland fließen. Oder auch in das Werk Rüsselsheim, wo wir elektrifizierte Fahrzeuge bauen – nämlich den neuen Opel Astra und das Premium-Modell DS 4. Unsere 13.000 Beschäftigten in Deutschland haben ebenfalls profitiert und in den vergangenen Jahren Gewinnbeteiligungen erhalten, zuletzt 2000 Euro für 2022. 

    Dabei gab es in Deutschland große Skepsis, als die Franzosen Opel übernahmen. 

    Hochgeschurtz: Damals gab es Skepsis. Diese war jedoch nicht berechtigt. Dabei war 2017 schon klar: Ein Unternehmen will Gewinne erwirtschaften. Wir sind dazu verpflichtet. Keiner rettet einen internationalen Großkonzern wie uns. So kommen Opel jetzt die Effizienz und das große Einkaufsvolumen von Stellantis zugute. Doch die Opel-Modelle werden nach wie vor in Rüsselsheim designt und gebaut, wie der Astra Sports Tourer Electric, der gerade auf der IAA Mobility seine Weltpremiere feiert. Dort sitzen auch nach wie vor viele Entwickler. Opel ist eine richtige Erfolgsgeschichte. Und Opel ist nach wie vor eine deutsche Marke, was auch in anderen Ländern geschätzt wird. 

    Opel will ab 2028 nur noch Elektroautos bauen. Doch BMW-Chef Oliver Zipse wirft die Frage auf: Wo sollen in Europa all diese Autos aufgeladen werden? Wo denn? 

    Hochgeschurtz: Die richtige Reihenfolge wäre gewesen, dass wir uns zunächst auf europäischer und nationaler Ebene Gedanken darüber machen, wie wir genügend CO₂-freie Energie erzeugen, um ausreichend Strom zur Verfügung zu haben. In einem zweiten Schritt hätte man klären müssen, wie man dann grünen Strom zu den Haushalten bringt. Zugleich wäre es sinnvoll gewesen, ausreichend Ladestationen aufzubauen. Erst dann hätte man der Autoindustrie vorschreiben dürfen, dass ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr für den europäischen Markt gebaut werden dürfen. 

    Europa hat aber den letzten Schritt vor dem ersten gemacht. 

    Hochgeschurtz: Genau. Und jetzt wundert man sich, dass die ersten Schritte länger dauern. Die Reihenfolge war die falsche. Trotzdem gibt die Industrie nicht auf. 

    In Ihrer Kölner Heimat sagt man: Et kütt, wie et kütt. Es kommt, wie es kommt. 

    Hochgeschurtz: Ja, die Industrie ist bereit, auf rein elektrische Fahrzeuge umzusteigen. Und wir sind auch dazu verpflichtet. Doch in einigen Ländern Europas könnte die Ladeinfrastruktur schneller wachsen. 

    In welchen Ländern? 

    Hochgeschurtz: Vor allem in Ländern wie Italien oder Spanien muss die Ladeinfrastruktur viel schneller ausgebaut werden. 

    Und wie sieht es in Deutschland aus?

    Hochgeschurtz: Zumindest für die heutige Anzahl an E-Autos reicht die Ladeinfrastruktur in Deutschland aus. Doch die Zahl der Ladestationen muss künftig schneller wachsen. Man darf aber nicht allein die Zahl der Ladepunkte betrachten, werden doch die Ladezeiten immer kürzer und die Reichweiten der E-Autos immer länger. Unsere Kundinnen und Kunden fragen zunehmend beim Kauf eines E-Autos nicht mehr, wo sie es aufladen können und wie die Reichweite der Fahrzeuge ist. Viele interessiert vielmehr die Ladezeit. Und in einigen Jahren fährt man vielleicht zum Supermarkt und lädt sein Auto induktiv, also kontaktlos auf. Die Technik erkennt die Kreditkarte. Alles läuft automatisch. Ich mache mir keine Sorgen um die E-Mobilität in Deutschland. Es wäre aber gut, wenn Deutschland die Anschaffung von E-Autos weiter finanziell fördert. 

    Doch seit dem 1. September ist die Elektroauto-Förderung nur noch auf private Kunden beschränkt.

    Hochgeschurtz: Sie sollte aber auch für gewerbliche Kunden fortgesetzt werden. Dadurch steigt der Absatz. Und es tut dem Klima gut, stammen doch in Deutschland an guten Tagen rund 50 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie. 

