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Interview: Ex-Greenpeace-Chef: Verbraucher sind bei Discountern gut aufgehoben

Interview

Ex-Greenpeace-Chef: Verbraucher sind bei Discountern gut aufgehoben

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    Der frühere Greenpeace- und Foodwatch-Chef Thilo Bode übt massive Kritik an der Agrarpolitik der Bundesregierung.
    Der frühere Greenpeace- und Foodwatch-Chef Thilo Bode übt massive Kritik an der Agrarpolitik der Bundesregierung. Foto: S. Fischer

    Herr Bode, Sie sind fest davon überzeugt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher durch ihr Einkaufsverhalten den Lebensmittelmarkt nicht verändern können. Wenn man aber in Bio-Läden geht und auf regionale Produkte setzt, hat das doch eine positive Wirkung. Ist Ihre These falsch?

    Thilo Bode: Sie ist nicht falsch. Denn Verbraucherinnen und Verbraucher können die Qualität ihrer Lebensmittel nicht richtig einschätzen. Mehr als vier von fünf Konsumenten stimmen dieser Einschätzung Umfragen zufolge zu. Meine Recherchen bestätigen dies. Weder Regierungen, Behörden noch Unternehmen schützen uns vor Täuschung und Gesundheitsgefährdung. Die Informationen für Verbraucher sind entweder falsch, unvollständig oder irreführend, und beschreiben deshalb die Qualität der Produkte nur völlig unzureichend.

    Über welches Produkt ärgern Sie sich besonders?

    Bode: Olivenöl zum Beispiel.

    Warum das denn? Hier kann man sich doch etwa an der Qualitätsbezeichnung "nativ extra" orientieren.

    Bode: 98 Prozent der Olivenöle tragen diese Bezeichnung für die höchste Güteklasse. Es gibt also kaum noch andere Olivenöle. Wenn 98 Prozent der Olivenöle der höchsten Güteklasse entsprechen, geht das nur, wenn mit dem Qualitätsbegriff etwas nicht stimmt.

    Wie können Sie den Verdacht belegen?

    Bode: Indem ich mir Stichproben der bayerischen Lebensmittelkontrolleure angeschaut habe: Demnach wurden 63 Prozent der als "nativ extra" ausgezeichneten Olivenöle beanstandet, weil sie etwa ranzig, modrig, wurmstichig, essigartig oder metallisch schmecken oder riechen. Das ist oft das Resultat einer unsachgemäßen Herstellung oder der Verwendung minderwertiger Oliven.

    Und wenn Verbraucher Olivenöl in Bio-Qualität kaufen?

    Bode: Auch da wurden die Kontrolleure fündig. Und auch bei Bio-Olivenölen gibt es immer nur "nativ extra". Was haben Sie davon? Verbraucher können nicht erkennen, welche Öle von welcher Qualität sind, denn die enormen Preisspannen von Olivenölen, von fünf Euro auf über 30 Euro – und dies bei unterschiedlichen Flaschengrößen – sagen darüber nichts aus. Wie soll man nun im Laden beurteilen, welchem Olivenöl man vertrauen darf? So geht das nicht!

    Welche Schlussfolgerung ziehen Sie aus der fatalistisch klingenden Olivenöl-Erkenntnis?

    Bode: Wenn wir nicht in der Lage sind, in einem Laden etwa die Qualität von Olivenöl zu erkennen, handelt man rational, das billigste Produkt zu kaufen. Wer rational handelt, landet beim Discounter.

    Um das noch mal festzuhalten: Thilo Bode, der frühere Greenpeace-Chef und Gründer der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, empfiehlt den Gang zum Discounter.

    Bode: Genau. Verbraucher sind bei Discountern wie Aldi und Lidl gut aufgehoben, zumal die Lebensmittelpreise weiter steigen werden.

    Kaufen Sie selbst bei Discountern ein?

    Bode: Ich kaufe bei Discountern ein. Es ärgert mich, wenn kritisiert wird, ein Ex-Greenpeace- und früherer Foodwatch-Chef dürfe doch nicht bei Discountern einkaufen. Natürlich darf er das. Wer Discounter verschmäht, rettet nicht die Welt. Denn teure Lebensmittel sind nicht zwangsläufig gut und billige sind nicht schlecht. Der Preis spiegelt sich, wie das Olivenöl-Beispiel eindrucksvoll zeigt, nicht in der Qualität wider. 

    Das ist eine interessante These: Wenn man als Verbraucher ohnehin keine Macht hat, kann man gleich zum Discounter gehen.

    Bode: Denn beim Discounter bekommen die Kundinnen und Kunden für das gleiche Geld mehr, weil die Konzerne durch geringere Logistik- und Lagerkosten aufgrund eines kleineren Sortiments die Preise drücken können. Ich kann bei Discountern ebenso wie bei den Vollsortimenter-Supermärkten nicht erkennen, wie es um die Güte der Lebensmittel steht. Weil aber Discounter viel mehr Ware verkaufen, ist die Qualität, gerade was die Frische von Obst und Gemüse betrifft, manchmal besser als bei anderen Supermärkten. Teuer ist also nicht besser. 

    Noch einmal ein Widerspruch: Wer etwa Biofleisch kauft, erhöht doch die Nachfrage nach qualitativ besserem Fleisch und stärkt damit das Tierwohl.

    Bode: Dagegen halte ich Folgendes: Die Nachfrage nach Biofleisch beträgt 21 Jahre nach Einführung des Bio-Siegels zwischen ein und drei Prozent. Das mit dem Tierwohl ist zusätzlich ein Märchen. Es gibt keine Garantie für Konsumenten, dass sie Fleisch von Tieren kaufen, die nicht unter schmerzhaften Krankheiten litten. Und zur Mär vom Tierwohl gehört auch: Größere Ställe schützen Tiere nicht vor schmerzhaften Krankheiten.

    Bio-Tieren geht es doch deutlich besser.

    Bode: Die Wahrheit ist aber leider: Der Anteil der Tiere, die an schmerzhaften Krankheiten leiden, ist in der Bio- und herkömmlichen Haltung in etwa gleich groß. Ohnehin garantiert das Bio-Siegel keine umfassende ökologische Herstellung. 

    Bio ist also nach Ihrer Argumentation nicht das Gelbe vom Ei.

    Bode: Bei der Produktion von Bio-Rindfleisch und Bio-Milchprodukten haben wir vergleichbar hohe Treibhausgas-Emissionen wie in der konventionellen Fleischproduktion. Oft wird zur Erzeugung von Bio-Lebensmitteln auch in wasserarmen Regionen zu viel Wasser verbraucht. Und für die Produktion von Bio-Shrimps kommt es vor, dass Mangrovenwälder gerodet werden. Allerdings hat Bio einen klaren ökologischen Vorteil: Die Bio-Landwirtschaft setzt keine synthetischen Pestizide und keinen Mineraldünger beim Anbau von Obst und Gemüse ein. Um es sich leisten zu können, geht man am besten zum Discounter. Am besten ist es also, Bio-Waren beim Discounter zu kaufen.

    Ein weiterer Einwand gegen Ihre Argumentation: Wer bewusst einkauft, ersteht geschmacklich und ökologisch bessere Produkte. Das hat doch einen Nutzen.

    Bode: Geschmacklich gibt es keinen Unterschied, weil bei Obst und Gemüse, ob es biologisch oder konventionell erzeugt wird, die gleichen lager- und transportfähigen, dafür aber geschmacksarmen Sorten eingesetzt werden. Der ökologische Nutzen ist eher ein individueller, weil man durch den Kauf einer solchen nachhaltigen Ware einen persönlichen Vorteil hat: Man freut sich, die Umwelt zu schonen, und hat ein gutes Gewissen. Solche Konsumenten sind aber eine winzige Minderheit und verändern den Markt und das Verhalten der großen Supermarktkonzerne kaum. 

    Das klingt aussichtslos.

    Bode: Der Markt wird einfach so weiterwursteln. Derweil bleiben Gemeinwohl-Interessen auf der Strecke. Das Bio-Siegel ist dafür der Beleg, ist es doch ein Flop. Es hat den Umsatz von Bio-Lebensmitteln in mehr als 20 Jahren gerade mal auf sieben Prozent des Gesamtumsatzes erhöht. 