    Atomstrom ist auch CO₂-frei. Doch Kanzler Olaf Scholz sagt, die Atomkraft sei ein totes Pferd. 

    Hochgeschurtz: Deutschland hat leider aus Klima-Gesichtspunkten im europäischen Vergleich einen schlechten Strommix, wird doch noch stark auf fossile Energie wie Kohlekraft zurückgegriffen. Mit Atomstrom würde man in Deutschland den CO₂-Ausstoß signifikant verringern. Leider ist das Thema ideologisch diskutiert worden. 

    Die Präsidentin des deutschen Autoverbandes VDA, Hildegard Müller, sieht den Standort Deutschland zunehmend kritisch. Er verliere auch wegen zu hoher Energiepreise an Wettbewerbsfähigkeit. 

    Hochgeschurtz: Das Problem Deutschlands ist: Wir haben zu hohe Energiepreise und tun zu wenig dagegen. Wenn die Strompreise weiter die höchsten in Europa bleiben, wird es schwer, ohne Subventionen neue Unternehmen anzusiedeln. Und dann fällt der CO₂-Ausstoß in Deutschland auch noch höher als in Ländern aus, in denen Strom billiger ist, weil er ideologiefrei hergestellt ist. Dieses Problem muss angepackt und gelöst werden. Das Problem löst man aber nicht mit mehr Wärmepumpen, sondern nur mit einer ideologiefreien Energiepolitik. 

    Also mit der Wiedereinführung der Kernkraft. 

    Hochgeschurtz: Auch deutlich weniger Vorschriften für den Aufbau von Windrädern wären zum Beispiel hilfreich. Hier müssen wir den Regulierungswahn beenden. Und noch mal zurück zum Strompreis: In einer betriebswirtschaftlich organisierten Welt können wir nicht sagen, dass der Strompreis keine Rolle spielt. Deutschland muss die Regulierung begrenzen. In Deutschland gibt es viel zu viele Formulare – und die darf man oft nicht mal digital ausfüllen. Autos musste man bis vor Kurzem zum Beispiel in Ämtern mit dem Nummernschild unter dem Arm anmelden. Das kostete im Schnitt einen Tag und 100 Euro. In den meisten Ländern geht das längst digital und ist günstiger. Deutschland hat Aufholbedarf bei der Wettbewerbsfähigkeit. 

    Was passiert, wenn in Deutschland die Strompreise hoch bleiben und der Staat die Energiekosten der Industrie nicht bezuschusst?

    Hochgeschurtz: Hier antworte ich wieder als Betriebswirt: Dann wird in diesem Land weniger investiert. Dann investieren Unternehmen in anderen Ländern. 

    Die Chinesen nutzen ihre Chancen und fangen an, den europäischen Automarkt schrittweise zu erobern. Bereitet Ihnen das Sorgen als Vertreter eines Massenherstellers? 

    Hochgeschurtz: Das ist zunächst einmal eine direkte Folge der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Dass die europäische Industrie gegenüber China an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt hat, liegt an den im Vergleich zu dem asiatischen Land zu hohen Stromkosten und auch der Überregulierung der Wirtschaft. Das hat uns alle in Europa zu einem lahmen Gaul gemacht. In einem solchen Moment drängen jetzt aus China Wettbewerber auf den Markt. Und wir rollen den Chinesen auch noch den roten Teppich aus und gewähren den Autoherstellern günstigere Zölle, als wir sie in China bekommen. Wir machen China stark. 

    Welche Konsequenzen hat das für einen Auto-Riesen wie Stellantis? 

    Hochgeschurtz: Ändern sich die Bedingungen nicht, wird Stellantis möglicherweise in Deutschland und später auch in anderen europäischen Ländern weniger investieren. Und weniger Investitionen bedeuten auch weniger Arbeitsplätze. Wir tun allerdings alles, um uns als Unternehmen wettbewerbsfähig aufzustellen, und sind auf einem guten Weg.

    Uwe Hochgeschurtz, 60, ist seit Juni 2022 Europa-Chef des Auto-Riesen Stellantis, zu dem unter anderem die Marke Opel gehört. Der gebürtige Kölner stieß nach Stationen bei Ford, Volkswagen und als Deutschland-Chef von Renault zu Opel und wurde dort CEO der Traditionsfirma mit dem Blitz. Der begeisterte Radsportler ist verheiratet und hat drei Kinder. 

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