    Wer aber gute Ware direkt ab Hof von Landwirten bezieht, die er kennt und denen er vertraut, entzieht sich doch der Ohnmacht gegenüber der Massenproduktion.

    Bode: Ich rede hier nicht über Nischenangebote, sondern die Versorgung von Millionen Menschen, die nicht von einem Hofladen zum anderen fahren können, was auch ökologisch zweifelhaft wäre. Die Gesamtheit der Verbraucher hat das Recht auf ausreichende, gesunde und ökologische Lebensmittel.

    Dann müsste sich jetzt mit einem grünen Agrar-Minister die Lage der Verbraucher deutlich verbessern und der Tierschutz ausgebaut werden.

    Bode:Das Tierschutzgesetz von Agrar-Minister Cem Özdemir ist ein regelrechter Bluff, weil es auf freiwilligen Tierschutz setzt. Tierschutz muss für alle Tiere aber gesetzlich verpflichtend sein. Außerdem bleibt bei der geplanten Tierschutzkennzeichnung ein staatlich vorgeschriebener Gesundheitsschutz der Tiere außen vor. Das ist unakzeptabel. Beispielsweise leiden rund 90 Prozent der Legehennen unter einem gebrochenen Brustbein, ob in Bio- oder konventioneller Haltung. 

    Was heißt das für Verbraucher?

    Bode: Wir Verbraucher wissen also nicht, ob das Fleisch von einem Tier stammt, das krankheitsbedingte Schmerzen gelitten hat. Dieser Zustand ist auch die Folge auf Hochleistung gezüchteter Rassen. So legen heutige Turbo-Hühner 320 Eier im Jahr, während es einmal 150 waren. Kühe, die früher 6000 bis 7000 Liter Milch pro Jahr gegeben haben, liefern heute 12.000 Liter ab. Diese Tiere leiden häufig an entzündeten Eutern. Die Tiere in der Landwirtschaft sind zu Maschinen geworden, ob Bio- oder Nicht-Bio-Haltung. 

    Warum müssen Legehennen so leiden?

    Bode: Bei Legehennen geht das mit der Fütterung aufgenommene Kalzium in die Eierschalen und nicht in den Knochenaufbau. Das Ergebnis ist: Die Hühner leiden häufig unter schmerzhaften Knochenbrüchen.

    Aber Özdemir will doch Missstände abstellen.

    Bode: Özdemir ist meiner Meinung nach ein Total-Ausfall. Sein geplantes Tierschutzgesetz ist eine Beleidigung für die Tiere und die Menschen. Vielleicht ein bis zwei Prozent der Tiere kommen so in den Genuss von mehr Tierschutz. Das verkauft Özdemir öffentlich als Tierschutz. Um es zynisch zu sagen: So können Bio-Hühner mit gebrochenen Gelenken in etwas größeren Käfigen rumhüpfen und Schmerzen erleiden. 

    Das ist eine Fundamental-Kritik.

    Bode: Und das Mega-Thema, die flächendeckende Täuschung der Verbraucher beim Einkauf, die auch gegen das geltende Recht verstößt, packt der Minister erst gar nicht an. Und wir Verbraucher sind machtlos, weil wir dagegen nicht klagen können. DerStaat versagt hier auf der ganzen Linie, er schützt weder uns Menschen noch die Tiere. Das eigentliche politische Problem besteht somit darin: Der Verbraucher kauft ein Vertrauens-Gut, denn Lebensmittel sind Vertrauens-Güter, dabei müsste er eigentlich Misstrauen haben. 

    Da vergeht einem der Appetit. Heißt es also: Endstation Veganer. Sollen wir keine tierischen Produkte mehr essen?

    Bode (lacht): Ich esse jedenfalls viel Gemüse, verzichte aber nicht auf tierische Nahrung wie Fleisch, Fisch, Eier oder Milchprodukte. Man kann Menschen doch nicht zwingen Veganer zu werden, deshalb müssen wir viel mehr für den Tier- und den Tier-Gesundheitsschutz tun. Das würde die Preise erhöhen und zu einem Rückgang der Nachfrage nach Fleisch führen. Dafür müsste Özdemir in Brüssel Druck für ein europäisches Tierschutzgesetz machen, denn dort werden überwiegend die Weichen für Tier- und Gesundheitsschutz gestellt. Doch das tut er nicht, um keinen Ärger mit der Agrar-Lobby zu bekommen. 

    Wie enttäuscht sind Sie von der Rolle der Grünen in der Ampel-Koalition?

    Bode: Ich bin total enttäuscht von der Agrar- und Lebensmittelpolitik der Grünen. Die einstige grüne Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Renate Künast hat 2001 versprochen, in zehn Jahren die landwirtschaftliche Anbaufläche für Bio-Produkte auf 20 Prozent der Gesamtfläche zu erhöhen. Doch es sind nach 20 Jahren nur zehn Prozent. Und jetzt verspricht Özdemir, dass er in den nächsten zehn Jahren die Fläche für Bio-Erzeugung auf 30 Prozent ausweitet. Aber er sagt nicht, wie er das erreichen kann. Özdemir darf nicht weiter die Ökolandwirtschaft mit Milliarden-Subventionen päppeln, vielmehr muss er die konventionelle Landwirtschaft, die riesige ökologische Schäden verursacht, ökologisieren, zum Beispiel durch Abgaben auf Pestizide und Dünger.

    Wie beurteilen Sie eigentlich das Verhalten von Klimaschützerinnen und Klimaschützern, die sich auf Straßen festkleben und Kunstwerke mit Tomatensuppe bewerfen?

    Bode: Wir haben früher in der Friedens- und Umweltbewegung auch bewusst Regeln verletzt, um gute Ziele zu erreichen. Wir wollten etwas verändern und waren zuversichtlich. Als ich unlängst mit „Klimaklebern“ diskutiert habe, war ich äußerst betrübt, wie pessimistisch und verzweifelt diese jungen Menschen sind. Als ich bei Greenpeace anfing, waren wir überzeugt: Wir reißen das Ding! Ich finde das Engagement von Klimaschützern nicht verwerflich, sondern gut, auch wenn sie sich an Straßen festkleben. Und es ist auch eine originelle Idee, das Meisterwerk „Sonnenblumen“ von van Gogh in London mit Tomatensuppe zu überschütten. Dadurch erreicht man Aufmerksamkeit für den Klimaschutz. Ich gehe davon aus, dass die Aktivisten zuvor geprüft haben, dass dem Kunstwerk kein Schaden entsteht. 

    Doch damit überschreiten die Klimaschützer eine Grenze und schaden ihrem wichtigen Anliegen.

    Bode: Das glaube ich nicht. Ich habe großen Respekt vor diesen Menschen, jedenfalls wenn sie ihren Kopf hinhalten, sich outen und bereit sind, die juristischen Konsequenzen zu tragen. In meiner Greenpeace-Zeit war ich mal in Kanada eine Woche im Knast, was sehr unangenehm war. Ich saß in einem Hochsicherheitstrakt zusammen mit Schwerverbrechern. Wir hatten zuvor versucht, den Kahlschlag in den kanadischen Regenwäldern zu stoppen. Eine Woche Gefängnis in Kanada hat mir echt gereicht. Gefängnisse sind dort heftig. Am Ende wurde ich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Deshalb habe ich großes Verständnis für Menschen, die für eine gute Sache ihren Kopf hinhalten.

    Zur Person: Thilo Bode, 76, ist in Eching am Ammersee geboren und in Herrsching aufgewachsen. Er lebt in Berlin und Herrsching. Der Volkswirtschaftler hat zusammen mit dem Journalisten Stefan Scheytt jetzt das Buch „Der Supermarkt-Kompass. Informiert einkaufen, was wir essen“ (S. Fischer, 318 Seiten, 22 Euro) vorgelegt. Bode wurde 1989 Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland und 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete er die Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, die er bis 2021 leitete. Heute ist der Umweltschützer als Autor tätig. 

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